Lukas Resetarits: "Ich möchte loswerden, was mich zornig macht"
Der Zorn von Lukas Resetarits ist „sehr jung geblieben“, schreibt Kabarettistenkollege Josef Hader im Vorwort zu „Kabarett und Kottan“.
Für den jungen Schüler aus Melk war Resetarits damals, 1981, ein Wegweiser. Auf Wien-Woche schwänzte Hader die eingeplante Burgtheatervorstellung, um Resetarits im Theater im Konzerthauskeller zu erleben.
Seit 1977 steht Resetarits als Solokabarettist auf der Bühne. Das war damals ungewöhnlich, denn man kannte hauptsächlich Doppelconférencen und Kabarettgruppen. Und Resetarits durchbrach auch die Barriere zum Publikum. Er trat in seinem ersten Programm „Rechts Mitte Links“ selbst als Kartenabreißer in Erscheinung – der zur Überraschung der Zuschauer dann auf der Bühne stand.
KURIER: Herr Resetarits, zu Beginn Ihrer Karriere waren Sie selbst der Kartenabreißer.
Lukas Resetarits: Ich habe mir extra eine Livree besorgt. Und am Anfang haben die Leute tatsächlich geglaubt, dass der Kabarettist nicht kommen konnte und jetzt statt ihm der Billeteur spielen musste. Das war dramaturgisch wichtig.
Hat Ihnen das als junger Kabarettist auch Selbstbewusstsein gegeben, weil es somit nicht perfekt sein musste?
Resetarits: Ja, ich bin wenig selbstbewusst gewesen, bin heute noch oft im Zweifel mit mir selbst. Damals hab ich großkopfert gesagt: Wenn mich einer aus dem Publikum erschießt, dann wird mein letzter Satz nichts von dem, was ich vorher gesagt habe, infrage stellen. Das war mein Prinzip. Es sollte wahrhaftig sein. Zu sagen, „das bin ich!“, hat mir Kraft gegeben. Müsste ein Schauspieler das spielen, wäre es nicht gut. Es muss aus dem Herzen kommen.
Wie war die Arbeit an dem Buch?
Resetarits: Für uns war das Sprechen über die Geschichten sehr unterhaltsam. Das darf man ja oft gar nicht sagen. Zum „Kottan“ hab ich in einem Interview erzählt, dass wir es so lustig haben beim Drehen. Natürlich ist dann gekommen: „Wahrscheinlich lustiger als für die Zuschauer.“ In Österreich bricht sofort der Neid aus, wenn wer mit Freude seine Arbeit macht.
Fritz Schindlecker: Beim ersten Buch übers Aufwachsen war ich auf seine Erzählungen angewiesen. Beim zweiten dachte ich: Gut, das meiste weiß ich eh. Wir haben aber gerade hier viel genauer diskutieren müssen, weil die Sichtweisen oft andere sind.
Herausgekommen ist „Kabarett und Kottan“.
Fritz Schindlecker: Wobei ich gelitten habe. Ich wollt’s „Kottan und Kabarett“ nennen ...
Resetarits: ... wegen des besseren Klangs. Aber für mich muss Kabarett zuerst stehen. Es war das Erste und das ist es auch geblieben. Das sollte auch nicht vermischt werden. Ich hatte damals in den Tourneeverträgen drin, dass nicht mit „Kottan“ geworben werden durfte. Auslöser war, dass ich ein Plakat gesehen habe, auf dem stand ganz groß „MUNDL“, dann kleiner „Karl Merkatz“ und ganz klein „liest Kafka“. Da dachte ich: So ned ...
Schindlecker: Der Kottan-Boom nahm ziemlich zu, als der Lukas eingestiegen ist. Da gab es schon Leute bei seinen Programmen, die Kottan schau’n gegangen sind. Ich hab’ live miterlebt, wie er im Spektakel einmal einen ganzen Tisch angereister Kottan-Fans hinausgeschmissen hat, weil sie die ganze Zeit geplaudert haben, zum Beispiel: „Schau, da kummt er.“ Die konnten sich ihr Geld an der Kassa wieder abholen ... (lacht)
Lukas Resetarits/Fritz Schindlecker: "Kabarett und Kottan", Ueberreuter Verlag, 176 Seiten. 25 Euro
Resetarits: Als meine Enkelin zur Welt gekommen ist, ist eine Frau im Publikum gesessen, die alle fünf Minuten gesagt hat: „Der ist Opa!“ Zwei Stunden lang, oida! Aber es gab auch manche, denen es zu politisch oder zu intellektuell war, obwohl ich eh schon als der Prolo der Branche gegolten habe. Manche sind halt wegen Kottan gekommen und dann geblieben. Es war ein bissl anders als das alte Kabarett, das die Leute schon satt gehabt haben.
Sie beschreiben auch die Arena-Besetzung 1976. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Resetarits: Ich durfte mit den Schmetterlingen an ihrer „Proletenpassion“ teilnehmen. Es war eine richtige Aufbruchstimmung. Es waren ja auch Welt-Theatergruppen dort, Peter Brook, Jérôme Savary, Und der junge Mann, der Leonard Cohen auf der Bühne die Gitarre abgenommen hat, das war ich. Da gibt es noch einen Videobeweis auf Youtube.
Zum „Kottan“ sind Sie rasch nach einem Gespräch mit Helmut Zenker und Peter Patzak gekommen. Sie haben gut in die Pläne gepasst?
Resetarits: Später habe ich erfahren, dass Zenker gedanklich schon in die Richtung weniger Milieubeschreibung und Sozialkritik unterwegs war. Er wollte das Anarchische aus dem Kabarett einbringen.
Wie haben Sie den Major Kottan angelegt?
Resetarits: Es ist ja im amerikanischen Film so: Die Schlechten glauben, sie müssen wer weiß was aufführen, Grimassen schneiden und die Großen stehen einfach so da. Bei einem der ersten Drehtage ist der Polizeipräsident da herumgefetzt und ich bin im Büro im Eck stehen geblieben. Patzak fragte, ob das mein Ernst ist, das so zu spielen, als ob ich gar nicht dabei wäre. Ich hab gesagt: „Ja.“ Dann meinte er: „Gut, dann mach ma’s so.“ Aber das ist genau der Schmäh: Wenn ich mir da auch die Ohren ausreiß’ und mit den Zähnen wackel, dann haut sich das selbst zusammen. Das dürfen alle anderen machen, aber nicht die Hauptfiguren.
Wie war es mit den Kollegen?
Resetarits: Der Walter Davy hat immer mit dem Krückenschmäh gearbeitet. Er hat plötzlich eine fallen gelassen. Als ich sie aufheben wollte, hat er sie schon mit der anderen Hand gehabt. Beim dritten Mal hab ich sie liegen gelassen. Das hat ihm schon imponiert – aber auch gestört. Dann hat er mir die schwere Krücke aufs Schienbein krachen lassen. Ich bin einfach stehen geblieben, alter Floridsdorfer Schmäh. Da hab ich g’wonnen. (lacht) Wir haben einander sehr geschätzt, das Team war ein Wahnsinn.
Josef Hader hat bei Ihnen schon früh einen „heiligen Zorn“ beobachtet. Mitunter wirken Sie auf Twitter (X) noch immer sehr zornig ...
Resetarits: Ich werde dann von meinen Freunden und meiner Frau gemaßregelt. Ich bin in mich gegangen und habe mich dann wieder zurückgenommen. Ich halte das jetzt ein: Nach 22 Uhr nichts mehr schreiben und nicht mehr als ein Achterl. (lacht) Obwohl ich natürlich trotzdem von den Trollinnen und Trollen immer wieder gesagt bekomme, dass ich wahrscheinlich Alkoholiker sei. Aber gut, die hauen sich eh selbst auch eine in die Goschen. Ich bin jetzt bei Bluesky, das mich nicht begeistert. Es sind zwar noch nicht die bösen Trolle drin, aber dafür viele Dummschwätzer. Da liest man über drei Seiten: „Ja, du hast aber schon nicht recht. … Beim Kaffee gehört die Milch vorher hinein …" - Da frage ich mich schon, könnt ihr euch nicht im Kindergarten treffen?
Was sind die Dinge, die Sie am meisten aufregen?
Resetarits: Die Gefährdung der Demokratie und die Abwendung der Politik von wirklicher Politik. Wenn die Überschrift wichtiger ist als der Artikel darunter, dann wird es gefährlich. Die Regierung, die nur mehr so dahinwackelt, wird von der PR-Abteilung aufrechterhalten, hab’ ich den Eindruck. Man gibt irgendeinen Schmäh aus, um abzulenken. Die Verblödung ist weit fortgeschritten. Viele Leute sind nicht mehr imstande, zu differenzieren, weil ihnen keine Differenzierung mehr vorgezeigt wird. Dialektik ist überhaupt gestorben.
KURIER: Was Sie als "Unruhestand" programmatisch ausgerufen haben, halten Sie wirklich ein …
Resetarits: Weil immer so von Spaltung die Rede ist. Das ist ein neuer Gap, der entsteht - von denen, die imstande sind zu lesen, Informationen aufzunehmen, zu differenzieren, und jene, die es nicht können. Und die bekommen die Geschichten reingeschoben. So entsteht die Flucht ins Rechte und Rechtsextreme. Und das ist auch keine Verschwörungstheorie. Man muss diese Geschichten auch bedenken. Das wird mich ewig antreiben. Ich kann mir nicht vorstellen, meinen Beruf jemals aufzugeben, weil es auch kein Beruf mehr ist, das bin ich.
Der Nahostkonflikt ist extrem wieder aufgeflammt. Ist das ein Beispiel dafür, dass man die Dialektik nicht mehr aushält?
Resetarits: Es ist ein extremes Beispiel dafür, weil es extrem kompliziert ist und weil auch bestimmte Sachen in der Recherche und Information überhaupt nicht mehr vorhanden sind. Weil sich niemand sagen traut, dass solche Systeme wie die Hamas im Gazastreifen davon leben, dass der Konflikt weiter bestehen bleibt, diese Dinge haben wir in der Geschichte immer wieder gesehen. Man muss die Situation wirtschaftlich und historisch betrachten. Aber das ist wahnsinnig schwer. Es gibt keine einfachen Antworten. Nicht einmal der Versuch einer einfachen Antwort ist es wert, weil es nicht einfach ist. Man muss sich die Kompliziertheit an. Sinowatz hat gesagt: "Es ist alles sehr kompliziert." Es war der weiseste Satz, den er jemals von sich gegeben hat, weil's verflucht mal so ist. So schmerzvoll es auch ist. Es gibt keine einfache Lösung. 2 x 2 ist nicht 4, es ist: Ich weiß nicht. Man muss sich beide Zweier anschauen und das x muss man sich auch anschauen. Dann wird es zaach. aber es ist es wert, sich damit zu befassen und sich auch zu quälen damit. Der Erde ist es wurscht, ob wir auf ihr drauf sind. Aber uns sollte es nicht so wurscht sein.
Eines Ihrer frühen Programme hieß: „A Krise muass her“. Denken Sie oft daran, weil heute Dauer-Krisenmodus und Krieg herrschen?
Resetarits: Das ist ein häufiger Gedanke von mir. Es ist wirklich schmerzhaft, dass an meinem Lebensabend all das, wofür ich auch gedacht und gearbeitet habe, und viele andere Menschen auch, dass das wieder vor die Hunde geht. Ich hätte nie gedacht, dass eine Rückkehr zu so einer Barbarei wieder möglich ist, nach zwei Weltkriegen. Ich muss mich immer wieder bemühen, aus diesem Sog herauszukommen.
Ist das vielleicht der Grund, dass Sie so viele Programme hinausjagen – schon 29?
Resetarits: Ich habe das Gefühl, ich möchte auch loswerden, was mich beschäftigt, was mich ärgerlich, traurig, zornig macht, und darum wird das nächste Programm „Glück“ heißen.
Was denken Sie eineinhalb Jahre nach dem Tod Ihres Bruders Willi Resetarits?
Resetarits: Ich muss sagen: Die Schuhe meines verstorbenen Bruders sind mir zu groß, das müssen andere übernehmen. Unterstützend bin ich sehr wohl tätig. Was er mit dem Integrationshaus geschaffen hat, haben viele Politiker nicht geschafft. Aber Willi wirkt fort in seinen Werken.
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