"Lucia"-Premiere an der Staatsoper: Ein Wahnsinn ohne Methode

"Lucia"-Premiere an der Staatsoper: Ein Wahnsinn ohne Methode
Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ an der Wiener Staatsoper – aber warum eigentlich?

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist gut, richtig und auch wichtig, dass sich ein Haus von Weltrang wie die Wiener Staatsoper des leider immer noch unterschätzten Belcanto-Repertoires annimmt und eine Oper wie Gaetano Donizettis Meisterwerk „Lucia di Lammermoor“ auf den Spielplan setzt.

Denn Donizettis auf einer Romanvorlage von Sir Walter Scott (Libretto: Salvadore Cammarano) basierendes Drama hat alles, was Opern- und Stimmfreunde glücklich macht. Eine simple Handlung – Sopran liebt Tenor, Bariton (diesfalls Bruder der Titelfigur Lucia) ist dagegen, am Ende gibt es Tote – und vor allem jede Menge grandioser Arien. Eine Steilvorlage für Sängerinnen und Sänger, die sich in höchst anspruchsvollen Partien bewähren können und wollen.

Schöner Wahnsinn

Und immerhin in diesem Bereich kann das Haus am Ring punkten: Denn mit der russischen Sopranistin Olga Peretyatko hat man eine tapfere, in den Koloraturen (es sind bekanntlich sehr viele!) sichere Lucia zur Verfügung, die sich diese Partie sympathisch, aber teils auch mühevoll ersingt. Peretyatko setzt auf die Schönheit ihrer Stimme, versucht, mit ihrer Individualität legendäre Rollenvorbilder vergessen zu machen. Das gelingt der Künstlerin sogar in der berüchtigt-geliebten Wahnsinnsarie ganz vorzüglich. Dass nicht jeder Spitzenton genau sitzt, sollte nur Beckmesser stören. Peretyatkos Lucia verfällt im vokalen Farbenreichtum dem Wahnsinn. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Und Peretyatko hat mit Juan Diego Flórez einen absolut höhensicheren Tenor an ihrer Seite, der (vom Publikum umjubelt) in seinen großen Szenen auftrumpft und der Figur des Edgardo zumindest gesanglich ein Gewicht gibt. Denn – und hier stellt sich wirklich die Frage nach dem Warum – szenisch hat diese Koproduktion mit Philadelphia wenig zu sagen.

Schöner Schnee

Regisseur Laurent Pelly – er ist auch für etliche großartige Donizetti-Produktionen bekannt – verzichtet auf jede Form der Deutung. Pelly (auch Kostüme) sieht Lucia als psychisch labile Frau; echte Interaktionen spart er auf der doch eher öden Schwarz-Weiß-Bühne von Chantal Thomas aber aus. Es schneit in einem fort. Das ist hübsch anzuschauen, erinnert jedoch an „Oper im Kostüm“. Eine Personenführung – erstaunlich, wie hilflos der gute Staatsopernchor herumstehen muss – ist nicht erkennbar. Repertoiretauglich mag das Ganze sein.

Wie auch die übrigen Mitwirkenden mit einer Ausnahme mehr Repertoirebetrieb signalisieren, denn Premierenstrahlkraft besitzen. So ist George Petean als Lucias Bruder Enrico ein bestenfalls solider Bösewicht, so kommt für Lukhanyo Moyake als Arturo der Bühnentod stimmlich kein bisschen zu früh. Virginie Verrez und Leonardo Navarro ergänzen brav. Aufhorchen lässt nur Jongmin Park, der als Raimondo seinen mächtigen, noblen Bass herrlich fließen lässt.

Schönes Umtata

Weniger fließend, dafür umso brachialer agiert Evelino Pidò am Pult des an sich engagierten Orchesters. Pidò ist bei dieser „Lucia“ mehr Kapellmeister denn Gestalter, macht es auch den Protagonisten musikalisch nicht immer leicht und gerät gefährlich nahe in die „Umtata“-Belcanto-Klischees. Da ist noch viel Luft nach oben.

Fazit: Die Wiener Staatsoper hat wieder eine „Lucia“, die den Begriff Musiktheater konsequent verweigert, die ausschließlich von den Interpreten lebt. Anna Netrebko und Piotr Beczala waren übrigens bei der Premiere im Publikum. Und Stars wie diese bräuchte man auch.

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