"Les Troyens“ an der Staatsoper: Schlachtplatte der Superlative

"Les Troyens“ an der Staatsoper: Schlachtplatte der Superlative
Das Mammmutwerk von Berlioz an der Wiener Staatsoper – letztlich ein Pyrrhussieg

Es ist vollbracht. Nach Stationen in London, Mailand und San Francisco darf Troja nun auch an der Staatsoper untergehen, irrt Aeneas auch in Wien über die Meere nach Karthago, bricht dort der ihn liebenden Königin Dido erst das Herz und raubt ihr dann den Verstand, ehe er weiterzieht, um seine Mission der Gründung Roms zu erfüllen. Koste es, was es wolle.

Und frei nach dem Motto „Koste es, was es wolle“ hat auch Regisseur David McVicar die fünfaktige Grand opéra „Les Troyens“ von Hector Berlioz anno 2012 für London auf die Bühne gehievt – als opulente, bildgewaltige Schlachtplatte der Superlative, ohne tieferen Sinn.

Kitsch

Freilich: Auch so kann Oper gehen. Man nehme die bei Berlioz (er war auch sein eigener Librettist) ausufernde Story um Liebe, Krieg, Flucht, Hass, Weltenbrand und setze dem Antikendrama alles drauf, was eventuell auch in einem Römersteinbruch wirken könnte. Konkret also: Überdimensionierte Bilder, gigantische Massenarrangements, kitschig-klebriges Pathos, bedeutungsschwangere Gesten aus dem Opernhandbuch von anno dazumal – sprich fast die gesamte Bandbreite eines klassischen Sandalenfilms.

Es Devlin hat für McVicar dafür einen riesiges trojanisches Pferd aus Kriegsmaterial auf die Bühne gestellt, das optisch durchaus Wirkung erzielt. Ein Effekt um des Effektes willen, der für diese an Äußerlichkeiten reiche Inszenierung symptomatisch ist. Denn McVicar – eine Personenführung ist kaum zu erkennen – vermeidet so ungefähr alles, was die einzelnen Charaktere interessant machen könnte. Krieger sind Krieger, Helden sind Helden, Priester sind Priester. Liebende sind Liebende, das Schicksal ist eben das Schicksal.

"Les Troyens“ an der Staatsoper: Schlachtplatte der Superlative

Übersättigung

Was die Figuren antreibt, ihre Psyche, ihre Motive für jedes Handeln – das bleibt alles fein ausgespart. Klotzen nicht kleckern, übertünchen nicht offenlegen: So sehen Materialschlachten aus. Zu berühren vermag das alles nicht. Man staunt und ist visuell bald übersättigt. Verortet ist das Ganze irgendwo zwischen Antike und 19. Jahrhundert; die Kostüme von Moritz Junge wirken oft wie aus „1001 Nacht“. Über die dramaturgisch völlig sinnlosen, vom Wiener Staatsballett wacker umgesetzten Choreografien kann man getrost den Mantel des Schweigens breiten.

Szenisch viele leere Kilometer also, denen die musikalische Seite aber viel entgegenzusetzen hat. Das liegt vor allem an Dirigent Alain Altinoglu, der mit dem Orchester der Wiener Staatsoper einen Klangfarbenzauber der (auch hier) Superlative hinlegt. Altinoglu und die bestens disponierten Damen und Herren im Graben loten die überbordende Partitur – man hat keine Striche gemacht – phänomenal aus. Da steht höchste Dramatik in vollendetem Einklang mit feinstem Musizieren auf philharmonischem Niveau. Toll!

Vollendung

In dieses in sich stimmige Konzept fügt sich auch der nur selten zu mächtig dröhnende Chor der Wiener Staatsoper, ergänzt um den Slowakischen Philharmonischen Chor, tadellos ein. Vor allem aber ist Joyce DiDonato eine sensationelle Königin Dido (bei Berlioz: Didon). Die amerikanische Mezzosopranistin ist es auch, die in ihrer finalen Furor- und Sterbeszene vokal wie auch emotional zeigt, dass uns dieses Werk auch heute noch etwas angehen könnte, dass hier Menschen aus Fleisch und Blut um ihre Existenz ringen. Das ist Musikdrama in Vollendung.

"Les Troyens“ an der Staatsoper: Schlachtplatte der Superlative

Schwerer haben es die anderen Protagonisten. So ist der Tenor Brandon Jovanovich als Aeneas (Enée) ein durchschlagskräftiger Held aus dem Bilderbuch, der diese mörderische Partie tadellos meistert. Als Einspringerin für die erkrankte Anna Caterina Antonacci darf Monika Bohinez eine intensiv klagende Kassandra geben. Von den vielen kleineren Rollen verschaffen sich vor allem Rachel Frenkel, Szilvia Vörös, Peter Kellner, Adam Plachetka, mit Abstrichen Paolo Fanale sowie der angenehm sonore Jongmin Park Gehör. Und nach fünf zuletzt bejubelten Stunden bleibt die Erkenntnis: Auch am Ring funktioniert „Brot und Spiele“.

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