"Laufen Sie mit Scheuklappen rum?"

"Umso tiefer ich vorstoße, desto mehr bin ich entsetzt": Veit Heinichen in Triest.
Veit Heinichen über den neuen Fall seines Commissario Laurenti und die "Spechtenhauser"-Typen.

Für viele ist der Deutsche Veit Heinichen, der in Triest lebt, zum „Stammitaliener“ geworden.

Obwohl er höchst ung’mütlich ist: Schon zum achten Mal nimmt er sich das Thema vor, das – wie er sagt – „der Demokratie den Rücken bricht“: den Geschäften mit Müll und Luft, Korruption – immer mafiös, immer mit Zentrum Triest, immer mit Commissario Laurenti.

Der neueste Krimi „Im eigenen Schatten“ dehnt sich auch nach Südtirol aus: In der Cessna eines üblen Geschäftsmannes und ehemaligen Senators der Südtiroler Volkspartei explodiert eine Bombe.

KURIER: Sie werden von Roman zu Roman wütender...
Veit Heinichen: Wen kann das kalt lassen? Schattengesellschaften und ihre Systeme untergraben den höchsten Wert, den wir zu verteidigen haben: die Demokratie. Immer offensichtlicher und mit sinkender Hemmschwelle wird gemauschelt, was das Zeug hält.

Und die Justiz? Die Polizei?
Der Apparat wird bewusst klein gehalten. Das ist eine politische Entscheidung. Unsere Gesellschaften befinden sich in einer ausgemachten Krise aus Korruption, zielgruppengerecht geschmiedeten Gesetzen, welche das Gros der Bevölkerung tragen muss, ohne davon zu profitieren. Im Gegenteil. Da kommt dem einzig unzensierbaren Medium eine besondere Stellung zu: dem Buch.

Sie sind dafür bekannt, hart an der Realität zu schreiben.
Und umso tiefer ich da vorstoße, desto mehr bin ich über diese Zusammenhänge entsetzt. „Wut“ aber würde ich nicht nennen, was letztlich nur die Realität auffängt. Die ist manchmal unbequem.

Wieso wissen Sie so viel über organisierte Kriminalität?
Laufen Sie mit Scheuklappen rum? Jeder könnte es wissen, wenn er sich dem Thema widmen würde. Dazu muss man einerseits akzeptieren, dass es dieses Problem gibt, anderseits Interesse aufbringen und Zeit investieren. Natürlich bin ich gut vernetzt, nicht nur in Italien, sondern auch in Österreich und anderen europäischen Ländern.

Die böse Hauptfigur, der Spechtenhauser, der in den 1970er-Jahren abgelaufene Medikamente nach Jugoslawien verkaufte und den Tod vieler auf dem Gewissen hat, so einen gab's ja wirklich. Aber „der Echte“ war kein Südtiroler. Warum wollten Sie Südtirol im neuen Krimi haben? Ist Südtirol nicht die reinste Idylle?
Ja, es gab einen Spechtenhauser. Mehr als einen. Leider. Und grenzüberschreitende Kriminalität gab es schon vor der EU-Erweiterung, sogar zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Südtirol ist eine wunderbare Gegend, in der ich sehr gerne bin, auch wenn das Meer fehlt. Ein multi-ethnisches, vielsprachiges Grenzgebiet, durch das vieles durchgeht. Legal und illegal. Und die Geschichte der „Bumser“ und der damals politisch geschürte Rechtsextremismus wurde stark aus Österreich und Deutschland gesteuert, die Rolle Italiens ist ebenfalls nicht rühmlich.

Das wirkt bis heute nach und vieles davon ist unaufgedeckt oder mystifiziert. Anders verhält es sich gottlob mit den guten Weinen und der dortigen Spitzengastronomie.

Sie wurden als Pädophiler verleumdet. Konnten Sie Frieden finden, obwohl immer noch unbekannt ist, wer dahinter­steckte?
Eineinhalb Jahre Verfolgung bis hin zu körperlicher Bedrohung hinterlässt Spuren, die man nicht wieder loswird. Aber ich habe daraus gelernt und entsprechende Maßnahmen ergriffen. Vergessen Sie nicht, dass ich auch in Österreich durch die Klage von drei Personen angegriffen und mit Gerichtsverfahren überzogen wurde, die ich in allen Instanzen gewonnen habe, während die Kläger heute alle in erster Instanz verurteilt sind ...

Sie hatten die Vorgänge um die Hypo Alpe-Adria in Zusammenhang mit einem „hochkriminellen Netzwerk“ gebracht.
... entmutigen dürfen einen solche Dinge aber nicht, im Gegenteil, sie verschärfen den Blick. Wenn ein Roman die Wahrheit auch nur teilweise verschweigt, wird es ein schlechtes Buch, das nicht mehr ein Spiegel der Gesellschaft ist.

Das ist die richtige Mischung diesmal. In „Keine Frage des Geschmacks“ (2011) war ein bissl viel über Kaffee die Rede gewesen, und im überaus spannenden „Die Ruhe des Stärkeren“ (2009) verwirrte ein Kampfhund, der meinte, er müsse uns persönlich erzählen, dass er das Schmerzmittel Lidocain zum Fressen kriegt.

Im neuen Krimi redet kein Hund, es furzt bloß einer, und das ist viel, viel besser.

„Im eigenen Schatten“ zieht mit hoher Geschwindigkeit bis zum Schluss durch die Sümpfe und gönnt den Lesern trotzdem Verschnaufpausen – die vor allem Commissario Laurenti braucht, um seine Affäre mit der kroatischen Staatsanwältin (nun Oberstaatsanwältin) Živa Ravno neu aufleben zu lassen. Das ist viel besser als würde man mehr über Laurentis etwas fade Familie erfahren.

Als „warmherziger, bescheidener und stets hilfsbereiter Mann“ wird der Südtiroler Franz Xaver Spechtenhauser bei seinem Begräbnis von der italienischen Politik verabschiedet. Dabei war’s ein Wunder, dass der Kerl nicht schon früher für seine Verbrechen eine Bombe zugesteckt bekommen hat.

Während der Beerdigung wird auf der Autostrada 4 ein Goldtransporter gekapert. Das Gold gehörte – Spechtenhauser. Dass dann auch noch in der Lagune von Grado geschossen wird, erhöht die Leselust.

Außerdem hat Veit Heinichen einen schönen Vergleich für einen unangenehmen Händedruck gefunden: Er sei wie ein Spülmittel. Dass ihm dies selbst so gut gefallen hat und später auch wie Spülmittel gelächelt wird – das hält man aus. Der beste Auftritt Laurentis seit Langem.

KURIER-Wertung: **** von *****

Seit 25 Jahren lebt Heinichen, ein 1957er-Jahrgang, in Triest (und mit Starköchin Ami Scabar zusammen). Vorher war der studierte Betriebswirt Buchhändler und Mitbegründer sowie Geschäftsführer des Berlin Verlags. Fünf seiner nunmehr acht Laurenti-Romane wurden verfilmt. Nicht nur die Krimis haben kulturwissenschaftliche Seiten: Bei Hanser erschien das kulinarische Reisebuch „Triest – Stadt der Winde“.

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