Gemordet wird in jeder Stadt

Gemordet wird in jeder Stadt
Über 6.000 Krimis erschienen in diesem Jahr. Genug, um in fast jeder Stadt einen spielen zu lassen.

Unter den im heurigen Jahr neu in den Buchhandel gekommenen rund 30.000 Romanen waren - geschätzte - 6.532 Krimis. Und davon wahrscheinlich 2000 aus dem skandinavischen Raum. Da kann man beim Auswählen ganz schön unruhig werden. Und sich auch leicht verirren. Deshalb bietet der KURIER bei den kürzlich erschienenen Krimis eine kleine Entscheidungshilfe. Tirol ist vertreten, Barcelona, Kalifornien vor allem aber Lappland, Reykjavik, Göteborg. Weil man dann beim Lesen an winterlichen Tagen nicht neidig wird: An diesen Schauplätzen ist's bestimmt nicht wärmer.

Andreas Winkelmann - „Wassermanns Zorn“

Gemordet wird in jeder Stadt
Trotz des lächerlichen Satzes „Sechs Satellitenschüsseln weinten rostige Tränen ...“ macht der Roman Angst. Weil Menschen in einem See ertränkt werden. Weil ihr Mörder, „Wassermann“ genannt, sogar wässrig redet. Der Kerl ist nicht total verrückt, der hat ein Motiv. Der 43-jährige Deutsche Andreas Winkelmann wird in seinen Thrillern immer gruseliger. Er merkt an, selbst einmal beim Schwimmen von unsichtbaren Fingern berührt worden zu sein. Ist ihm hiermit verziehen.

KURIER-Wertung: **** von *****

Liza Marklund - „Weißer Tod“

Gemordet wird in jeder Stadt
Die Schwedin Lisa Marklund gibt sich nicht allein mit eins, zwei, drei ... Leichen zufrieden. Im neunten Band ihrer Serie wird auch der Ehemann der Journalistin Annika Bengtzon in Nairobi als Mitglied einer EU-Delegation entführt. Nun lernt Annika die unangenehme Seite der Kollegen Reporter kennen. Viel Verzweiflung, viel Privates, ein sehr fraulicher Roman gewissermaßen, dazu Werbung für IKEA und für Handys von Ericsson. Und flott ist „Weißer Tod“, sehr flott.

KURIER-Wertung: **** von *****

London um 1630: Der Mann, der die Leichen der Pestkranken zu den Gruben bringt, bekommt ein Baby in die Hand gedrückt. Aber es lebt, er zieht es groß – und später möchte der Jüngling wissen, ob seine „richtige“ Familie einen Pascher hatte oder was. Der Krimi bewegt sich geschickt innerhalb der Historie, aus der die Countess of Carlisle, Lucy Hay, als Sexsymbol hervorstach. Sehr machtbewusst spionierte sie fürs Parlament gegen den König. Beginn einer Trilogie.

KURIER-Wertung: **** von *****

Debüt des 31-jährigen US-Reporters Matthew Quirk, der Grishams „Firma“ genau gelesen hat: David gegen Goliath in Washington, jeder hat seinen Preis, fast jeder ist ein Hai. Jusstudent Mike Ford bekommt einen Job im Beratungsunternehmen seines Dozenten. Klienten sind die 500 mächtigsten Männer des Landes. Die lassen sich gut erpressen, weil jeder Dreck am Stecken hat und so weiter. Gut gemacht, aber nur beim Gulasch stimmt: Beim Aufwärmen schmeckt es besser.

KURIER-Wertung: *** von *****

Die Frau hat zu wenig Bargeld mit. Sie bittet den Taxler deshalb, kurz mit ihr ins Haus zu kommen. Er wartet, sie holt die 85 Dollar, er grüßt und geht – und wird bald darauf als Entführer und Mörder eingesperrt: Die 12-jährige Tochter seiner Kundschaft verschwand nämlich kurz nach seinem Besuch. Ein wahrer Justizskandal aus den USA war für den Schotten Levison inspirierend, Kafka bestimmt auch – so klar erzählt wird, so interpretationsabhängig ist das Ende. Empfehlung!

KURIER-Wertung: ***** von *****

Der erste Krimi des grandiosen, mittlerweile 88-jährigen Spaniers, dessen Roman „Feigenbaum“ über die Franco-Zeit ein Muss ist. Francos Soldaten sind auch hier allgegenwärtig: Ein Buchhändler würde so gern wie Dashiell Hammett Krimis schreiben, seine Geschichten werden aber als unglaubwürdig von Verlagen abgelehnt. Also spielt er selbst Sam Spade, um Stoff zu sammeln und klärt im Baskenland ein ungeklärtes Verbrechen aus dem Jahr 1935. Seltsam gut.

KURIER-Wertung: **** von *****

Bernhard Aichner soll im Freundeskreis Umfragen zum Titel seines neuen Krimis gemacht haben. Leider wurde ihm zu „Leichenspiele“ geraten. Abgesehen davon ist der dritte Fall für den Tiroler Max Broll, hauptberuflich Totengräber, ein großes Lesevergnügen. Broll und sein Kumpel Baroni sind freundliche Loser mit großem Herz und unkomplizierter Sprache. Weil es mit der Marie schlecht ausschaut, lassen sie sich auf ein unmoralisches Angebot ein. Dank einer Serienmörderin stimmt am Ende die Kassa wieder.

KURIER-Wertung: **** von *****

Barbara Mader

Jawohl, so geht das: mit Galgenhumor, selbst wenn die abgeschnittene Zehe eines Kindes drohend in einer Telefonzelle liegt. Im siebenten Thriller des viel zu wenig bekannten Schotten MacBride werden in Aberdeen eine singende Mutter und ihre Tochter durch die TV-Show „Britain’s Next Big Star“ zuerst berühmt – und dann entführt. Amerikanisch schnell und lässig erzählt, medienkritisch, und durch den Witz very british. MacBrides Landsmann Ian Rankin darf eine (kurze) Schaffenspause einlegen.

KURIER-Wertung: ***** von *****

Es ist der zehnte Krimi mit der Göteborger Kommissarin Irene Huss, der die Autorin nicht gönnt, dass sie sich betrinkt bzw. die in der Literatur typisch schwedischen Polizistenprobleme hat. Manchmal würde man sich’s wünschen. „Im Schutz der Schatten“ handelt von einem Bandenkrieg. Ein Mann verbrennt, und unterm Auto von Huss’ Ehemann ist eine Bombe. Der persönliche Lieblingssatz lautet trotzdem: „Die Eiswürfel klirrten, als Irene gedankenverloren ihr Wasserglas kreisen ließ.“

KURIER-Wertung: *** von *****

Reinhardt Badegruber hat einmal ein Buch mit dem Titel „Knödelattentat“ geschrieben. Der neue Krimi des Öffentlichkeitsarbeiters (ORF) heißt nicht so aufregend. In „Canalettos Geheimnis“ wird ein Hund ermordet, später kommt sein Herrl in die Bredouille. Doch nicht deshalb sagt das traurige Hundeherrl zu einem Journalisten: „Sie sind eine Belästigung.“ Der antwortet: „Da überschätzen Sie mich. Ich bin bloß ein Alltagsgeräusch.“ Kundiger Kunst-Historien-Krimi mit schrulligen Metaphern.

KURIER-Wertung: **** von *****

Barbara Mader

Zweiter Fall für die Stockholmer Kommissarin Fredrika Bergman. Seltsam: Auch sie und ihre Teamkollegen sind weder Alkoholiker noch geschieden. Immerhin hat Fredrika einen älteren verheirateten Freund und ist schwanger. Viel passiert, im Zentrum liegen ein Pfarrer und seine Frau erschossen in ihrer Wohnung. Der Mann war Prediger gegen Fremdenhass. Die Autorin beherrscht auch das Gefühlsduseln: „Ich werde dich verlassen“, weint eine Ehefrau. „Dich und die Kinder. Ich bin krank.“

KURIER-Wertung: **** von *****

Der Kommissar heißt Paganini und muss einen Mord zwischen Tirol und England klären. Ein Jahrhundert dauert der „Fluch der Vernunft“. Unvernünftig viele gestelzte Adjektive und teils kuriose, teils abgedroschene Vergleiche müssen bewältigt werden. Die Sonne ist ein „ roter Glutball“. Wahlweise „Sonnenrund“. Eine Prostituierte ist „jung und willig“, weshalb sie ihre „festen weißen Brüstchen verführerisch“ unterm „moosgrünen Morgenmantel hervorlugen“ lässt. Und: „Unser Dasein ist ein Mosaik“. Maniriert.

KURIER-Wertung: ** von *****

Barbara Mader

Das erste Kapitel besteht nur aus einem Satz: Leck mich am Arsch. Jedes weitere Kapitel klingt rausgekotzt. So ist Don Winslow, das hebt ihn ab. In seinen Krimis sind die kalifornischen Strände Himmel und Hölle. „Kings of Cool“ wollen die Jungen sein, die Marihuana verkaufen. Die „alten Säcke“ (= rivalisierende Dealer und korrupte Polizisten) möchten mitschneiden. „Kings of Cool“ ist die Vorgeschichte von „Zeit des Zorns“, dem Oliver Stone-Thriller, der zurzeit als „Savages“ im Kino vor Blut trieft.

KURIER-Wertung: **** von *****

Immerhin hört der Kommissar Joy Division im Ipad; und immerhin bemüht sich der isländische Autor, mit seiner ausgefeilten Geschichte nicht nur spannend zu sein. In Reykjavik wird ein Pole ermordet, der mit seinem Bruder Fuselwodka gebrannt und Zigaretten geschmuggelt hat. Auch stirbt einer der mächtigsten Männer Islands, ein Baumogul, und da gibt es – Überraschung! – Verbindungen. Lieblingssatz: „Darf ich vorstellen: Marek Labudzki, mit richtigem Namen Marek Pawlak.“ Schau dir was an.

KURIER-Wertung: *** von *****

Man weiß das: Nie die Kinder allein im Auto lassen! Es besteht akute Entführungsgefahr! Im schwedischen Sundsvall wird ein Auto gestohlen, am Rücksitz saß der vierjährige Dante. Kurz davor wurden Jugendliche in einer Einrichtung für schwer erziehbare Kinder erschlagen. Das Ehepaar Alexander und Alexandra Ahndoril, Eltern dreier Töchter, schreibt unter dem Pseudonym Lars Kepler derartigen Horror. „Flammenkinder“ ist ihr dritter Roman. Als Gute-Nacht-Geschichte für die Kinder eher ungeeignet.

KURIER-Wertung: **** von *****

Barbara Mader

Wie verzweifelt muss ein Krimi-Autor sein, wenn er am Anfang einen Gärtner braucht, der das Gras vor der Zitadelle in Kopenhagen schneidet, und plötzlich regnet es, es regnet Blut, weil er mit dem großen Mäher über eine Leiche gefahren ist? Eine Sozialarbeiterin wurde ermordet. Erschlagen. Eine Kämpferin für Gerechtigkeit – mit dunklem Fleck, wie die dänische Kommissarin Rebekka Holm in ihrem zweiten Fall herausfinden wird. Lieblingssatz: „Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen.“

KURIER-Wertung: *** von *****

Vorfreude auf den 12. November. Dann erscheint Åsa Larssons neuer Thriller aus Lappland. Man heizt ein, wenn’s im Buch schneit; und wenn ein Bär einen Hofhund frisst, sieht man wirklich den Hundekopf, der in der Kettenschlinge übrig bleibt. Die Schwedin hat Sätze, die man nicht so oft in Krimis findet („Jetzt sagte der Fluss: Du, mein Mädchen, bist nichts weiter als ein Blinzeln.“) Ihre neue Heldin ist Staatsanwältin. Warum jemand mit einer Heugabel ermordet wird, hängt überraschend mit Eisenerz zusammen.

KURIER-Wertung: ***** von *****

Vor rund zehn Jahren musste man von den Barcelona-Krimis mit dem Privatdetektiv und Feinschmecker Pepe Carvalho Abschied nehmen: „Sein“ Schriftsteller Montalban war an einem Herzinfarkt gestorben. Einen Roman gibt’s noch, im El Pais war er 1992 abgedruckt worden.; und er kommt ausgerechnet zum Tod von Sylvia Kristel („Emmanuelle“) auf Deutsch heraus. Es geht um eine argentinische Schauspielerin, die – fast – Emmanuelle geworden wäre. Montalban war anders. Herrlich anders. Er war Literatur.

KURIER-Wertung: **** von *****

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