Umso trauriger, dass es bei der aktuellen Premiere von Claudio Monteverdis „L’ Orfeo“ kaum etwas zu diskutieren gibt.
Eine Monteverdi-Trilogie hat sich Bogdan Roščić bekanntlich vorgenommen. Mit einer fabelhaften „L' incoronazione di Poppea“ in der sehr choreografischen Regie von Jan Lauwers hat sie vergangene Spielzeit begonnen. Mit „Il ritorno d’ Ulisse in Patria“ wird sie in der kommenden Saison in einer Inszenierung von Jossie Wieler und Sergio Morabito abgeschlossen. In fast allen Produktionen dabei: Georg Nigl, Kate Lindsey, Slávka Zámečniková, der Concentus Musicus Wien und Dirigent Pablo Heras-Casado. Fast ein Monteverdi-Ensemble also, das wohl auch gegen szenische Ideen wenig einzuwenden hätte.
So weit, so gut. Aber – und hier sind wir wieder bei „L’ Orfeo“ – müsste nicht auch dieses Werk irgendetwas zu sagen haben? Müsste nicht auch hier ein Regisseur irgendetwas wollen? Irgendetwas vermitteln? Immerhin verhandelt Monteverdi darin Fragen um Leben und Tod. Direkt nach der Hochzeit mit Orfeo stirbt Euridice bekanntlich. Der Sänger aber darf in die Unterwelt gehen, um sie zurückzuholen. Ein Unterfangen, das letztlich scheitert.
Kunst und Gesang, Eros und Thanatos – daraus ließe sich doch etwas machen! Leider nicht von Regisseur Tom Morris, der auf Wohlfühltheater setzt und die einzig gute Idee zu Beginn bringt. Da ist das Publikum nämlich zur Hochzeit von Orfeo und Euridice eingeladen, beide erklären über Lautsprecher die Sachen mit Handy und Masken, Dirigent Pablo Heras-Casado zieht unter Trommelwirbel und Fanfaren über den Mittelgang im Parkett in den Orchestergraben ein.
Das war es dann aber auch schon. Denn in der Folge sieht man konventionelles Steh- und Gehtheater. Ein feines Bühnenbild mit einem gespiegelten Opernhaus, angedeuteten Bäumen, einer düstere Unterwelt und Kostüme (beides: Anna Fleischle), die zu jeder Pride-Parade passen würden. Das ist alles hübsch, nett und nach gefühlten viereinhalb Stunden (in Wahrheit sind es zweieinhalb mit Pause) sehr, sehr brav. Da war Lauwers ein anderes Kaliber. Die Scala hätte mit so einer Optik aber sicher ihre Freude.
Freudig reagierte das Premierenpublikum neben der szenischen Komponente auch auf die musikalische Leistungen. Und da hat man im Haus am Ring mit Kate Lindsey als „die Musik“, „die Hoffnung“ und „das Echo“ eine sensationelle Mezzosopranistin zur Verfügung. Wie die Amerikanerin ihre Partien gestaltet, ausphrasiert, wie sie noch in den kleinsten Nuancen zu großem Ausdruck findet, ist phänomenal. Ein Gestalter ist auch Georg Nigl, der sich in den Orfeo förmlich hineinsteigert, der mit seinem Bariton ein Schmerzensbild der Superlative zeichnet. Das geht mitunter auf Kosten vokaler Schönheit, berührt jedoch. Nigl ist eben ein Singschauspieler. Dritte im Bunde ist Slávka Zámečniková, die als Euridice werkbedingt vor allem schön und tot sein darf. Die vielen kleineren Partien sind mittelmäßig besetzt.
Bleibt noch der Concentus Musicus, der neben der Chorakademie der Staatsoper, der Jugendkompanie der Ballettakademie und dem Europaballett St. Pölten wacker für Akzente sorgt. Auch wenn klanglich einiges dünn bleibt – Pablo Heras-Casado ist ein guter Mann für diesen Klangkörper, der etwas will.
Fazit: Noch konventioneller geht „L’ Orfeo“ kaum. Und ja, wir schreiben immer noch das Jahr 2022.
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