Kurdwin Ayub: "Dieses Theaterstück ist aus Wut entstanden"
Kurdwin Ayub ist derzeit viel beschäftigt. Gerade hat sie mit ihrem zweiten Langfilm „Mond“ erfolgreich Premiere gefeiert, schon geht es am Theater weiter. Die Filmregisseurin wird erstmals auf der Bühne inszenieren: Ihr Stück heißt „Weiße Witwe“, ist eine Produktion der Volksbühne Berlin und wird von den Wiener Festwochen im Juni als Gastspiel an drei Terminen im Volkstheater gezeigt.
Ein Gespräch über Männermord, Wut und den „weißen Blick“.
KURIER: Zuletzt feierten Sie mit ihrem zweiten Langfilm „Mond“ große Erfolge, nun inszenieren Sie das Stück „Weiße Witwe“ am Theater. Wie kam es dazu?
Kurdwin Ayub: : Das Projekt kam zustande, weil ich ein Musikvideo für das Musical „Hyäne Fischer“ an der Berliner Volksbühne zu dem Song „Hodenlos an die Macht“ gedreht habe. Während der Berlinale, wo ich „Sonne“ gezeigt habe, sind René Pollesch, der damalige Intendant der Berliner Volksbühne, und die Chefdramaturgin Anna Heesen an mich herangetreten und haben mich gefragt, ob ich Interesse hätte, auch einmal am Theater zu inszenieren. Und ich sagte: „Ja, hab ich.“ (lacht)
Ist das Ihre erste Theaterarbeit?
Ja.
Angekündigt ist das Projekt „als utopisches Erotikabenteuer aus der Feder des Shootingstars Kurdwin Ayub“. Was darf man sich darunter vorstellen?
Es steckt noch alles in den Anfängen, weil wir noch nicht mit den Proben angefangen haben. Erotikabenteuer heißt aber nicht, dass die ganze Zeit Sex gezeigt wird. Es wird über Sex geredet und auch die Kostüme sind sinnlich. Aber eigentlich geht es um das Klischee des „sexy Orients“ – deswegen auch der Titel. Wenn ich die Drehbücher zu meinen Filmen schreibe, geht es viel um meine Gefühle, um meine Erinnerungen, wie ich aufgewachsen bin oder wie ich mich jetzt fühle. Aber dieses Theaterstück ist aus Wut entstanden.
Wut worüber?
Ich muss, obwohl ich Regisseurin mit Migrationshintergrund bin, mehr meine migrantischen Personen als nicht-migrantische Personen in meinen Büchern und Filmen rechtfertigen. Weil man meint, dass ich aufpassen soll, wie ich meine migrantischen Personen in Bezug auf den „weißen Blicks“ darstelle. Das finde ich absurd, dass ich oder meine Figuren sich für den „weißen Blick“ verändern müssen. Denn damit habe ich nichts zu tun.
Was genau meinen Sie mit „weißem Blick“?
Ich habe mich viel mit postkolonialer Theorie auseinandersetzt, die unter anderem besagt, dass der „Orient“ in den westlichen Erzählungen gerne als „verführerisch und sexy“ dargestellt wird, wie in den Geschichten von „Tausend und einer Nacht“, die ein französischer Autor geklaut und niedergeschrieben hat. Aber wenn meine Hauptfigur Königin Aliah sagt, sie sei sexy, gefährlich und böse, entspricht sie damit nun dem Klischee vom „sexy Orient“, obwohl es für sie eine Form der Selbstbestimmung ist. – und die Frage ist: Darf sie das oder nicht? Und ich finde, sie darf, egal, ob sie damit einem Klischee des „weißen Blicks“ entspricht oder nicht.
Wovon genau handelt Ihr Theaterstück?
Mein Theaterstück ist eben angelehnt an „Tausend und eine Nacht“, aber mit umgekehrten Vorzeichen: Aliah verbringt jede Nacht mit einem jungen, weißen Mann, den sie am nächsten Tag tötet – so wie es der König im Originalmärchen mit den jungen Frauen tut. Anstelle von Scheherazade, die den König mit Geschichten von seinem mörderischen Treiben ablenkt, tritt nun ein alter weißer Mann auf. Auch er versucht, Aliah mit Geschichten abzulenken, um seine eigene „Rasse“, also die weißen Männer zu retten.
Was war der Auslöser zu dieser Idee?
Es gab ein prägendes Erlebnis dafür, dass ich dieses Stück geschrieben habe. Mein Film „Sonne“ wurde in einem kleinen Programmkino in Deutschland gezeigt. Danach kam der Programmkurator des Kinos auf mich zu und meinte, er sei sich gar nicht sicher gewesen, ob er meinen Film überhaupt zeigen könne. Warum? Weil es um eine migrantische Familie geht, das Publikum aber weiß ist. Und für ihn stellte sich die Frage: Darf sein weißes Publikum ein Urteil über eine migrantische Familie und deren Probleme fällen? Ich glaube, er wollte nett sein und seiner „weißen Schuld“ Ausdruck verleihen, aber für mich ging das in die völlig falsche Richtung. Ich fand das total arg. Er behauptete, dass man als Weiße nicht das Recht dazu hat, die Probleme in migrantischen Communities zu sehen. Das ist eine Art von „Pseudo-Wokeness“, die in Wirklichkeit eine Form von Rassismus weiterführt, den es schon in den 1990er Jahren gab.
Was bedeutet „woke“ für Sie?
Für mich bedeutet „woke“ etwas anderes: Es bedeutet Achtsamkeit. Das ist aber keine Achtsamkeit, das ist Separation. Und führt auch dazu, dass Leute wie ich nicht mehr mit Problemen dargestellt werden, um noch gesehen zu werden. Das bedeutet nicht Achtsamkeit. Das hilft marginalisierten Gruppen nicht. Das wird nur für den eurozentristischen Blick gemacht. Es gibt eine Gruppierung unter diesen „Pseudo-Woken“, die Wokeness missversteht und es streng nimmt, und über die Auswirkungen davon nicht weiterdenkt. Sie glauben beispielsweise an das „Netflix“-Casting, das oft auch bedeutet, dass queere oder PoC-Darsteller (People of Color, Anm.) alle als liebe und nette Menschen dargestellt werden müssen. Ich finde „Diversity-Casting“ prinzipiell cool. Ich finde es aber nicht cool, wenn diese Leute keine Tiefe oder keine Probleme mehr haben dürfen. Dieses Phänomen kommt langsam wieder, weil Menschen Wokeness missverstehen. Sie glauben, ein Problem in der migrantischen Community ist ein Klischee oder Stereotyp, das man nicht verwenden darf. Heraus kommt, dass die weißen Menschen in den Serien Tiefgang haben, die migrantischen Personen aber nicht. Oder wenn sie doch Probleme haben, dann sind es „weiße“ Probleme.
Worin sehen Sie die Limitierungen in der Darstellung von migrantischen Personen?
Die Bio-Europäer dürfen auch böse sein, aber wir, die Menschen mit Migrationsgeschichte nicht. Das ist so arg. Daher kommt meine Wut, die immer stärker wird. Wenn ich ein Problem mit meinem Vater oder meiner Familie habe, die muslimisch und sexistisch geprägt ist, darf ich darüber nicht reden – denn meint man hier, es ist ein Klischee. Und das ist etwas, was ich von sehr vielen Menschen, vor allem Frauen aus migrantischen Communities gehört habe: Sie können nicht mehr über Sexismus in den migrantischen Communitys in Filmen und Büchern erzählen, weil „Pseudo-Woke“ dann meinen, sie schüren damit die Angst der Rassisten. Was eigentlich eine Täter Opfer Umkehr ist: Die migrantische Person ist der Grund für Rassismus. Also sehen wir nicht mehr, wie es den Frauen in diesen Communities geht. Aber meine Meinung nach, macht es das Problem mit den Rassisten nicht kleiner. Das Thema wird ihnen nur überlassen. Es geht mir nicht darum, eine politische Gruppierung zu diskreditieren. Ich zeige gerne die Probleme in allen politischen Gruppierungen auf. Wenn es also linke oder liberale Leute gibt, die nur Menschen mit Migrationsgeschichte als brav sehen möchten, hat das nur etwas mit dem Gefühl von „weißer Schuld“ zu tun. Aber ich habe nichts mit „weißer Schuld“ zu tun. Und die Kinder, die so aufgewachsen sind wie ich, deren Probleme werden verdrängt, sind sowieso schon ausgegrenzt und nun auch vergessen, damit die „weiße Schuld“ beglichen wird. Darüber wird nicht geredet. Diese Wut trage ich schon länger in mir. Und dieses Stück ist aus dieser Wut entstanden.
In der Ankündigung zu Ihrem Stück steht steht, dass Sie „lustvoll inkorrekt“ die Geschichte einer Frau erzählen, die macht, was sie will. Zudem regiert sie im Jahr 2666 den Islamischen Staat Europa. Stoff für Provokation?
Ich bespiele gerne Dinge, die für andere Leute „inkorrekt“ sind, weil es mir egal ist. Ich glaube zum Beispiel, dass der Schauplatz „Islamischer Staat“ alle Gruppierungen – von rechts bis links – aufregt (lacht). Natürlich sind auch Patriarchat und Männermord ein Thema, aber eigentlich geht es mir in dem Stück um die Frage: Wer schreibt wem vor, wie sich PoC-Personen in der Kunst- und Kulturgeschichte darzustellen haben? Was den Islam betrifft, so wird in meinem Stück viel angedeutet, aber in Wirklichkeit geht es nicht um den Islam. Nicht die Religion wird kritisiert, sondern wie weiße Menschen mit dieser Religion umgehen. Und was die Kritik an den Geschlechterverhältnissen betrifft, so ist das bei mir immer Thema. Das kommt bei mir automatisch.
Die Hauptrolle der Aliah wird von addeN gespielt, einer Rapperin aus Neukölln mit persischen Wurzeln. Was fanden Sie gut an ihr?
Ich habe sie durch Castings gefunden, weil ich auch Leute gesucht habe, die nicht aus dem Theaterbereich kommen. addeN ist sehr cool. Sie ist in der Rap-Szene aufgewachsen, wo es sehr maskulin zugeht. Sie musste sich behaupten. Sie ist sehr stark und kann gut kontern. Ich mag sie gern, weil sie nicht aus einer elitären Bubble kommt, sondern weiß, wie es läuft. Ich arbeite beim Film viel mit Darstellern und Darstellerinnen, die keine Schauspielausbildung haben. Das hat mich auch fürs Theater interessiert. Die Volksbühne Berlin hat mir die Freiheit dazu gegeben. Das finde ich sehr cool.
Wie haben Sie Georg Friedrich für die Hauptrolle gewonnen?
Ich hab ihm einfach mein Buch geschickt (lacht). Das Stück ist sehr gewagt . Dazu muss man schon auch mutig sein, denn das wird viele reizen. Und das ist er. Das Theaterstück ist die Basis für die Proben, das dann bei der Inszenierung durch Improvisation verändert wird. Diesmal werde ich auch die Dialoge ausschreiben, was ich im Film nicht mache. Aber am Theater kann man nicht jede Vorführung improvisieren. Da müssen die Dialoge niedergeschrieben sein, damit sich alle ihren Text merken können (lacht). Und Georg Friedrich muss tanzen. Ich werde ihn zum Tanzen bringen.
In welchem Tonfall ist das Theaterstück erzählt? Heiter oder doch eher dramatisch?
Es ist lustig und spielt mit Humor und Überzeichnung. Aber es wird ärger. Und das Ende ist sehrt traurig, weil es ein Spiegel der Gesellschaft ist. Am Ende sollen sich die Leute im Theatersaal Gedanken darüber machen und nicht beim Happy End sagen können: Es ja doch alles gut aus.
Angekündigt ist ein spektakuläres Bühnenbild. Wie wird das aussehen?
Es geht um den islamischen Staat und wie wir uns den vorstellen. Er liegt in der Zukunft und ist ein Mix aus „Cleopatra“ und Science-Fiction-Trash (lacht). Und großen Tieren. Ein sehr großes Tier wird immer wieder von der Decke herabkommen.
Was für ein Tier?
Eine Spinne (lacht).
Was sind denn die großen Herausforderungen der Bühne, wenn man vom Film kommt?
Es ist schwer, denn beim Film kann man durch die Kamera Nuancen festhalten, während man im Theater sehr weit weg ist. Das ist, als würde man ganz viele totale Einstellungen drehen. Beim Filmen denke auch sehr viel an das Schauspiel und die Freiheit des Spiels. Beim Theaterstück denke ich stärker in visuellen Bildern und das große Ganze. Das ist alles eine Herausforderung. Am schwierigsten sind die Übergänge. Man kann nicht, wie beim Film, zwischen den Szenen schneiden. Aber das ist eh cool, ich mag Herausforderungen. Ich freu mich schon, wenn das Stück herauskommt und sich alle ihre Mäuler zerreißen und mich hassen werden. (lacht)
Wie kommen Sie darauf?
Immer, wenn ich neue Sachen mache, gehe ich davon aus, dass alle mich hassen werden, dass ich scheitere und dass ich nie wieder etwas machen werde. Ich glaube, das ist ein normaler Selbstzweifel. Wenn man sich etwas Kreatives aus dem Arsch ziehen muss, kann man nie sicher sein, dass es klappt. Ich glaube, das ist normal.
Werden Sie dann wieder zum Film zurückkehren oder bleiben Sie beim Theater?
Nein, es ist nur eine kurze Pause, dann gehe ich wieder zurück zum Film. Momentaner Arbeitstitel für mein nächstes Filmprojekt ist „Sterne“. Es geht um eine amerikanische Journalistin, die sich 2014 in Mossul 2014 befindet, während der Islamische Staat eine Stadt einnimmt. Sie muss aus dem Irak flüchten. Es ist ihre Fluchtgeschichte und es geht um Krieg im Alltag. Es geht auch darum, wie westliche Menschen Krieg spielen und danach auch wieder weggehen können, während die Bevölkerung dem Krieg überlassen wird. Es geht um die Geschichte des Irak.
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