Kurator Simon Mraz über Russland: „Ich glaube immer an das Danach“
Von 2009 an leitete Simon Mraz, zuvor Mitarbeiter des Dorotheums, das österreichische Kulturforum in Moskau – zwar im diplomatischen Dienst, aber nicht als Diplomat und sehr unkonventionell: Er organisierte Ausstellungen im Planetarium von Nischni Nowgorod und auf dem Atomeisbrecher Lenin in Murmansk, im gigantischen Observatorium bei Nischni Archys und in Birobidschan, dem Zentrum des Jüdischen Autonomen Gebiets. Immerzu band er russische Künstlerinnen und Künstler ein, die es daheim schwer hatten.
Anfang 2011 nahm er Abschied – zum richtigen Zeitpunkt, wie sich herausstellte. Denn in der Pandemie hätte Mraz, der seine irrwitzigen Vorhaben mit geradezu kindlicher Unerschrockenheit umsetzt, auch in Moskau nicht viel ausrichten können. Für das Außenministerium arbeitet er aber immer noch. Nun als freier Dienstnehmer.
Wieder unterwegs
Zunächst betreute Mraz „On the road again“: Gesucht wurden Kunstprojekte für die 23 Kulturforen weltweit. „Es ging darum, der Künstlerschaft in der Pandemie ein Angebot zu machen: ein Post-Corona-Programm, wenn man wieder reisen kann. Und es entspricht auch der Kernthematik der Auslandskultur, die österreichische Kunst im Ausland sichtbar zu machen.“ Es gab 478 Einreichungen, jedes siegreiche Projekt wurde mit 7.000 Euro honoriert.
Im Laufe dieses Jahres kam es zur Umsetzung: Barbara Eichhorn, Anna Khodorkovskaya und Joanna Zabielska zum Beispiel schufen in Istanbul eine mobile Skulptur aus Materialien von der Straße. Das Kollektiv mutual loop betrieb mit Künstlern aus Bukarest Spurensuche in der ehemaligen Zentrale der Kommunistischen Partei. Und die Ausstellung von Werner Reiterer im Kulturforum London löste sich in Luft auf: Die aufgestapelten T-Shirts durfte man gratis mitnehmen. Es gab sieben Sujets, auf einem stand: „We don’t go to museums to see pictures. We go to museums to see ourselves.“
Welcome-Service
Zwei Projekte – für die Kulturforen in Teheran (von Linda Berger) und Kiew (von Jelena Micić) konnten aufgrund der widrigen Umstände nicht realisiert werden. Sie werden aber ab Mitte Februar 2023 im Wiener Künstlerhaus präsentiert – in einer großen Abschlussausstellung.
Der Krieg wird auch weiterhin die Arbeit von Mraz bestimmen. Im Auftrag des Außen- und des Kulturministeriums entwickelte er mit dem Kurator und Publizisten Georg Schöllhammer eine Art Welcome-Service für ukrainische Künstler. Das „Office Ukraine. Shelter for Ukrainian Artists“ hat seine zentrale Anlaufstelle im Museumsquartier (tranzit.at) und zudem Außenstellen in Graz (Rotor) bzw. Innsbruck (Künstlerhaus Büchsenhausen). Es gibt zudem ein Sonderbudget für Arbeitsstipendien.
„Und mit der Ars Electronica betreiben wir eine virtuelle Kunsthalle“, erzählt Mraz. Ausgangspunkt war die Idee, dass sich ukrainische Künstler äußern können sollen. „Aber Künstler in Notlagen, die ihre Tätigkeit aufgrund politischer oder sozialer Umstände nicht oder kaum sichtbar ausüben, gibt es in verschiedenen Ländern. Daher haben wir das Projekt ausgeweitet.“ Im Rahmen der Ausschreibung „State of the ART(ist)“ konnte man digitalisierte Kunstwerke hochladen – und die Ars Electronica ermöglicht nun einen Rundgang (mit dem Cursor) durch den Prototyp. „Ein Super-Projekt!“, schwärmt Mraz. Es soll kontinuierlich weiterentwickelt werden.
Zudem betreut er für das Außenministerium mit anderen ein Studio im Museumsquartier. „Es ist für belarussische Künstlerinnen. Nicht mit Binnen-I!“ Das weißrussische Regime erachte nicht nur politische Kunst als feindlich, besonders schlimm sei die Situation für die Frauen. „Denn es kommt immer wieder zu Verhaftungen unter vorgeschobenen Gründen – und exekutiert werden sie zumeist von Männern. Keine weiß, was ihr dann blüht. Die Furcht ist daher groß“, erklärt Mraz. „Wir ermöglichen den Künstlerinnen daher, in Wien Ruhe zu finden. Der Aufenthalt ist mit keinen Auflagen verbunden. Vielleicht gelingt es einer Künstlerin, auf andere Gedanken zu kommen.“
Auch privat würde Mraz gerne helfen. Von seiner Mutter hat er ein altes Wirtshaus in Trautmannsdorf an der Leitha geerbt: „Ich bin dort umgeben von der Kunst, die ich in Russland gesammelt habe, also von einer kreativen Welt, die durch Putins Kulturpolitik zerstört wurde. Das Haus ist voll davon. Aber es ist für eine einzelne Person zu groß.“
Mraz ließ daher einen Raum zu einem Appartement umbauen. Es soll russischen, weißrussischen oder ukrainischen Künstlern offenstehen. Denn: „Ich möchte niemals einen Menschen aufgrund einer Eigenschaft beurteilen, die er nicht selbst gewählt hat. Man kann sich eben nicht aussuchen, wo man geboren wurde. Ich interessiere mich für talentierte Menschen.“
Schutz der Botschaft
Bereits in seiner Moskauer Dienstwohnung präsentierte er etwa viermal im Jahr ungeliebte russische Kunst. Das Appartement war zwar nicht exterritoriales Gebiet, aber: „Ich hatte schon den Schutz der Botschaft.“ Heldentaten seien das also keine gewesen: „Ich machte eigentlich nichts anderes als meine Vorgänger in der Sowjetzeit, darunter Hans Marte, die ihr Mehr an Freiheit, das sie aufgrund ihres diplomatischen Dienstes hatten, genutzt haben, um Künstler zu fördern.“
Mraz erzählt mit Wehmut von Moskau. Und er wollte sich auch nicht ganz verabschieden, als er zurück nach Wien ging. Daher hat er quasi noch einen Koffer in Berlin, genau genommen eine kleine Wohnung in Jaroslawl, etwa 280 Kilometer nordöstlich von Moskau. Mraz weiß natürlich: „Russland ist derzeit kein Boden, an dem man als weltoffener Mensch wachsen und gedeihen kann. Daher sind viele geflüchtet.“ Nach Russland zu reisen, kommt für ihn daher natürlich nicht infrage. „Ich möchte die Zeit überdauern. Ich glaube – trotz all des Schreckens – immer an das Danach.“
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