Kunstwert gegen Mietrecht: Der gläserne Stachel im Haus am Dom

„Juden ist der Beruf des Rechtsanwalts verschlossen.“ Der Satz, ein Zitat aus der 5. Verordnung zum 1938 vom NS-Regime erlassenen „Reichsbürgergesetz“, springt beim Betreten des Büros am Stephansplatz rasch ins Auge. Dann wird es komplizierter: Durch Zitate, die durch Farben und Überlagerungen verunklärt sind und erst langsam ins Bewusstsein einsickern, lässt sich hier darüber nachdenken, dass Unrecht manchmal im Namen des Rechts geschieht.
Dass dies mit Blick auf den Stephansdom, einem Symbol übergeordneter Gerechtigkeit, passiert, in einer Anwaltskanzlei und in einem Haus, das der Kirche gehört, ergibt eine spezielle Gemengelage. Und einen speziellen Konflikt. Denn das Kunstwerk soll weg.
Für den Ort geschaffen
Für den Künstler Herwig Steiner (1956L) – der Zusatz mit dem Geburtsjahr und der Initiale für „Leopold“ verhindert die Verwechslung mit einem Medienkünstler gleichen Namens – ist die aus bedruckten Glasflächen bestehende Arbeit „Gesetz und Verbrechen“, die 2004 bis 2006 im Auftrag des Anwalts Andreas Manak entstand, ein Hauptwerk. Doch die Kanzlei ist übersiedelt, die Räume – derzeit an eine Modelagentur untervermietet – sollen im April 2023 zurückgestellt werden. Leer, wie bei Mietverhältnissen üblich.
Steiner, wiewohl über die Rechtslage im Klaren, will sich damit nicht zufriedengeben. Denn seine Arbeit, argumentiert er, gehöre an diesen Ort: Zum einen würden die bedruckten Glastüren die Idee der Glasfenster des Stephansdoms weiterführen. Vor allem aber gehe es in der Installation um Werte: Neben der Wand, die den institutionalisierten Antisemitismus behandelt, thematisiert eine zweite Installation entlang eines Korridors Fälle unschuldig zum Tode Verurteilter. „Das ist alles etwas, womit die Kirche etwas anfangen kann.“
Die Kirche, konkret das Wiener Domkapitel, ist in diesem Fall aber nicht moralische Instanz, sondern schlicht Hauseigentümerin. Und sie hat Steiner zu verstehen gegeben, dass sie mit den Kunstwerken nichts anfängt. Die Installation sei ursprünglich „ohne Wissen oder irgendein sonstiges Zutun des Domkapitels“ erfolgt, die kirchliche Körperschaft – bestehend aus zwölf hochrangigen Geistlichen, darunter Dompfarrer Toni Faber und Caritas-Direktor Michael Landau – sei daher auch für den Erhalt der Werke nicht verantwortlich.

"Übliches Prozedere"
Steiners Vermutung, wonach der in einer Nachbarwohnung lebende Peter Schipka, Generalsekretär der österreichischen Bischofskonferenz, die Kanzlei gern selbst als Wohnung nutzen würde, dementiert das Domkapitel auf KURIER-Nachfrage: „In welcher Weise die Räumlichkeiten weiter genutzt werden, wird wie üblich nach ihrer Übergabe an den Vermieter entschieden. In jedem Fall sollen sie weiter vermietet werden.“
Der Künstler, der vonseiten einiger Kirchenmänner durchaus Wertschätzung erfuhr, will die Hoffnung nicht aufgeben, dass sein Werk vor Ort noch Zukunft hat. Wenn nicht, sagt er, suche er einen „würdigen Platz“. Was nicht nur angesichts der Maße – die Platten sind rund 3,2 Meter hoch, genannter Korridor über elf Meter lang – eine Herausforderung ist: Das Werk, so Steiner, soll auch weiter im Kontext einer Einrichtung für Recht und Gerechtigkeit strahlen.
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