Das Rätselraten geht wieder los: Wer sind wohl die Leute, die dieser Tage nach Wien kommen und bereit sind, fünf- oder sechsstellige Beträge für Kunstwerke auszugeben? 2012, als die damals noch als "Viennafair" firmierende Zeitgenossen-Messe am Wiener Messegelände erstmals unter russischer Beteiligung stattfand, spekulierte man noch auf Oligarchen, aber damit ist es vorbei.
Die Viennacontemporary, wie Wiens zentraler Marktevent für Gegenwartskunst heute heißt, hat sich vom Teilhaber Dmitri Aksenov entkoppelt, der US-Hedgefondmanager Marwan Younes hat nach einer Umschichtung eine 50-Prozent-Beteiligung übernommen, wie Geschäftsführer Markus Huber bei der Pressekonferenz am Donnerstag ausführte.
Und die Britin Francesca Gavin, die neue künstlerische Leiterin, könnte mit ihrem Netzwerk auch Klientel bringen und als "Regenmacher" agieren, wie es in der Branche heißt: Zumindest äußern diese Hoffnung einige der Galeristen beim Vorab-Rundgang. Doch wie die Geschäfte laufen und was darüberhinaus - etwa durch Kontaktpflege oder angebahnte spätere Verkäufe - als "Erfolg" gilt, lässt sich bei Kunstmessen notorisch schwer auf den Punkt bringen.
Was sich sagen lässt: Die Kunst-Angebote, die sich bis Sonntag rund um die Messe in Wien konzentrieren, strahlen durchaus auch international aus. Das angereiste Publikum lässt auch Geld in Hotellerie und Gastronomie und anderen Kulturinstitutionen - somit ist die Messe als Standortfaktor für Wien durchaus relevant. Nach ihren vielen Wechseln in Struktur, Standort und Größe ist die heurige Viennacontemporary - mit mehr als 100 Ausstellern aus 24 Ländern, die im aufgeräumt-luftigen Ambiente der Messehalle D qualitätvolles Programm zeigen - wieder in einer Form angelangt, die der Kunststadt Wien angemessen scheint.
Neue Angebote
Klar ist aber auch, dass das Publikum der Kunstevents sich ändert - der Typus des Kunstkenners alter Schule allein trägt den Markt nicht, er kann auch nicht unbedingt auf üppigen Nachwuchs bauen.
Die für ihre Zwischennutzungen von Immobilien bekannte "Parallel" - seit einiger Zeit mit dem Clubbing- und Maturareisenveranstalter Alex "DocLX" Knechtsberger als Mehrheitseigentümer - setzt also wie berichtet auf Performance und Party, dockt die Kunst an die Event-Branche an. Und just Dmitri Aksenov, der Ex-Mehrheitseigentümer der Viennacontemporary, wurde heuer überraschend mit einem neuen Format vorstellig: Es heißt "Particolare" und okkupiert bis Sonntag den Kursalon im Stadtpark, der durch die Übersiedlung der Viennacontemporary Kapazitäten frei hatte.
Die Veranstaltung definiert sich nicht als Messe, sondern als "Collectible Exhibition", was auch nicht mehr als "Verkaufsausstellung" bedeutet, aber von den Verantwortlichen - darunter dem bisher in Genf tätigen Messefachmann Thomas Hug und dem Genfer Museumsdirektor Marc-Olivier Wahler sowie dem internationalen Kunstberater Stephan Stoyanov - als Neuerfindung des Kunstmarkt-Rads angepriesen wurde.
Grob gesagt, versammelt die Particolare schlicht einzelne Werke durchaus namhafter Künstler - darunter etwa Michelangelo Pistoletto oder Wim Delvoye, der mit einer Museums-Kugelbahn das vermutlich lustigste Objekt lieferte. Die Galerienvertretungen der Künstler - die wenigsten davon haben einen Hintergrund in Wien - dürfen bzw. müssen draußen bleiben, wenn etwas verkauft wird, schneidet der Veranstalter mit. Die Vermittlung soll indes ein Chatbot übernehmen, laut dem Softwareentwickler ein "automatisierter Kunstkritiker".
Testballon
In der Praxis entpuppt sich die Sache als ein von viel rhetorischer Heißluft angetriebener Testballon für ein Kunst-Lifestyle-Format, das nach dem Willen der Initiatoren bald auch in anderen Städten landen soll. Der nicht-automatisierte Kunstkritiker zieht indes Parallelen zum Technik-Hype der Musikbranche, an dem auch viele Menschen Geld mit Kunst verdienen, bloß nicht jene, die Kunst herstellen oder sie mit Herzblut vertreten.
Der reguläre Eintritt zur Particolare für Nicht-VIPs beträgt übrigens 25 Euro. Das Geld ist bei der Viennacontemporary (regulär 23 Euro) besser investiert - denn die Galerien bieten durchaus Platz für Neues und schicken sich an, "ihre" Künstlerinnen und Künstler auch tatsächlich zu vermitteln.
Entdeckungen sind etwa der Italiener Davide Allieri (Galerie Hubert Winter) oder die Grazerin Noushin Redjaian (Galerie Hilger), ein wenig aus dem Hipster-Fokus gerückte Österreicher wie Ines Doujak (Galerie 3), Muntean & Rosenblum (Einspach & Czapolai, Budapest) oder Josef Dabernig (P74 Gallery, Ljubljana) erhalten prominente Auftritte. Eine neue Zone namens "Context" rückt überhaupt ältere Größen in den Vordergrund - darunter den Maler Max Weiler, der hier der Wiederentdeckung durch die Insta-Generation harrt. Ob er von ihr auch gekauft wird? "Ab 50.000 Euro wird's schwierig", vermutet der Händler Eberhard Kohlbacher. Das Rätselraten geht also weiter.
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