Kunstmarkt im Wandel: Die Hölle hat immer Hochkonjunktur

Kunstmarkt im Wandel: Die Hölle hat immer Hochkonjunktur
Wie der Zeitgeist und der Ausstellungsbetrieb auf den Markt von Altmeister-Gemälden abfärbt

Vor dem Wiener Kunsthistorischen Museum (KHM) stehen Besucher Schlange, um in die große Bruegel-Ausstellung zu gelangen. In der Schau informiert sie eine Tafel über die teils verschlungenen Wege der Bilder: Sie gingen aus dem Atelier des Meisters durch die Hände von Kunsthändlern, Fürsten und reichen Privatleuten.Einen Steinwurf vom KHM entfernt ist ein solcher Austausch nach wie vor im Gange: Im Dorotheum sowie im Auktionshaus „im Kinsky“ stehen heute, Dienstag, Auktionen von Altmeistergemälden an. Werke von Pieter Bruegel dem Älteren sieht man hier freilich nicht – nur knapp über vierzig Gemälde des Meisters sind überhaupt erhalten. Wohl aber steht im Dorotheum eine Höllenszene seines Sohnes Jan Brueghel I oder ein Blumenstillleben des Enkels Jan Brueghel II zum Verkauf; auch das „Kinsky“ bietet ein solches an. Doch wer hat neben dem nötigen Geld auch das Interesse, derlei Bilder zu erwerben?

Kunstmarkt im Wandel: Die Hölle hat immer Hochkonjunktur

Auf den ersten Blick scheint der globale Altmeister-Markt zu florieren: Nur drei Tage nach den Wiener Auktionen eröffnet in New York der US-Ableger der TEFAF, der wichtigsten Messe für Kunst und Antiquitäten (die Hauptveranstaltung findet im März in Maastricht/NL statt). Christie’s hängt sich mit Versteigerungen alter Kunst von 31.10. bis 1.11. an die Messe an.

Wo da Vinci, da ein Weg

Doch die Nachfrage von Sammlern ist durch Großausstellungen und prominente Events nur zögerlich zu befeuern. Den Erhebungen der Analystin Clare McAndrew zufolge verzeichnete der Auktionsmarkt europäischer Altmeistergemälde 2017 mit einem Umsatz von 977 Mio. US-$ zwar einen neuen Höchststand, doch das lag an einem einzigen Bild: Wäre das Leonardo da Vinci-Gemälde „Salvator Mundi“ nicht um 450 Millionen US-$ versteigert worden, hätte sich ein Rückgang von 11 Prozent abgezeichnet.„Salvator Mundi“ war in vielerlei Hinsicht nicht repräsentativ für den Altmeister-Markt: Der prominente Name überstrahlte alle Fragen der Eigenhändigkeit, des Erhaltungszustands und der Provenienz, die gemeinhin für die Wertschätzung eines historischen Bilds ausschlaggebend sind. Der religiöse Inhalt des Gemäldes wurde zugunsten des Trophäen-Charakters heruntergespielt – konkret wurde das Bild gar nicht in einer Altmeister-, sondern in einer „Zeitgenossen“-Auktion angeboten.

Alexander Strasoldo, Altmeister-Experte des Dorotheums, hat beobachtet, wie sich das Publikum der historischen Gemälde im Lauf der letzten zehn Jahre radikal geändert hat: „Was es so nicht mehr geben wird, ist der Typ des klassischen Sammlers, der sich mit Altmeistergemälden, Porzellan und Antiquitäten einrichtet“, sagt er. „Der Lebensstil hat sich stark verändert, die Leute sind viel mobiler geworden. Und auch die ikonographischen Kenntnisse werden geringer.“ Ein Gemälde, das das Martyrium eines Heiligen darstellt, sei einem jüngeren Sammlerpublikum kaum noch zu vermitteln, erklärt der Experte.

Neue Alte Meisterinnen

Kunstmarkt im Wandel: Die Hölle hat immer Hochkonjunktur

Dennoch macht der Zeitgeist vor dem Feld der Alten Meister nicht halt. Dass das Top-Los der Dorotheum-Auktion etwa von der Barockmalerin Artemisia Gentileschi stammt, zeugt vom erstarkten Interesse für von der Kunstgeschichtsschreibung lange vernachlässigte Künstlerinnen. Gentileschi (1593 – 1654) war einst von ihrem Lehrmeister vergewaltigt worden und sagte vor Gericht gegen ihn aus. In der Folge malte sie besonders oft weibliche Heldinnen und Tugendfiguren und wurde nachgerade zu einer „Ikone des Feminismus“, so Strasoldo. Vergangenen Juli kaufte die Londoner National Gallery ein Selbstporträt der Künstlerin um den Rekordpreis von 3,6 Millionen Pfund (ca. 4 Millionen €). Die „Lucretia“ im Dorotheum ist mit einem verhältnismäßig bescheidenen Schätzwert von 500.000 – 700.000 angesetzt.

Kunstmarkt im Wandel: Die Hölle hat immer Hochkonjunktur

Auch die kuriosen, teils düsteren Visionen von Hieronymus Bosch oder der Bruegel-Dynastie üben ungebrochene Anziehungskraft aus. Die Bildfindungen dieser Meister erzeugten bei einer ganzen Reihe von Nachfolgern Widerhall, der heute am Markt verfügbar und durchaus auch gefragt ist.

Dass sich die Schlangen vor der Bruegel-Ausstellung im KHM in einem Zustrom von Einbringern und Kaufinteressenten spiegeln, ist freilich nicht ausgemacht. Und auch wenn der veränderte Zeitgeschmack viele alte Bilder auf den Markt spült, bleiben echte Meisterwerke rar.

Das kleine Rundbild „Der Betrunkene, der in den Schweinestall gestoßen wird“ , das am Ende der Schau im KHM hängt, war 2002 die letzte „Entdeckung“ eines eigenhändigen Gemäldes Pieter Bruegels des Älteren, die – um damals 3,3 Mllionen britische Pfund – in eine Privatsammlung ging. Einen zweiten solchen Fall hält Dorotheum-Experte Strasoldo für so gut wie ausgeschlossen: „Es fallen heute keine Meisterwerke mehr vom Himmel.“

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