Grenzen und Regeln
Die Todsünden, im Frühmittelalter festgeschrieben, mögen heute nicht mehr als Maßstab über allem thronen, doch sie sind ein taugliches Sprungbrett, um über „moralische Vorstellungen zu den Grenzen und Regeln des Zusammenlebens“ nachzudenken, wie Andreas Hoffer sagt.
Der Kurator – man kennt ihn als enthusiastischen und empathischen Kunstvermittler – entschied sich bei seinem Ausstellungskonzept aber, 13 subjektiv ausgewählte Künstlerinnen und Künstler einfach mal machen zu lassen: Jede geladene Person sollte sich mit einer oder mit mehreren Sünden-Kategorien befassen, einige schufen extra neue Werke – etwa der Mal-Berserker Jonathan Meese mit einem acht Meter breiten Farbungetüm samt unterstützendem „Zornmanifest“ („Erkenne deinen Zorn als Körperteil an, yeah“). Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller steuerte Werke aus ihrem Schatz von Gedichten bei, die sie aus ausgeschnittenen Worten collagierte.
Die Qualitäten mancher Einzelwerke ändern allerdings nichts an dem Umstand, dass sich das Publikum einem Haufen von Puzzleteilen gegenübersieht, die sich nicht ansatzweise zu einem Gesamtbild fügen.
Puzzle und Bild
Der philippinische Fotograf Rob Frogoso etwa scheint sich in seinen inhomogenen, aber durchaus ansprechenden Stillleben mehr mit seiner Lebensumwelt und seiner queeren Identität als mit der Kategorie „Stolz“ auseinanderzusetzen. Ebenso der Maler Ádám Dallos, der seine homoerotischen Männerbilder in seiner Heimat Ungarn nicht in Gegenwart von Kindern zeigen darf. Über Wolllust und Zorn sagen die Werke jenseits des Offensichtlichen nicht viel – zudem werden sie von Meeses Bild nebenan übertrumpft.
Die kuratorische Aufgabe, allzu große künstlerische Niveaudifferenzen zu vermeiden, scheint hier teilweise zugunsten des Abhakens von Diversitätserfordernissen vernachlässigt worden zu sein. Besonders der Beitrag der Künstlerin Èv van Hettmer – sie sprühte den Satz „Dieses Jahr fühlte ich mich erfolgreich, denn ich habe noch nie so viel Neid gespürt“ auf eine Leinwand – ist eigentlich eine Frechheit: Unlust im Kunstwollen trifft hier auf Trägheit im Kunstmachen.
An Postulaten und Texten mangelt es aber nicht, denn zusätzlich zu den Künstlerinnen und Künstlern waren noch Literatinnen und Literaten zu Beiträgen eingeladen. Die Praxis, die an Hoffers früherer Wirkungsstätte im Klosterneuburger Essl Museum ein paarmal gut funktionierte, wirkt im Kremser Ausstellungsraum verloren: Auf unschöne Pappaufsteller gedruckt, sind literarische Auszüge nicht von nichtliterarischen Künstlerstatements zu unterscheiden, es gibt nichts, was in die Tiefe leitet.
Gedanken und Raum
Immerhin kann man sich in einem „Gedankenraum“ am Ende der Schau erholen. Der Sektor mit Sitz- und Liegemöbeln sei auf Anregung eines „Publikumsbeirats aus Kremser Bürger:innen“ eingerichtet worden, erklärt Hoffer. Dass es bei Austellungen einen solchen Beirat braucht, verwundert dann doch. Denn Begegnung und Einbindung ist ein löbliches Ziel – wenn dabei aber die kuratorische Stimme verstummt und Kunst nicht mehr an- und aufregt, ist die Übung umsonst.
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