Kunst auf Instagram: Die Bilder sind nicht totzukriegen
Die Schlangen am Haupt der Medusa sind von Haribo. Die ausladenden Krägen, die niederländische Kaufleute auf ihren Porträts zur Schau stellen, sind Klopapierrollen. Die Federn an Albrecht Dürers "Flügel einer Blauracke" sind bunte Socken.
Es ist eine Kreativitätsexplosion, die sich während der coronabedingten Isolation online breitgemacht hat: Auf der ganzen Welt stellen Menschen berühmte Gemälde zuhause nach und posten die Gegenüberstellungen auf Instagram. Der Anstoß kam unter anderem vom Getty Museum in Los Angeles und vom Blog @tussenkunstenquarantaine („zwischen Kunst und Quarantäne“), viele Kunsthäuser folgten mit eigenen Aufrufen. Wer unter #gettymuseumchallenge, #museumsfromhome oder #covidclassics (mit jeweils tausenden Beiträgen) nachsieht, erkennt, dass das Gemälde-Nachstellen aber längst eine eigene Dynamik entwickelt hat – und zu den erfrischendsten Phänomenen der musealen Dürrezeit gehört.
"Fest des Bohnenkönigs" von Achim Ferradina, @achimferradina
Das Vorbild: Fest des Bohnenkönigs, 1640/45
Jacob Jordaens, Fest des Bohnenkönigs, um 1640/1645, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie
David mit dem Haupt des Goliath von Maria Guadalupe, @mguadarc
Das Original von Caravaggio
Michelangelo Merisi, gen. Caravaggio, David mit dem Haupt des Goliath, um 1600/01, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie
Das Haupt der Medusa von Dorian Schiffer @bildernachmachen
Das Vorbild aus dem KHM
Peter Paul Rubens, Frans Snyders (Schlangen), Haupt der Medusa, um 1617/1618, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie
"Großes Sockenstück" von Albertina-Chefkurator Christof Metzger
Das Vorbild: Albrecht Dürers "Flügel einer Blauracke"
Albrecht Dürer
Flügel einer Blauracke, um 1500
Aquarell und Deckfarben, mit Deckweiß gehöht
Peter Husty, Chefkurator Salzburg Museum
Johann Baptist Durach (1724–1793), Porträt eines Mannes mit Kaffeetasse, 1771
"Lebende Gemälde"
Die Idee, sich und sein Umfeld zum Gemälde zu stilisieren, ist freilich schon alt. Bereits im 15. Jahrhundert kannte man "lebende Bilder" bei Festen und Umzügen – allerdings wurden diese Inszenierungen meist extra für den jeweiligen Anlass erfunden.
Das Nachstellen bereits existierender Kunstwerke nahm im 18. Jahrhundert Fahrt auf – berühmt wurde etwa Emma Hamilton (1765 – 1815), deren Spezialität es war, antike Skulpturen als sogenannte "Attitüden" nachzustellen. Für höfische Gesellschaften – und jene, die ihnen nacheiferten – boten die sogenannten "tableaux vivants" Gelegenheit, ihre Kunstsinnigkeit zur Schau zu stellen.
Weil Posen und Bildcodes aus Antike und Renaissance als Inbegriff des Edlen galten, wurden sie auch zur Trägerrakete der Fotografie: Gerade in der Frühzeit des Mediums arrangierten Fotografen Bilder häufig nach Gemälden, um den Wert ihres Tuns – das nicht als Kunst erachtet wurde – zu steigern. Bei dem von Hans Makart inszenierten Festzug zur silbernen Hochzeit Kaiser Franz Josephs I. und Kaiserin Elisabeth anno 1879 traten die historisch gewandeten Teilnehmer beim Fotografen Victor Angerer an, um sich gemäldehaft ablichten zu lassen.
Kollektives Gedächtnis
All das kann aber nicht erklären, warum altmeisterliche Posen und Motive nun im Onlinezeitalter wieder florieren: Die Verbindlichkeit des klassischen Bildungs- und Bilderkanons hat abgenommen, Gymnasiasten denken bei "Laokoongruppe" vermutlich eher an eine Rockband denn an eine antike Skulptur.
"Ich glaube aber, dass es so etwas wie ein kollektives Bildgedächtnis gibt", sagt Martin Hochleitner, der als Kunsthistoriker in Linz ein Seminar über "Referenzkunst" abhielt und nun als Direktor des Salzburg Museums ebenfalls einen Aufruf zum Nachstellen von museumseigenen Bildern unterstützt. "Unsere allgemeine Bildästhetik ist stark von der Kunstgeschichte durchdrungen – sie wird in die unterschiedlichsten visuellen Bereiche transformiert und übersetzt", sagt er.
Der Kunsthistoriker Aby Warburg (1866 – 1929) gilt als der erste, der im akademischen Feld die Kontinuitäten bildnerischer Codes über Zeit- und Stilgrenzen hinaus erforschte und dabei auch Werbung und andere populäre Bilder einband. Er prägte den Begriff der "Pathosformel" für bildliche Ausdrucksweisen, die universell wirksam sind, und suchte sie in seinem "Bilderatlas Mnemosyne" anhand von Vergleichstafeln zu systematisieren. Der nie vollendete Atlas, der nach Warburgs Tod in seine Einzelteile zersplittert wurde, wurde zuletzt rekonstruiert und liegt nun als Buch vor (Hatje Cantz Verlag, 200 €).
Was Warburg zum aktuellen Instagram-Trend gesagt hätte, muss Spekulation bleiben. Doch die Lust, sich Bilder aus dem Fundus der Kunstgeschichte anzueignen, darf durchaus als Indiz für ihre bleibende Kraft gelten.
Zeitgenössische Kunstschaffende – von Cindy Sherman und Bill Viola in den USA bis zu Irene Andessner oder Dorothee Golz in Österreich – nutzen die Strategie der Aneignung seit Langem. Dass sie jetzt zum Breitensport geworden ist, unterstreicht aber, dass Kunst auch funktioniert, wenn man nicht den Bildungshintergrund hat, um alle Querverweise und Codes zu knacken.
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