In Wiens Kultur wird gespart werden: "Es wird radikalere Schritte geben“

Wien muss sparen. Und ja, „so schmerzlich es ist“, auch bei der Kultur. Das kündigt Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler im KURIER-Interview an.
Sie sagt:
- "Es wird Einschnitte geben, das ist völlig klar. In dieser Zeit ist es ein Erfolg, wenn das Budget in einer Institution gehalten werden kann."
- Etwa bei den Vereinigten Bühnen Wien wird "etwas kommen müssen". Sie stellt auch mögliche mittelfristige "Fusionen" in der Wiener Kulturszene in Aussicht, die aber "klug" angegangen werden müssen.
- "Generell ist meine Ansage an alle Institutionen: Macht etwas weniger!"
- Sie stellt auch Projekte in Aussicht, die verwirklicht werden. Und sagt: "Wir bewahren das kulturelle Profil, für das wir gerühmt, gelobt und besucht werden. Das ist mein Ziel. Und ich bin mitten im Kampf."
- Und sie sagt, wie sie heute über die Finanzierung des Johann-Strauss-Jahres denkt.
Den Auftakt zum Interview macht aber die Weltpolitik, die in der Kulturszene durchschlägt.
KURIER: Der Gaza-Krieg ist das bestimmende Thema in der Kunstszene – mit Schlagseite: In mehreren Produktionen, die heuer bei Festwochen zu sehen waren, zeigte man unverhohlen Sympathie für die Palästinenser.
Veronica Kaup-Hasler: Ich habe nicht alle Produktionen gesehen, aber ich konnte diese Schlagseite nicht erkennen. Wenn jemand einen Palästinenserschal trägt, heißt das nicht automatisch, dass er oder sie gegen den Staat Israel ist.
Der deutsche Staatsminister Wolfram Weimer sagte Ende August: „Wer Menschen wegen ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder ihrer jüdischen Identität von den Bühnen ausschließt, untergräbt die Integrität unserer Republik. Es handelt sich um eine besonders perfide Form des gegenwärtigen Antisemitismus.“ Wie sehen Sie das?
Aussagen wie diese sind eine unglaubliche Verkürzung. Ich glaube, dass wir als Gesellschaft mit Schrecken und Empathie vor einer veränderten Weltlage stehen. Und in der Kultur wurde seit jeher eben auch das Leiden indirekt thematisiert. Natürlich hat diese Situation, die so schrecklich eskaliert ist, ihren Ausgang genommen in dem bestialischen Terroranschlag der Hamas. Und natürlich gibt es gerade in den Täterländern, die in der NS-Zeit so viel Schuld auf sich geladen haben, eine andere Verantwortlichkeit gegenüber dem Staat Israel: Er darf nirgendwo infrage gestellt werden. Also: Die Existenz Israels, eines demokratischen Landes, steht außer Frage. Und wer sie angreift, ist nicht mein Freund. Dennoch muss man in der Lage sein dürfen, völkerrechtliche Verbrechen anzusprechen – egal von wem, auch jene von der Regierung Netanjahus. Da müssen wir als Weltgemeinschaft schärfer Kritik üben, zum Beispiel auch an der Siedlungspolitik Israels, die eine Aggression gegenüber den Palästinensern darstellt und gegen die Idee einer friedlichen Koexistenz aller arbeitet. Sie ist zu verurteilen.
In der Kulturszene macht man aber keinen Unterschied zwischen der israelischen Regierung und den Israelis. Die Münchner Philharmoniker wurden von Gent ausgeladen, weil sie einen israelischen Dirigenten haben. Deswegen spricht Weimer von Antisemitismus.
Ich finde jeden Boykott von israelischen Künstlern – beziehungsweise von Künstlern aus welchem Land auch immer – völlig überzogen. Das ist auch nicht künstlerisch gedacht. Denn die meisten Künstler sind Dissidenten, die zur Demokratisierung beitragen wollen. Ich habe kein Verständnis für Boykott, ich habe kein Verständnis für Ausladungen.
Wie wird das also beim Song Contest 2026 in Wien sein?
Für den bin ich nicht verantwortlich.
Aber Sie sind eine Meinungsbildnerin. Wie sollte sich die Stadt Wien oder die Republik zu den Forderungen verhalten, Israel und den israelischen Teilnehmer auszuschließen? Spanien hat bereits beschlossen, andernfalls auf eine Teilnahme zu verzichten, Irland und die Niederlande haben es angekündigt.
Der Eurovision Song Contest hat immer auch eine nationale Komponente. Ich wäre trotzdem dafür, dass man Israel teilnehmen lässt. Denn ich möchte nicht einem möglichen Antisemitismus Vorschub leisten. Ich würde mich, wäre ich der Veranstalter, mit den Spaniern und den anderen zusammensetzen und Wien als Ort des Dialogs und des Friedens etablieren. Aber jetzt möchte ich gern zu meinen Themen kommen. Wir haben Wichtiges zu besprechen.
Das Budget 2026 zum Beispiel. Erst im November werden Sie die definitiven Zahlen haben, aber schon jetzt kennen Sie die Tendenz.
Die geht nicht nach oben.
Und wie reagieren Sie?
Die jetzigen Regierungen im Bund wie in der Stadt müssen aus vielerlei Gründen – Inflation, Energiekrise, hohe Gehaltsabschlüsse – große Einsparungen vornehmen. Davon ist niemand ausgenommen, auch wir werden, so schmerzlich es ist, unseren Beitrag leisten müssen. Mein Anspruch ist es, die Kultur weitestgehend zu bewahren und abgegebene Versprechen nicht zu brechen. Zum Beispiel, dass der Besuch der Dauerausstellung des Wien Museums gratis bleibt. Oder: Das Kinderkulturhaus in Floridsdorf wird ohne Abstriche gebaut. Und das Junge Theater Wien wird umgesetzt: Es bringt Produktionen in die fünf größten Bezirke, also Donaustadt, Floridsdorf, Simmering, Favoriten und Liesing.
Wo wird daher eingespart werden?
Ich will nicht mit einem Prozentsatz drüberfahren, sondern passgenaue Lösungen erarbeiten. Zum Beispiel: Die Anzahl der Arbeitsstipendien wird mit Blick auf die Sparmaßnahmen angepasst. Gleichzeitig schauen wir aber, in welchen Genres es sogar mehr Stipendien braucht – und in welchen weniger.
Wie viel wird die Kultur insgesamt einsparen müssen?
Diese Verhandlungen sind Gott sei Dank noch nicht beendet. Es wird Einschnitte geben, das ist völlig klar. In dieser Zeit ist es ein Erfolg, wenn das Budget in einer Institution gehalten werden kann.
Was aufgrund der hohen Inflation von derzeit über vier Prozent einer faktischen Kürzung gleichkommt.
Das ist so. Generell ist meine Ansage an alle Institutionen: Macht etwas weniger! Wir sind eine Stadt mit einem wahnsinnigen Output. Vielleicht kann man die Zahl der Produktionen – nicht der Vorstellungen! – reduzieren? Die Theater- und Opernhäuser können aufgrund der langen Planungszeiten keine Vollbremsung hinlegen, das geht nicht. Aber es geht um die Frage: In welchem Zeitrahmen könnt ihr etwas im System verändern? Das erhöht natürlich den Erfolgsdruck, denn die einzelnen Produktionen laufen dann länger …
Das wird als Maßnahme bei Weitem nicht langen.
Ja, Einzelmaßnahmen werden nicht langen, aber es gibt viele Möglichkeiten. Ich rege zum Beispiel an, über Synergien in der Verwaltung nachzudenken. Können zum Beispiel Buchhaltungen zusammengeführt werden? Die Kulturvermittlung? Mittelfristig wird es vielleicht auch zu Fusionen kommen. An denen ist klug zu arbeiten.
Wie man hört, macht sich in den Mittelbühnen bereits Panik breit ...
Natürlich, wer hier nicht mit Sorge vorausblickt … Aber mit voller Hose lässt sich keine gute Politik machen. Wir müssen angstfrei und klug über die Krisenjahre hinaus denken. Wenn wir jetzt mit der Wahnsinnsaxt kommen, beschädigen wir Strukturen, die danach nicht mehr aufbaubar sind oder nur mit sehr hohen Kosten. Das heißt: Das Koproduktionshaus Brut werden wir für die freie Szene brauchen, auch wenn die Realisierung in St. Marx länger dauert, als ich mir es gewünscht habe. Ich glaube auch, dass der Umzug von der MUK ins Otto-Wagner-Areal richtig ist. Mit dem Atelierhaus, das bereits beschlossen wurde, und dem DÖW wird das eine richtige Zukunftsstadt der Kunst und der Wissenschaft.
Daher wird es auch das von Ihnen angekündigte Spiegelgrund-Museum geben, das sich mit der Euthanasie in der NS-Zeit beschäftigt?
Es wird Gedenkorte geben, denn wir brauchen solche für diese unfassbaren Verbrechen. Ich bin dankbar, dass der Bürgermeister und die Finanzstadträtin nicht von den Visionen abrücken. Wir müssen allerdings daran arbeiten, dass sich die Wirtschaft stärker einbringt. Die PORR zum Beispiel hat zugesagt, künftig den Kultursommer zu unterstützen.
Die Bank Austria hingegen hat das Kunstforum untergehen lassen. Doch zurück zur Problematik: Paul Gessl, der Chef der NÖKU, sagte im KURIER, dass die Institutionen an den Fixkosten ersticken werden – unabhängig von der Zahl der Produktionen, die vergleichsweise wenig kosten.
Ja, weil die Personalkosten derart nach oben gegangen sind.
Daher muss das Orchester in Baden aufgelöst werden. Braucht es nicht auch in Wien radikale Schnitte?
An manchen Stellen wird es auch radikalere Schritte geben. Aber wir bewahren das kulturelle Profil, für das wir gerühmt, gelobt und besucht werden. Das ist mein Ziel. Und ich bin mitten im Kampf.
An welche Schnitte denken Sie?
Die Kämpferin schwächt es, wenn sie ihre Strategien bekannt gibt. General Kutusow hat in „Krieg und Frieden“ nicht viel über seine Strategien verraten – und konnte daher Napoleon besiegen. Mit diesem Wissen werde ich agieren. Und ich will keine Angst schüren. Wir müssen sagen: Okay, das werden jetzt drei, vier schwierige Jahre. Und wir müssen durch diese Zeit so durchkommen, dass wir die Substanz nicht beschädigen. Also ganz klar: Ich will die Symphoniker nicht abdrehen.
Das hat auch niemand angenommen. Sparen kann man bei den großen Ausgaben. Also zum Beispiel bei den Vereinigten Bühnen Wien und den Festwochen.
Die Festwochen haben es in den letzten Jahren wieder geschafft, international von sich reden zu machen. Wir gehören neben Avignon und Edinburgh zu den wichtigsten Festivals, sind ein Leuchtturm in der europäischen Festivallandschaft, auf den ich total stolz bin. Die Auslastungszahlen sind sensationell. Und der Auftrag der Festwochen ist es, zu produzieren.
Wir haben also bereits die gute Nachricht: Bei den Festwochen wird nicht gespart.
Jetzt nicht. Eigentlich müssten die Festwochen, wäre die Förderung in den letzten Jahren indexiert worden, 15,5 Millionen bekommen, aber die Subvention beträgt nur 13,6 Millionen. Aber weil Sie auch die Vereinigten Bühnen erwähnt haben: Da wird etwas kommen müssen.

Sie meinen: Kürzungen. Ein Thema noch: Derzeit läuft in Wien das Spektakel „Cagliostro“: Was haben Sie heuer über Johann Strauss gelernt?
Dass man ihn vielseitig verwenden kann.
Waren die 22 Millionen Euro für das Strauss-Jahr richtig eingesetzt?
Das Strauss-Jubiläum bearbeitet ein breites kulturelles Feld und stärkt mit seinen vielen Kooperationen die Wiener Künstlerinnen, Künstler und Institutionen. Außerdem feiern wir einen großen Künstler unserer Stadt mit einem bunten Programm für alle Generationen. Im Vergleich dazu hat das Mozart-Jahr übrigens mit einem Budget von 45 Millionen gearbeitet.
Das war 2006 – eine andere Zeit.
Aus heutiger Sicht würde ich, da wir jeden Cent brauchen, ein Strauss-Jahr finanziell geringer ausstatten.
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