Eröffnung Salzkammergut 2024: Die Kulturhauptstadt-Maschine ist gestartet
Eingeläutet wurde das Kulturhauptstadtjahr nicht etwa in Bad Ischl – und auch nirgendwo sonst im Salzkammergut. Sondern im Hausruckviertel. Denn in Attnang-Puchheim hängten die ÖBB einen sonderbaren Waggon an ihren Regionalexpress, der ein wenig an eine Skulptur von Bruno Gironcoli erinnert. Der Glögglwaggon ist mit Glocken und Schellen bestückt – und mit Paddeln, die bei Fahrtwind rotieren und dabei Impulse an die Klöppel geben.
Georg Nussbaumer, der Konstrukteur der kinetischen Klangskulptur, hatte sich von den Glöcklern inspirieren lassen: Als strahlende Lichtgeister vertreiben sie am 5. Jänner die Raunachtgeister.
Am späten Freitagnachmittag ging es los in Attnang-Puchheim, der Zug pflügte sich durchs Schneegestöber. Es bimmelte und bammelte. Und von der Ferne antworteten die Kirchenglocken – so war es jedenfalls vorgesehen.
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Aufgebocktes Surfbrett
Erster Stopp war Gmunden. Dort macht sich das Kulturhauptstadtjahr gegenwärtig nur durch zwei Interventionen im öffentlichen Raum bemerkbar: Studierende von Hans Schabus an der Angewandten in Wien gestalteten die Station Klosterplatz der Traunseetram in ein Schiff um. Es sieht aber eher wie ein aufgebocktes Surfbrett aus.
Und an der Esplanade ließen Studierende der Linzer Kunstuni eine schwimmende Sauna zu Wasser. Sie soll im Laufe des Jahres mit weiteren künstlichen „Inseln“ als „Plateau Blo“ über den Traunsee gleiten – und somit ein „Statement gegen exklusives Besitzdenken“ setzen. Die Einweihung der Sauna gelang nicht; ein Sturm hatte die Holzkonstruktion, lackiert im Kulturhauptstadt-Orange, ramponiert. Doch der unbeugsame Wille zählte fürs Werk.
Über Ebensee ging es mit dem Glögglwaggon weiter nach Bad Ischl. Dort gab es großen Bahnhof – wie bei der Ankunft eines Stars. Hunderte Schaulustige fotografierten aber nicht Umweltministerin Leonore Gewessler, sondern nur die an sich völlig sinnlose Maschine, die sich erst lange nach Stillstand ausbimmelte. Echo war ob des Trubels keines zu vernehmen. Wiewohl – laut Konzept – die Kirchenglocken auf den „Heidenlärm“ antworten sollten.
Man hätte noch bis Stainach-Irdning in der Steiermark weiterfahren können. Aber da passiert noch nicht viel: Die Eröffnung am Samstag bei Kaiserwetter konzentrierte sich auf Ischl.
Eine hoch komplexe Maschine entdeckt man im dortigen Lehár-Theater. Vor genau 100 Jahren schufen Fernand Léger und Dudley Murphy mit „Ballet Mécanique“ einen der ersten abstrakten Filme. Und der Komponist George Antheil sollte mit seiner Musik, dargebracht von mechanischen Klavieren, die 20-minütige, wilde Collage aus Szenen mit Bewegung untermalen. Im Endeffekt klappte das nicht, weil die technischen Voraussetzungen für die Synchronisation der Automaten noch nicht erfunden waren.
Winfried Ritsch, ein liebenswerter Nerd im Bereich der Computermusik, hat Antheils Visionen umgesetzt: mit drei Pianos, drei Xylofonen, vier Basstrommeln, mit Sirenen, Ratschen, Klingeln, einem Tamtam (Gong) und extrem viel Elektronik. Da wird von Geisterhand mit Affentempo in die Tasten gehaut und auf die Felle geschlagen. Macht staunen.
Auch ein paar 100 Meter weiter stößt man auf Maschinen – im ehemaligen Sudhaus der Saline. Mitte der 1960er-Jahre wurde die Salzproduktion auf Ebensee konzentriert; in das Erdgeschoß des Industriedenkmals zogen Geschäfte und Betriebe ein, das 2.000 Quadratmeter große Obergeschoß aber blieb ungenutzt. Schon lange denkt man über ein Kulturzentrum nach. Ein erster Schritt ist nun gesetzt: mit der informativen, teilweise spektakulären Ausstellung „Kunst mit Salz und Wasser“ (bis 31. Oktober).
Wirklich prickelnd ist der Titel nicht. Kurator Gottfried Hattinger wollte sie „Salt.Lake.City“ nennen, doch Hannes Androsch als Eigentümer der Saline war dagegen. Weil es ja nicht um die Mormonen gehe. Elisabeth Schweeger, die angriffslustige Intendantin des Kulturhauptstadtjahres, nannte ihr Salzkammergut-Lesebuch daher justament „Salt Lake Country“.
In der Schau geht es um das Schmelzen der Gletscher – etwa in der Klanginstallation von Caterina Gobbi und im Video von Anouk Kruithof – wie um die Besonderheit des Toten Meeres: Simon Starling baute aus dort gewonnenem Magnesiumchlorid ein Kanu, mit dem er nach Jordanien rudern wollte. Und Sigalit Landau stellte Schuhe, dick bedeckt mit den Kristallen des Toten Meeres, auf einen zugefrorenen See in Europa: Über Nacht „ertranken“ sie in diesem. Eine ähnliche Idee verfolgten Nicole Six & Paul Petritsch: Ein Mann schlägt auf einer Eisfläche rund um sich ein Loch, bis er reinplumpst. Aber das hört man leider nur.
Bunte Salzblumen
Das Salz als Werkstoff verwenden Michael Sallstorfer (er meißelte aus Blöcken riesige Zähne), Anna Rún Tryggvadóttir (sie bringt über den Sommer bunte Salzblumen zum Blühen) und Motoi Yamamoto: Er streute aus sechs Tonnen Salz ein 100 Quadratmeter großes Labyrinth.
Eva Schlegel lässt im virtuellen Raum Sätze und Gedanken rieseln, Lucy + Jorge Orta rüsteten eine Plätte, auf der einst das Salz transportiert wurde, mit einer komplexen Wasseraufbereitungsanlage aus. Und Christine Biehler baute eine monströse wie faszinierende Salzbatterie: Wenn sie genug Strom erzeugt hat, gibt die Orgelpfeife daneben einen tiefen Ton von sich. Als würde ein Ozeandampfer ablegen. Das Kulturhauptstadtjahr ist nun tatsächlich in See gestochen.
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