Künstler Daniel Spoerri ist tot: Der humorvolle Avantgardist starb 94-jährig
Im Jahr 2007 beschloss ein 77-jähriger Mann namens Daniel Spoerri, Charmeur der alten Schule und hinreißender Geschichtenerzähler, sich in Wien niederzulassen. Hier nun ist der Künstler nach KURIER-Informationen an Multiorganversagen gestorben.
Der Kosmopolit, Rumäne und Schweizer mit jüdischen Wurzeln, hatte allerorts gelebt, in Bern und Paris, auf einer griechischen Insel, in San Francisco, in den großen Städten Deutschlands. Er lebte 20 Jahre in der Toskana, wo er einen imposanten Skulpturenpark, „Il Giardino“, begründete, später im Tessin.
Und dann wollte er nach Triest. „Aber ich musste feststellen, dass es das Triest, das ich in meinem Kopf hatte, nicht mehr gibt. Nämlich das Triest des Claudio Magris. Ich wäre, wie in der Toskana, wieder nur im Italienischen gewesen – und oben im Karst sind die Slowenen. Das war mir sprachlich zu kompliziert.“ Die Wahl fiel daher auf Wien. Weil er hier etliche Künstler, darunter Nives Widauer, kannte – und weil Wien einst die Hauptstadt für den Osten war: „Das hat mich interessiert.“
Denn geboren wurde er als Daniel Isaac Feinstein am 27. März 1930 in Galati. Sein Vater, ein vom Judentum zum evangelischen Glauben konvertierter Missionar, züchtigte ihn: „Aber nicht aus Sadismus. Es war eine alttestamentarische Strenge.“
1941 wurde der Vater von Faschisten ermordet, die Mutter übersiedelte mit ihren sechs Kindern nach Iasi. „Es war Krieg, ich verwilderte in einer Straßenbande. Das war schön, das hat mir gut gefallen. Es kamen kleine Propellerflugzeuge angeflogen, die man schon von weitem hörte, und es flogen Bömbchen. Wir waren kleine Gauner und schlau, wir sammelten all die Dinge auf, die da herumspritzten, verkauften sie und konnten mit dem Geld ins Kino gehen.“
Ein Jahr später floh die Mutter, geborene Spoerri, mit der Kinderschar in die Schweiz. In Zürich wurde der Jüngling von seinem Onkel Theophil Spoerri adoptiert. Er musste wieder zur Schule, wollte aber Tänzer werden. Daher ging er nach Paris und besuchte eine Ballettschule: „Ich musste Geld verdienen, arbeitete als Modell und so kam ich langsam in das Künstlermilieu. Ich lernte Eva Aeppli und Jean Tinguely kennen. Tinguely erfand dieses Maschinentheater ,Méta-matic, die Motoren dafür kaufte er mit meinem Geld. Ich verliebte mich in Eva Aeppli, wir waren eine Zeit lang ein Dreieckspaar. Es war eine komplizierte Geschichte.“
Um 1960 stellte er in Amsterdam die Ausstellung „Bewogen Beweging“ zusammen: „Und in dieser Suppe mit der Kinetischen Kunst gab es für mich die Erleuchtung: Die Antithese zur Bewegung ist eine fixierte Situation, der Stillstand.“
So begann es mit den „Fallenbildern“, die Spoerri berühmt machten: Er klebte alles, was sich auf einer Tischplatte befand, auf eben dieser fest. „Der Tisch war für mich wie ein Bild von Malewitsch: ein Quadrat mit Kreisen und Balken darauf. Und diese fixierten Tische hängte ich an die Wand.“
Die „Fallenbilder“ sind eine Mischung aus Zufall und Arrangement. Eine beliebte Methode war es, zum Essen einzuladen. Jeder hatte einen beliebigen Gegenstand mitzubringen und auf den Tisch zu legen. Irgendwann verkündete Spoerri das Ende des Mahls – und genau dieser Moment wurde eingefroren.
Interessanterweise sind diese dreidimensionalen „Fallenbilder“ Zeitkapseln geworden. Denn es wurden Gegenstände konserviert, die es heute gar nicht mehr gibt. Etwa die Zigarettenschachtel „Life“.
Versteinerte Exkremente
Für die „Fallenbilder“ wie auch für seine Assemblagen benötigte Spoerri viel Material. Er wurde zu einem leidenschaftlichen Sammler absurder oder kruder Dinge wie Koprolithen (versteinerte Exkremente), Teigradeln, Kartoffelschälern, medizinischen Instrumenten, Brillen, Schuhspannern, Puppenköpfen aus Porzellan … „Ich nehme die Welt über diese Objekte wahr. Ich will keine Theorie daraus machen, es ist einfach so. Über die Objekte kann ich mich äußern. Sie sind mein Zugang zur Welt.“ Denn Spoerri konnte nicht zeichnen: „Dieses Manko musste ich in etwas Positives verwandeln. Weil ich nicht zeichnen kann, male ich – mit den Objekten.“
Und dann, bereits in Wien, gingen seine verstreuten Lager über. Eine Assistentin riet ihm, ein ehemaliges Klostergebäude in Hadersdorf am Kamp zu erwerben, um dort alles zu konzentrieren. So entstand 2009 das Ausstellungshaus Spoerri. 2015 sah man dort 40 kuriose Sammlungen – „gesucht, gefunden und arrangiert“ von ihm und Kuratorin Barbara Räderscheidt. Die meisten stammten vom Meistersammler persönlich: afrikanische Nackenstützen, verzierte Gehstöcke, galvanisierte Kinderschuhe, Mastikatoren (Zangen zum Zergatschen von Essen), Schamschürzen, Torazeiger, (vermeintliche) Penisknochen ...
Und aus der ehemaligen Poststation, 100 Meter entfernt am Hauptplatz, machte er ein Esslokal. Denn schon in den späten 1960er-Jahren hatte Spoerri, Teil der damaligen Fluxus- und Happening-Szene, das „Restaurant Spoerri“ mit dem Konzept „Eat Art“ in Düsseldorf geführt.
Und für Krems, wenige Kilometer entfernt, setzte er seine Serie „Musée sentimental“ fort. Das erste Stadtporträt anhand von sprechenden Objekten hatte Spoerri in den späten 70ern in Köln realisiert, es folgten „Musée sentimental“-Ausstellungen zum Beispiel in Berlin und Basel.
Der Tod war immer nahe
2021, anlässlich seines 91. Geburtstags, zeigte das Bank Austria Kunstforum in Wien eine liebevoll zusammengestellte Retrospektive. Damals besuchte der KURIER Spoerri in dessen Wohnung beim Naschmarkt, die auch Atelier ist. Bei der Eingangstür lehnte ein am Naschmarkt billig erstandenes Skelett aus Gummi. „Mein Freund“, sagte Spoerri schmunzelnd. „Er ist jetzt da. Er hat sich daran gewöhnt, da zu sein.“
Rückblickend sagte er: „Der Tod war immer sehr nahe.“ Und in einem Interview Jahre zuvor: „Leben, Tod und Essen: Das interessiert mich. Das ist eigentlich mein Thema.“
Daniel Spoerri, der weise Mann mit den staunenden Augen, lebte inmitten abertausender Gegenstände. Er komponierte weiter Assemblagen, konnte sie aber nicht mehr selbst fixieren. Im Februar 2023 war er bei einer Vernissage in der Schleifmühlgasse: Für eine Gruppenschau mit künstlerischen Pyjamas steuerte er einen Overall bei. Ein gespenstisches Ding mit geometrischen Applikationen in Schwarz.
Nun, am Mittwochnachmittag, ist er in einem Wiener Krankenhaus an Multiorganversagen gestorben.
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