Daniel Spoerri über sein Leben: „Der Tod war immer präsent“
Das Leben des Daniel Spoerri, geboren am 27. März 1930 als Daniel Isaac Feinstein in Rumänien, lässt sich nur ungenügend in wenigen Sätzen nacherzählen. Sein Vater, ein vom Judentum zum evangelischen Glauben konvertierter Missionar, wurde 1941 von Faschisten ermordet, im Jahr darauf floh die Mutter, eine Schweizerin, mit ihren sechs Kindern nach Zürich.
Spoerri war Tänzer, arbeitete als Modell, in den 50er-Jahren lernte er unter anderem Jean Tinguely kennen. „Und in dieser Suppe mit der Kinetischen Kunst gab es für mich die Erleuchtung: Die Antithese zur Bewegung ist eine fixierte Situation, der Stillstand.“ Von 1960 an konservierte er die Tische just so, wie er sie nach dem gemeinsamen Essen vorfand. Diese dreidimensionalen „Fallenbilder“ hängte er an die Wand, er kippte sie von der Waagrechten in die Senkrechte.
Doch Spoerri sammelte auch Artefakte und Alltagsgegenstände, schuf Assemblagen sonder Zahl, er gründete Restaurants („Eat Art“), in der Toskana legte er einen Skulpturengarten, den „Giardino“, an. Er lebte in Paris, New York und San Francisco, in Hamburg, Darmstadt, Köln und Düsseldorf, auf einer griechischen Insel und im Tessin. Anfang 2007 übersiedelte Spoerri nach Wien, zwei Jahre später eröffnete er in Hadersdorf ein Ausstellungshaus – und ein Restaurant in der ehemaligen Poststation.
Anlässlich seines 91. Geburtstag zeigt das Bank Austria Kunstforum ab heute (bis 27. Juni) eine von Veronika Rudorfer liebevoll zusammengestellte Retrospektive – mit gut 100 Werken aus 43 Sammlungen und fast sieben Jahrzehnten. Zu sehen gibt es nahezu alles, was den Universalkünstler ausmacht: neben den Fallenbildern und Assemblagen auch Collagen aus bestickten Tüchern, Skulpturen und seine „Eggcyklopedia“, eine Ergänzung zum Eiermuseum des Wander Bertoni.
Der KURIER besuchte Spoerri in dessen Wohnung beim Naschmarkt, die auch Atelier ist. Begrüßt wird man von einem an der Wand lehnenden Skelett aus Gummi. „Mein Freund“, sagt Spoerri schmunzelnd. „Er ist jetzt da. Er hat sich daran gewöhnt, da zu sein. Ich habe ihn für 20 Euro hier am Flohmarkt gekauft. Ich war erstaunt; ich hätte auch 50 bezahlt.“
KURIER: War der Naschmarkt ein Grund, warum Sie 2007 nach Wien gezogen sind?
Daniel Spoerri: Nein. Er ist nicht so toll. Die Flohmärkte sind in Paris gut. Dort ist wirklich was los! Ich war immer drei Tage auf den verschiedenen Flohmärkten, hatte ein Lager voll interessanter Sachen, den Rest der Woche habe ich im Atelier gearbeitet.
Warum sind Sie nach Wien?
Vor vielleicht 30 Jahren lebten viele Künstler, die ich kannte, in dieser Gegend. Daher wollte ich hierher. Wien war für mich, weil ich in Rumänien geboren wurde, die Hauptstadt für den Osten. Und das hat mich interessiert. Paris war schön vor 50 Jahren. Aber jetzt ist Wien viel interessanter. Ich bin sehr zufrieden hier.
Sie verlebten Ihre Kindheit in Galati. Waren Sie nach der Flucht noch einmal dort?
Ich hab’ einmal eine Rundreise durch ganz Rumänien gebucht. Über Bukarest und Sibiu nach Iași. Und von dort sollte es weitergehen nach Galati. Aber in Iași habe ich mich mit meiner Begleitung zerkracht – und bin am nächsten Tag nach Wien geflogen. Und so war ich nie mehr dort. Merkwürdigerweise haben sie mich vor ein paar Wochen zum Ehrenbürger von Galați gemacht.
Schon als Kind haben Sie mit gefundenen Sachen gespielt?
Ich hatte immer etwas in der Tasche, das mich interessiert hat.
Woher kommt die Lust am Sammeln – von Teigradeln, Kartoffelschälern, medizinischen Instrumenten, Koprolithen, Schuhspannern, Brillen, Puppenköpfen aus Porzellan, Tora-Zeigern, Artefakten, Metallteilen etc.?
Ich nehme die Welt über diese Objekte wahr. Ich will keine Theorie daraus machen, es ist einfach so. Über die Objekte kann ich mich äußern. Sie sind mein Zugang zur Welt.
Im Interview mit der Kuratorin Rudorfer sagen Sie, dass Sie nicht zeichnen können.
Genau. Dieses Manko musste ich in etwas Positives verwandeln. Weil ich nicht zeichnen kann, male ich – mit den Objekten.
Suchen Sie auf Flohmärkten – oder lassen Sie sich vom Angebot inspirieren?
Beides. Entweder suche ich etwas Bestimmtes, das mir für eine Komposition fehlt, oder ich finde etwas, das mir eine Idee gibt. Das ist so ein Dialog mit meiner Umwelt – eben über die Objekte.
Sie machen Assemblagen. Und dann gibt es die Fallenbilder. Greifen Sie nicht auch bei ihnen ordnend ein?
Die Fallenbilder sind ja gerade nicht komponierte, sondern gefundene Situationen. Die Fotografie ist eine Fälschung der Realität. Aber ich wollte die Realität so, wie ich sich vorgefunden habe: Eine Situation wie diese hier (das Kunterbunt auf dem Tisch) wird fixiert – und zum Schauen auf Augenhöhe gehängt. Denn man sieht etwas anders, wenn es an der Wand hängt. Das war der Ausgangspunkt, da war ich sehr streng.
Keine Kompromisse?
Wenn ich vorgehabt hätte, diesen Tisch zu kleben, und Sie hätten gesagt, dass Sie Ihr Aufnahmegerät wieder brauchen, hätte ich gesagt: „Okay, dann mache ich den Tisch eben nicht.“ Das war im Anfangsstadium. Später hab’ ich das aufgelockert, und ich habe auch komponiert. Dann nahm ich eben als Ersatz für Ihr Gerät ein anderes Objekt. Jetzt bin ich in dieser Beziehung sehr viel freier.
Sie haben ja auch Gäste gebeten, Objekte mitzubringen, die Sie dann integrieren.
Ja, ich habe alle Möglichkeiten durchexerziert.
Aber die Essensreste haben Sie eliminiert. Weil sich diese nicht konservieren lassen?
Faulendes Zeug hab ich nicht aufgeklebt. Aber dreckige Teller reichen schon, damit die Leute glauben, dass es sich um Essensreste handelt.
Eine Sache der Fantasie.
Ja, sie denken weiter. Dieter Roth und andere Künstler haben die Fäulnis integriert in ihr Werk. Aber ich hab’ das nie gemacht.
Kleben Sie selber?
Nein, ich lasse kleben. Ich habe einen Assistenten. Denn ich bin nervös und möchte es schnell machen – und mache es daher weniger gut als jemand, der mit Ruhe arbeitet. Meine Aufgabe ist es, die Objekte zu finden und die Assemblagen zu komponieren.
Es wäre ja auch schlimm, wenn von den Fallenbildern Sachen herunterfielen.
Ich möchte nicht, dass die Leute mir zu meinen Lebzeiten die Fallenbilder zurückbringen, weil etwas heruntergefallen ist.
Viele der Fallenbilder in der Ausstellung sind hinter Plexiglas. Eigentlich schade.
Naja, natürlich soll man das Gefühl haben, dass man die Sachen berühren könnte. Aber die Leute wollen sie auch wirklich berühren. Und das passt mir dann weniger.
Interessanterweise sind diese Fallenbilder Zeitkapseln. Denn es tauchen Gegenstände auf, die es heute gar nicht mehr gibt. Zum Beispiel Zigarettenschachteln.
Ja, sie sind auch ein Zeitdokument. Das hab’ ich mir schon ganz am Anfang gedacht, als ich noch gar nicht wusste, ob ich überhaupt bekannt werde: Sie werden ein dreidimensionales Zeitdokument sein!
Weil beim Eingang dieses Skelett, Ihr Freund, steht: Beschäftigen Sie sich jetzt mehr mit dem Tod, oder war er immer schon präsent?
Der Tod war immer sehr nahe. Schon in Rumänien. Der Krieg, und mein Vater starb. Ich war einige Jahre Assistent von Peter Zadek. Er sagte, er hätte nie auch nur eine Sekunde an Selbstmord gedacht. Mir hingegen war immer bewusst, dass ich Nein sagen kann zu meinem Leben, zu meiner Existenz.
Haben Sie auch versucht, sich das Leben zu nehmen?
Nein, so weit ist es nie gegangen. Aber ich hatte einen jüngeren Bruder, der sich das Leben genommen hat.
Denken Sie nach wie vor daran, Nein zum Leben sagen zu können?
Nein. Jetzt interessiert es mich. Ich hab’ mich eingefunden in dieses Leben.
Am Samstag, 27. März, wird das Ausstellungshaus Spoerri in Hadersdorf eröffnet – mit Zeichnungen von Tex Rubinowitz, Fotos von Hertha Hurnaus und Werken des Geburtstagskinds (Soft Opening ab 11 Uhr). Bis 31. Oktober.
Noch bis 9. Mai läuft die Ausstellung „Antworten auf die Wirklichkeit. Adolf Frohners Begegnung mit dem Nouveau Réalisme“ im Forum Frohner in Krems-Stein mit Fallenbildern von Spoerri als Schwerpunkt.
Und für 14. April ist eine große Ausstellung mit neuen Spoerri-Arbeiten in der Wiener Galerie Krinzinger Schottenfeld geplant
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