Kritik: Weltuntergang im "Hotel Savoy"
Joseph Roth ist, wie alle interessanten Menschen, aus Widersprüchen gebaut. Sozialist und Monarchist. Sachlicher Journalist – und gleichzeitig dichtender Erzähler, der sogar die eigene Biografie romangerecht umgestaltet. Voller Sehnsucht nach dem Katholizismus und nach der Geborgenheit des jüdischen Schtetls seiner Kindheit.
Sein Thema ist immer die Heimatlosigkeit. Roth, der Vaterlose (sein Vater verschwand und tauchte später als Geisteskranker wieder auf), traf der Untergang der k.u.k.-Monarchie als Verlust des "Vaterlandes" besonders schwer. Nach der Machtergreifung Hitlers emigrierte er, der die "braune Pest" zutiefst verachtete, freiwillig nach Paris. Dort starb er 1939 an den Folgen von Alkoholismus (dass Kaisersohn Otto Habsburg ihm befahl, das Trinken einzustellen, war eher kontraproduktiv – sein Körper konnte den Entzug nicht verkraften).
Verfall
Im Mittelpunkt von "Hotel Savoy" (der Roman erschien 1924) steht ein verfallendes polnisches Hotel, Metapher für die Habsburger-Monarchie, bevölkert von Kriegsheimkehrern, versoffenen, dubiosen Geschäftemachern, armen Schluckern und verschuldeten Mädchen, die ihre Körper verkaufen müssen.
Der Hoteldirektor ist gefürchtet und unsichtbar, ein alter Liftboy verleiht Geld und pfändet verschlossene Koffer. Geschundene Fabriksarbeiter hoffen auf die Hilfe eines Milliardärs aus Amerika, aber der will nur spielen. Am Ende geht das Hotel in den Wirren der Revolution in Flammen auf.
Im Mittelpunkt der schönen, gescheiten, aber ein bisschen zu sehr in die eigene Bedeutsamkeit verliebten Inszenierung von Ingo Berk ist der groß aufspielende Marcello de Nardo als geisterhafter, beängstigend bösartiger Hoteldiener Ignatz. Eine hinreißende Darstellung, für die es zu Recht Bravos gab.
Dominik Warta gibt die eigentliche Hauptfigur, den Kriegsheimkehrer Gabriel Dan, zunächst wunderbar lakonisch, dann bremst er sich selbst ein wenig durch Textunsicherheiten – dennoch eine feine Arbeit. Susa Meyer als hinkende Barsängerin, Andrea Bröderbauer als spröde Varieté-Tänzerin, Christoph F. Krutzler als lebenspraller Revolutionär, und all die anderen bieten eine starke Ensembleleistung.
Heimlicher Hauptdarsteller das Abends ist das Einheitsbühnenbild von Damian Hitz: Eine bröckelnde Hotelhalle mit Bar, Aufzug und tunnelartigen Verbindungen in die Unterwelt. Davon abgesehen übertrieb man es ein wenig mit Kunstnebel, Rauch und Explosionen – das Atmen im Zuschauerraum wurde zeitweise zur Qual.
Bild
Die Inszenierung wird Roths Sprache gerecht, sie schwelgt in der morbiden Erotik eines verfallenden Hotels (Joseph Roth lebte mit Begeisterung in derartigen Örtlichkeiten). Die Bühnenfassung von Koen Tachelet ist weniger ein Stück im herkömmlichen Sinn, als ein lebendes Gemälde, ein Bild, merkbar beeinflusst von Motiven Brechts oder Horváths. Für einen ganz großen Erfolg ist der Abend (noch) zu behäbig, zu langsam. Dennoch: viel Applaus.
Fazit: Marcello de Nardo brilliert
Stück Koen Tachelet hat bereits Joseph Roths "Hiob" mit viel Erfolg für das Volkstheater dramatisiert. In einem Hotel im polnischen Irgendwo siechen die Vertreter der k.u.k.-Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg ihrer Entsorgung entgegen. Der Text ist eine österreichische Erstaufführung, die Uraufführung fand 2010 in den Münchner Kammerspielen statt.
Regie Ingo Berk inszeniert feinfühlig, aber ein wenig behäbig. Dennoch: Ein schöner Abend.
Spiel Innerhalb eines starken Ensembles spielt Marcello de Nardo als gespenstischer Liftboy Ignatz groß auf. Dominik Warta bewältigt seine erste Hauptrolle im Volkstheater gut.
KURIER-Wertung: **** von *****
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