Kritik: "Immer noch Sturm" in Salzburg

Kritik: "Immer noch Sturm" in Salzburg
Wenn Dimiter Gotscheff Handke inszeniert, reimt sich tatsächlich Herz auf Schmerz. Vom Pathos schließlich ganz besoffen.

Irgendwann in der Mitte des Fünfstünders räsoniert Schauspieler Jens Harzer gleichsam als Peter Handkes Bühnen-"Ich" über sein hilfloses Herumstehen: "Denn wie soll ich die Geschichte dramatisieren?" Gelächter im Publikum. Weil: ja. Einen Weg haben der Autor und sein Regisseur Dimiter Gotscheff für die Uraufführung von "Immer noch Sturm" bei den Salzburger Festspielen schließlich gefunden. Und er führt über so ziemlich alle Bedeutungen des Wortes Dramatisieren. Vermutlich, weil bei Handke alles Bedeutung hat.

Anders gesagt: Man hat den Dichter schon spröder inszeniert gesehen. Gotscheff aber, der Bulgare, schüttet seine übervolle südosteuropäische Seele über den Stoff. Bis man ganz besoffen ist vom Pathos. Bis sich Herz auf Schmerz reimt. Von beidem gibt es dank Handke reichlich.

"Immer noch Sturm" ist sein bis dato persönlichstes Werk. Auf dem Kärntner Jaunfeld, eigentlich aber in einer Nirgendszeit, einer Anderswelt, trifft er als "Erzähler"-Ich auf die Verwandtschaft. Mutter, Großeltern, Onkeln, Tante. Bei der Familienaufstellung bleibt es nicht: Handke verknüpft die eigene Geschichte mit dem Freiheitskampf der Kärntner Slowenen gegen die Nazis. Und wechselt dabei zwischen Fakt und Fiktion. So darf sein literarischer Lieblingsonkel Gregor, tatsächlich 1943 in Russland gefallen, zu den Partisanen überlaufen und überleben. Tante Ursula aber wird zu Tode gefoltert.

Gotscheff sprach vorab von einem Werk in Dimensionen einer griechischen Tragödie. Und konsequent wählte er für seine Inszenierung einen Mix aus Kommos, deren Klagelied, und Oratorium. Also, aufgefädelt dastehen und monologisieren, statt miteinander spielen.
Action geht anders.

Vielleicht braucht Handke letztlich nicht mehr. Bei ihm ist Sprache Allmachtsmittel. Aus ihr entstehen Schreck oder Sinnlichkeit. Und das exzellente Ensemble des Thalia Theaters füllt seine Formulierungen mit Fleisch und Blut. Sprache, Identität über Sprache sind große Themen im Stück. Ständig wechselt der Tonfall. Von Alltag zu Verlautbarung. Von Hochdeutsch zu Slowenisch zu Kärntner Dialekt. Die Hamburger haben Zweiteres und Drittes mit Bravour erlernt (nur die "Ohrwaschln" misslingen einmal).

So wichtig wie die Sprache, ist Gotscheff Musik. Er lässt Oda Thormeyer als Handkes Mutter das Deutschlandlied (ver)lachen; "Ursula" Bibiana Beglau heult Leonard Cohens "The Partisan"; Ambros` Nationalhymne "Schifoan" interpretieren die Darsteller als Kärtnerliedchor.
Harzer hat als Handke/Erzähler natürlich den besten Part. Er kommentiert dessen Hang zu großem Wort und zum "G`scheitsein" mit Augenzwinkern und lässt so was wie Witz zu.
Obwohl: Knapp vor Mitternacht ging selbst ihm der Schmäh aus. Im Alleingang (eigentlich: -stand) handelte er ab, wovon die Ahnen nichts mehr ahnen. Bis zum Bärentaler. Und da ergriff sie auch ihn, die Ergriffenheit.

Text "Immer noch Sturm" hat seinen Titel von Shakespeares "Still Storm". Die Anmerkung steht über jener Szene, in der König Lear Blitz und Donner anfleht, seine Töchter zu vernichten. Für seinen Text verwendete Handke Familiendokumente, Feldpostbriefe, Fotos, die sein Onkel Georg Siutz (der FPÖler im Clan) im Keller aufbewahrte.

Geschichte Der Freiheitskampf der Kärntner Slowenen gilt Historikern heute als bedeutendste Widerstandsbewegung im "angeschlossenen" Österreich gegen die NS-Diktatur.

Inszenierung Konzertant. Für die heftigste Bewegung sorgen grüne Blätter, die`s pausenlos auf die Bühne regnet. Irgendwie taucht im Kopf der Vergleich mit Toastkäse auf: Er zieht sich und zieht sich und trieft auf allen Seiten raus und lässt den Schinken im Sandwich ganz allein.

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Hintergrund

  • Bilder

Kommentare