Schmerzensfrau und Erlöserin: Albertina modern zeigt Marina Abramović

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Die Retrospektive bereitet die Klassiker des Performance-Stars in spektakulärer Weise auf und betont die religiöse Note.

Es ist eine jener Ausstellungen, an die man sich lange erinnern wird: Eine spektakuläre, brillant inszenierte Präsentation, die nicht nur Filme, Fotos und Objekte, sondern auch real in den Sälen agierende, teils nackte Menschen inkludiert.

Mit ihrer Direktheit ist die schlicht „Marina Abramović“ betitelte Ausstellung in der Albertina Modern einem Stationentheater eigentlich näher als einem Museum. Und sie eröffnet damit auch Neuland für die Albertina, wie der Chef der Institution, Ralph Gleis, bekräftigt.

Dabei ist eigentlich nichts von dem, was die zuvor in London, Amsterdam und Zürich gezeigte Ausstellung präsentiert, wirklich neu: Der Großteil der Arbeiten sind Klassiker der Performancekunst, die Abramović, 1946 in Belgrad geboren, wie keine andere Person geprägt, ausgelotet und popularisiert hat.

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Die Tochter zweier Tito-Partisanen ging stets an die Substanz: 1973 verletzte sie sich mit Messern, die sie immer schneller in die Abstände zwischen ihren Fingern stach. Fotos dieser Performance erregten die Aufmerksamkeit der Galeristin Ursula Krinzinger, in deren Innsbrucker Galerie Abramović 1975 das Stück „Lips of Thomas“ aufführte. Bei diesem ritzte sie sich einen fünfzackigen Stern auf den Bauch und legte sich auf ein Kreuz aus Eisblöcken, während von oben ein Heizstrahler auf die Wunde brannte. Es war nicht das erste Mal, dass Abramović ihre Aktionen bis zur Bewusstlosigkeit und darüber hinaus ausführte.

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Dulden

Derlei Radikalität entstand freilich nie im luftleeren Raum: Dass sich politische Repression im kommunistischen Regime gegen den eigenen Körper wendete und dort symbolisch Protestwirkung entfaltete, ist aus Abramović’ Werken deutlich herauszulesen. Ebenso begegnet man immer wieder einer christlich grundierten Opfer-Idee: Wer den Schmerz der Welt auf sich nimmt, geht aus dem Prozess transformiert – erlöst gar – hervor. Leid wird durch das beständige Ertragen zu Stärke umgeformt. Die Performance „Balkan Baroque“, bei der Abramović auf der Venedig-Biennale 1997 die Gräuel des Balkankrieges verarbeitete und 1.500 Rinderknochen schrubbte, schien die politischen und asketischen Stränge zu verbinden.

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Verwandeln

Das archaische Symbolrepertoire ist aber wohl nur ein Grund, warum Abramovićs Werke im Jahr 2025 weiterhin solche Wirkung entfalten: Denn die Künstlerin ist auch eine Meisterin der Transformation, wenn es darum geht, ihre Ideen für neue Kontexte aufzubereiten. Die Kuratierung tut ein Übriges.

Im zentralen Raum der Schau strahlen Fotos und Videos von Ereignissen, die vor Jahrzehnten stattfanden und eher dürftig dokumentiert wurden, in großen Formaten und einem famosen Ineinander. Viele Werke stammen aus der Zeit von 1976 bis 1988, in der Abramović mit ihrem Partner Ulay zeitlose Bilder für den Zwiespalt des Zwischenmenschlichen schuf: Das Paar saugte sich bei einem Kuss die Luft ab, schrie sich bis zur Erschöpfung an, verknotete sich buchstäblich an den Haaren.

Man fragt sich, wie diese Schau an ihrem ursprünglich geplanten Ort, dem mittlerweile geschlossenen Bank Austria Kunstforum, ausgesehen hätte: Die Räume dort hätten es nötig gemacht, eine Raumfolge entlang und wieder zurück zu gehen.

Für Abramović gab es nach der Trennung von Ulay 1988 aber kein Zurück. Der Rundgang, den die Säle der Albertina Modern erlauben, führt nun auf eine neue Stufe der Transformation – und geht ins spirituelle Metier.

Abramović’ in der Schau ausgebreitete Hinwendung zu energiespendenden Kristallen, wesensverändernden Liege- und Sitzvorrichtungen („Transitory Objects“) und Meditationen an symbolträchtigen Orten wie dem asiatischen Banyan-Baum ist, gelinde gesagt, zwiespältig.

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Erleuchten

Abramović selbst ist bemüht, derlei Werke als logische Fortsetzung ihrer transformativen Durchhalteperformances darzustellen. Das lässt sich argumentieren – ebenso wie allerdings die Sichtweise, dass ihre Kunst irgendwann in eine Gundel-Gaukeley-Phase eingetreten ist, die mit verklärten Fotos und schrägen Objekten eben auch marktfähigere Produkte hervorbringt, als es die grobkörnigen Dokumente der blutigen Radikal-Performances von anno dazumal sind.

Mit zwei riesigen Kreuzen und einem von durchleuchteten Kristallen gesäumten „Portal“, durch das Besucher zu treten aufgefordert sind („Per aspera ad astra“!) trägt die Schau gegen Ende jedenfalls etwas gar dick auf. Dennoch: Man wird diese Jahrhundertfigur der Performancekunst nicht so bald derart gut und ausgiebig präsentiert bekommen wie hier.

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