Eine Bergtour in höhere Sphären: Ausstellung zeigt Esoterik in Wien um 1900

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Die Schau „Verborgene Moderne“ arbeitet die okkulten und lebensreformerischen Strömungen hinter Schiele, Kokoschka & Co. auf

Nein: Die Wanderschuhe, die in einer Vitrine im vorletzten Raum des Ausstellungsrundgangs zu besichtigen sind, setzen keinen allzu spektakulären Schlusspunkt.

Doch das flankierende Zitat aus Friedrich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ („ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger, ich liebe die Ebenen nicht“...) – führt geradewegs zurück zum Ausgangspunkt der anspruchsvollen Tour, die man an dieser Stelle absolviert hat. Sie führt tief ins 19. Jahrhundert, zu Nietzsches „Gott ist tot“-Postulat und Richard Wagners Kunsterlösung. Sie führt in die Höhlen von Schwurblern und Rassen-Ideologen. Aber auch zu Sportlern, Feministinnen und Pionieren sexueller Freizügigkeit.

Einblick in die Ausstellung

Im Frühtau zu Berge

Die materialdichte und dabei sehr ansprechend gestaltete Schau „Verborgene Moderne“ widmet sich einem Stück Geistesgeschichte, das für ein Verständnis der Zeit um 1900 unabdingbar scheint. In den Ausstellungen, die Museen dieser Epoche widmeten, blubberte die Rolle der Esoterik bisher aber immer nur kurz auf, wenn überhaupt.

Dabei waren die als Mäzene und Ideengeber so wichtigen Ärzte, Wissenschafter und Großbürger – und ganz wesentlich die Frauen dieses Milieus – keineswegs nur der vernunftorientierten Weltsicht zugetan: Der moderne Wunsch nach Erneuerung speiste sich genauso aus fernöstlichen Lehren, der daraus abgeleiteten Theosophie, aus Geisterglauben und mehr.

Militante Vegetarier

Ausgehend vom Gespann der militanten Vegetarier Friedrich Nietzsche und Richard Wagner führt die von Matthias Dusini und Ivan Ristić stets mit Blick auf die Wiener Situation kuratierte Schau zunächst zu Karl Wilhelm Diefenbach: Der in Bart und Sackleinen auftretende Maler schuf neben dem Fries „Per aspera ad astra“ („Durch Mühsal zu den Sternen“) auch größenwahnsinnige Entwürfe für Tempel, die man dem Kult der Kunst bauen sollte. Als Leiter einer Kommune in Ober-St.Veit agierte Diefenbach autoritär, womit er nicht nur als Vorläufer des 80er-Jahre-Hippies „Waluliso“, sondern auch als jener Otto Muehls gelten kann.

Diefenbachs Kommune war jedoch eine Keimzelle: Zu den Abgängern zählte neben Gusto Gräser, Mitbegründer der Lebensreform-Siedlung „Monte Verità“ bei Ascona, auch Artur Roessler, der Förderer Egon Schieles, und František Kupka, der Pionier der abstrakten Malerei.

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Die Umsetzung innerer Zustände in gegenstandslose Bilder war aber nur eine von unzähligen Möglichkeiten, die Künstler erprobten, um eine Brücke zwischen Realität, Geistes- und Kunstwelt zu schlagen. Bilder von in Farbwolken schwebenden Augen, die der auch nicht immer rational denkende Komponist Arnold Schönberg 1910 malte, gehören hier zu den fesselnden Exponaten.

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Bildgebende Verfahren

Egon Schieles Werk „Die Selbstseher“ (1911) wird in der Kombination mit damals neuartigen Röntgenbildern zu einem klaren Indiz dafür, dass Künstler alle erdenklichen Erweiterungen des bildnerischen Raums zur Inspiration nutzten. Dass Fotografie, Röntgen oder Mikroskopie der Welt der Technik entsprangen, stand in keinem Widerspruch dazu, dass man den Verfahren zubilligte, esoterische Vorstellungen wie eine „Aura“ zu visualisieren.

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Höhen und Abgründe

Während diese komplexe Gemengelage oft „nur“ zu einer Erneuerung des Kunstrepertoires führte, drängten viele Reformer zurück ins Leben.

Die Schau legt dar, wie etwa die abstrusen Herrenmenschen-Ideologien des „Ariosophen“ Jörg Lanz von Liebenfels geradewegs in die NS-Ideologie führten. Das in der Schau gezeigte „Lichtgebet“ von Hugo Höppener, von seinem Meister Diefenbach auf den Namen „Fidus“ (der Getreue) getauft, wurde zum Postermotiv der Nazi-Jugend.

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Vom Geist der Zeit zehrte aber auch das Rote Wien, die Öko-Bewegung – und die Bergsteigerei. Dass die Schau den Bogen bis hierher spannt, macht sie nicht weniger spannend: Gleichwohl verweist sie auf vieles, das es noch zu entdecken und zu erzählen gibt.

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