Hier setzt die erkenntnisreiche Ausstellung „The Body Electric“ an, die im übertragenen wie im buchstäblichen elektrotechnischen Sinn mehrere Kreise schließt. Kristallisationspunkt sind dabei neun bisher nicht öffentlich präsentierte Zeichnungen, die Osen – er teilte sich mit Schiele zeitweilig ein Atelier – 1913 im Garnisonsspital II am Wiener Rennweg anfertigte, wo er selbst wegen „Neurasthenie“ (Nervenschwäche) Patient war. Auftraggeber war der Arzt Stefan Jellinek, der seinerseits zu den Auswirkungen von Stromschlägen auf den menschlichen Körper („Elektropathologie“) forschte und dazu eine Sammlung von Zeichnungen und Präparaten anlegte, die heute im Wiener „Narrenturm“ beheimatet und dem Naturhistorischen Museum (NHM) angegliedert ist.
Osens Zeichnungen stehen damit an einem signifikanten Kreuzungspunkt von Kunst- und Medizingeschichte: Während die Wiener Moderne im Fahrwasser von Freud und der Psychoanalyse ebenso üppig durchleuchtet wurde wie im Gefolge manch esoterischer Strömungen, geriet teilweise in Vergessenheit, dass die Wiener Schule der Medizin mit ihren anatomischen Studien ein ebenso großer Augenöffner war, wenn es darum ging, ins Innere des Menschen zu blicken. Eric Kandels Band „Das Zeitalter der Erkenntnis“ (2012) sei hier empfohlen.
Osen, den der Schiele-Biograf Arthur Roessler teils bewundernd, teils abwertend als einen „Abenteurer“ und auch Blender darstellte, hatte schon einmal Patienten der Nervenheilanstalt Steinhof porträtiert – im Auftrag des Arzts Adolf Kronfeld, der auch zu Schieles Sammlern zählte und einen Vortrag über den „pathologischen Ausdruck im Porträt“ illustriert wissen wollte.
Die nun präsentierten, späteren Bilder aus dem Garnisonsspital sind rätselhafter: Die Figuren, darunter ein Operettenkomponist mit seltsamer Schädelform und eine als „Lustknabe“ titulierte, im Geschlecht nicht klar identifizierbare Person auf einem knallbunten, bühnengleichen Bett – scheinen in einem Raum zu schweben, in dem klare Zuordnungen aufgelöst scheinen. Dass der Zeichner zugleich Patient war, macht die Sache ebenso diffus wie der Umstand, dass „Neurasthenie“ zu jener Zeit ein Sammelbegriff für alles Mögliche war: Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs mit seinem militaristischen Männlichkeitskult konnte einem vieles als „Schwäche“ ausgelegt werden, gibt Kuratorin Verena Gamper zu bedenken.
Es ist nicht klar, was der Arzt Jellinek, von dessen Nachfahren das Leopold Museum die Blätter erwarb, mit diesen anfangen wollte. Ein recht ausführlicher Blick in die sonstige Sammeltätigkeit des Elektropathologen verdeutlicht in der Schau aber, dass auch die Elektrizität in der Geschichte der Wiener Moderne mitbedacht werden sollte: Als Triebkraft der Beschleunigung und Erhellung der Nacht, die wiederum in Reizüberflutung und „Nervenschwäche“ resultierte, ist der elektrische Strom ebenso zentral wie als potenziell tödliche Kraft, die ungekannte Auswirkungen auf den menschlichen Körper zeitigte.
Dazu kam die Gepflogenheit, neurologische Krankheitsbilder mit Elektroschocks zu kurieren. Auch Jellinek machte davon Gebrauch, wie Gamper erzählt: Hier schließt sich ein weiterer Kreis zur Erforschung der „Hysterie“, die wiederum Freud zu seinen psychoanalytischen Erkundungen motivierte.
Wenn die Schau im Leopold Museum ihr Publikum etwas hungrig zurücklässt, dann nur deshalb, weil jede der hier ausgelegten Spuren sich endlos weiterverfolgen ließe: Die Geschichte der Moderne im Licht der Elektrizität wäre ebenso spannend wie weitere Erkundungen über den Dandy Osen, sein Werk und die immer wieder auftauchende Frage, ob nicht manche „Schieles“ in Wirklichkeit von ihm stammen.
Bilder, die der berühmte Maler auf Basis seiner Verbindungen zur Ärzteschaft von Schwangeren und Neugeborenen anfertigte, hätten auch noch viel zu erzählen. Doch hier endet der Parcours und mündet in die Dauerausstellung: Bei Schieles „gelbem Selbstbildnis“, das im Wissen um Osen, die Medizin und den elektrischen Strom nun ein wenig anders leuchtet.
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