Straches Stretching und die Biegsamkeit des ORF
Auf der Suche nach dem anderen Zugang zum Thema EU-Präsidentschaft und Ratsvorsitz hat sich der ORF völlig verirrt. Sonntagmittag ging die erste von zehn Ausgaben von "Europa backstage" (noch auf der tvthek abrufbar) in ORF2 auf Sendung. Es sollte wohl eine Art "Seitenblicke" auf die hohe Politik sein. Was die Macher, die eben nichts mit der Gesellschaftsendung zu tun haben, im Auftrag des Öffentlich-Rechtlichen ablieferten, wird dort im besten Fall als "daneben" bezeichnet. Bezeichnend ist ohnehin ein Umstand: Es wird im Abspann kein redaktionell Verantwortlicher des ORF genannt.
Unfreiwilliger Höhepunkt der Sendung war ein Besuch mit Vizekanzler und Sportminister Heinz-Christian Strache (FPÖ) im Fitness-Studio. Wobei die Übungen ihm offenbar weniger zusetzten als die Dialoge, die er zu meistern hatte. Die Zuseher wissen nach den fünf Minuten nun, Strache hat beim Wiener Sportclub gekickt, hat auch mit dem "inneren Schweinehund" zu kämpfen und seinen Ernährungsplan umgestellt. Das Thema Rauchen wurde in diesem Zusammenhang nicht angesprochen.
Auch bei anderen Beiträgen war Hinterfragen ebenso nicht gefragt wie kritische Distanz. Da wurde Salzburg gelobt, die Polizei gelobt und Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sogar "geliebt". Selbst bei Ex-SPÖ-Chef Christian Kern war alles paletti.
Produziert wurde das Ganze von der VoooP GmbH, die vor kurzem und für kurze Zeit noch als Beteiligungsverwaltung firmierte. Seit Juli ist Dora Varro - vormals u. a. Krone, Fellner-Medien und Bild - Gesellschafterin und Geschäftsführerin. Beteiligt ist auch eine Produktionsfirma aus dem Springer-Umfeld. Dass Varros Bruder Mitglied des Kabinetts von Medien-Minister Gernot Blümel ist, muss nichts bedeuten.
Im ORF sieht man seitens des Unternehmens überhaupt keinen Grund für Aufregung: ", Europa backstage' ist (wie die „Seitenblicke“) in der ORF-Unterhaltungsabteilung angesiedelt und nicht als Polit-Magazin, sondern als Gesellschaftssendung konzipiert. Gezeigt wird, was abseits des politischen Parketts und der üblichen politischen Berichterstattung passiert." Und man "droht": "Für die kommenden Ausgaben sind ähnliche Beiträge mit weiteren Akteuren der EU-Präsidentschaft, aber selbstverständlich auch mit Oppositionspolitikern im europäischen Kontext geplant." Grundsätzlich sei festzuhalten, "dass der ORF über die politischen Aspekte der Ratspräsidentschaft unabhängig, äquidistant und umfassend in all seinen Medien berichtet und allein im TV kürzlich mit der Info-Berichterstattung vom Gipfel in Salzburg 2 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer erreichte."
So entspannt wie die ORF-Chefetage, die für die Auftragsvergabe verantwortlich sein soll, sehen es die Journalisten ganz und gar nicht. Redakteursvertreter Dieter Bornemann bestätigt: "Es herrscht großer Ärger in den Redaktionen." Was sie besonders aufregt: ",Europa backstage' hat nämlich die optische Anmutung eines journalistischen Magazins, der Inhalt entspricht aber einer unkritischen Belangsendung." Was aus deren Sicht gar nicht geht, denn "selbstverständlich müssen journalistische Qualitäts-Kriterien für alle ORF-Programme gelten – sonst beschädigt das die Glaubwürdigkeit der ORF-Berichterstattung".
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