Kleists Kommentar zur Telekom-Affäre

Kleists Kommentar zur Telekom-Affäre
Matthias Hartmann über das Vielzüngige am "Zerbrochnen Krug", mediale Hirngespinste und Pläne für Gert Voss.

Der Burgtheaterdirektor startet am Sonntag mit Heinrich von Kleist in die neue Saison.

KURIER: Sie inszenieren den "Zerbrochenen Krug".
Matthias Hartmann: "Der zerbrochene Krug" gilt als Paradebeispiel des handwerklich perfekt gebauten Theaterstücks. Wenn man daran arbeitet, stellt man fest, dass erheblich mehr dahintersteckt. Wir fanden zum Beispiel im Text logische Ungereimtheiten, die den Schluss zulassen: Die Figur Marthe Rull leistet sich bewusst einen Akt der Auflehnung gegen die Obrigkeit. Das ist eine Form der subversiven Revolution gegen ein korruptes System. Ich finde es sehr interessant, angesichts von Telekom und Eurofighter das Stück so zu lesen.

So wurde das Stück noch nie inszeniert.
Ich habe es noch nie so gesehen. Da ist noch einiges an Zunder drin! Kleist schrieb natürlich eine Komödie. Aber immer wieder webt er feine Ästchen ins Abgründige und Groteske. Und so entsteht dieses Vielzüngige - damit wir eben nicht eine eindeutige Aussage herausarbeiten können. Aber genau dieses Vielmögliche interessiert mich.

Peter Stein, der das Stück mit Klaus Maria Brandauer als Dorfrichter Adam inszenierte, sagte, er sehe darin gar kein Lustspiel.
Das kann ich mir vorstellen (lacht) . Ich finde es superkomisch! Es ist ja auch wirklich zu witzig. Da kommt einer und sagt, ja, das sei blitzelement - ein herrliches Wort! - seine Perücke, die nämliche. Und ungefähr 2,87 Minuten
später sagt er, wer behaupte, diese Perücke sei die seine, den fordere er vors Oberlandgericht in Utrecht. Das ist das pure Leben, so sind Politiker!

Das Ende ist enorm böse: Die Macht setzt sich durch, nicht das Recht.
Ich hätte eine Variante, die noch böser ist: Die Versuchung ist hoch, aus dem Mädchen Eve eine moderne, aufgeklärte, aber auch verführbare Frau zu machen, die das Geld einsteckt und ihren Freund nach Batavia fahren lässt.

Machen Sie oft Änderungen im letzten Moment?

Ich habe viele Schlüsse erst nach der Generalprobe inszeniert. Eine Inszenierung ist eine Reise mit vielen Unbekannten im Gepäck. Dann entstehen plötzlich merkwürdige Wendungen, Umwege, die man nicht voraussagen konnte. Das ist vielleicht sowieso das wichtigste an unserem seltsamen Beruf: Dass wir ständig Dinge erfahren, die wir vorher nicht wussten. Auf Reisen gehen und lernen, lernen, lernen. Probenarbeit ist andauernde Erkenntnismaschine.

Michael Maertens als Adam ist gegen den Typ besetzt, er ist jung und fesch.
Ja ... wo Maertens drauf steht, muss auch Maertens drin sein: Er ist ein virtuoser Komiker. Aber da ist natürlich auch mehr in der Figur. Zum Beispiel diese unbeschreibliche, panische, existenzielle Angst des Adam. Dieses Stück darf nie harmlos sein! Unserer Bühne besteht aus Schlamm und einer weißen Fläche, die nicht schmutzig werden darf. Was natürlich nicht
gelingt.

Gert Voss sagte im KURIER-Interview, es gibt keine Pläne für eine neue Rolle an der Burg?

Oh ja! Ich hab ihm eine Rolle vorgeschlagen, und er ist begeistert. Natürlich kann er in Berlin gastieren. Ich kann ja einen Schauspieler nicht festbinden.

Sie wurden in Wien begeistert aufgenommen. Im Frühjahr gab es dann Zeitungsartikel über einen angeblichen "Krieg an der Burg" und abwandernde Schauspieler.
Man hat mir immer angekündigt, dass es hier die Boulevardisierung von Themen gibt, dass überall Hirngespinste wachsen. Insofern war ich eher überrascht, dass es so lange nicht passiert ist. Ich weiß, dass ich in der Öffentlichkeit stehen muss, aber ich würde es auf Dauer nicht aushalten, mich ständig gegen die Skandalisierung von medialer heißer Luft zu stellen.

Werden Sie mediales Pingpong mit Martin Kušej spielen? Wien gegen München?

Das ist ein virtuelles Thema. Ich sehe mediale Öffentlichkeit nicht als Nachweis der Bedeutung unseres Theaters. Es geht um die Menschen, die ins Theater gehen. Und die reisen nicht von Wien nach München, um zu vergleichen, oder umgekehrt.

Sie verlieren keine Schauspieler an München?

Ich müsste es wissen!

Das Stück: Ein tragisches Lustspiel

Kleists Kommentar zur Telekom-Affäre

Handlung: Der Dorfrichter Adam will ein Mädchen zum Sex erpressen und zerbricht auf der Flucht einen wertvollen Krug. Jetzt muss er über den Fall zu Gericht sitzen und belastet sich dabei immer mehr selbst.

Historie: Kleist wurde zu dem Stück durch einen Kupferstich inspiriert. Die Uraufführung in Weimar 1808 - Goethe führte Regie - fiel durch, danach änderte Kleist den Schluss. Das reichlich tragische Lustspiel zeigt Parallelen zu Ödipus - die Hauptfigur ermittelt gegen sich selbst.

Besetzung Luxuriös: Michael Maertens als Adam, Maria Happel als Marthe Rull, Roland Koch als Gerichtsrat Walter, Yohanna Schwertfeger als Eve.

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