Kleist als MeToo-Stück ohne moralischen Zeigefinger

Kleist als MeToo-Stück ohne moralischen Zeigefinger
Porträt: Josefstadt-Neuzugang Juliette Larat, 22, spielt die Eve im „Zebrochnen Krug“.

Juliette Larat fühlt sich in Wien sichtlich wohl. „Wien ist die ultimative Traumstadt.“ Wien habe ein französisches Flair, sagt die in Heidelberg geborene und in Straßburg aufgewachsene Französin. „Ich fühle mich hier zu Hause.“

Die Theatervernarrtheit der Wiener hat sie schon gespürt: „Die Wohnungssuche wurde tatsächlich dadurch erleichtert, dass ich Schauspielerin bin.“

Zweisprachig

Dass sie zweisprachig aufwachsen ist – ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Franzose –, sieht die 22-Jährige als Vorteil: „Ich muss vor jedem deutschen Satz aus dem Französischen übersetzen und umgekehrt. Es ist also eine ständige Arbeit für das Hirn.“

Larat wollte ursprünglich Bühnenbildnerin werden und hat in Salzburg als Billeteurin gearbeitet. Dann begann sie, am Mozarteum Schauspiel zu studieren: „Im deutschsprachigen Raum gibt es Ensembles, in Frankreich nicht. Der Schauspielberuf ist dort deutlich unsicherer als hier. Ich finde die Idee eines Ensembles wunderbar, ich sehne mich immer nach Gemeinschaft, nach Austausch.“

Machtmissbrauch

Ihre erste Rolle im Theater in der Josefstadt ist gleich eine große: Sie spielt die Eve in Kleists „Der zerbrochne Krug“. Also eine junge Frau, die Opfer sexualisierter Gewalt wird.  Eine Art frühe MeToo-Geschichte. „Ja, so legen wir es auch an. Es ist die Geschichte eines sexuellen Machtmissbrauchs, wobei man ja nie genau weiß, was passiert ist.“

 

Die MeToo-Bewegung findet sie „wahnsinnig wichtig“.  Larat: „Ich sehe, wie schwer man solche Fälle beurteilen kann, dass es meistens keine Beweise gibt, dass alles in einer Grauzone ist. Die Aufmerksamkeit, die wir solchen Fällen geben, ist wichtig. Wir müssen Frauen ermutigen, Machtmissbrauch zu melden.“

Kollektives Denken

Aber ist nicht gerade das Theater ein Ort, an dem patriarchale Strukturen dominieren? Larat: „Ich denke, es ist dabei, sich zu ändern. Alles ist in patriarchalen Strukturen gefangen. Aber das Theater ist ein Ort des kollektiven Denkens. Und  Verallgemeinern ist eine Trägheit des Denkens, das ist zu einfach. Ich verstehe, dass es sich viele Menschen einfach machen wollen. Schwarz und weiß, Täter und Opfer, gut und böse – aber wir leben nicht in so einer Welt.“

Larat bezeichnet sich als „experimentierfreudige Schauspielerin“: „Ich bin neugierig auf das, was noch kommt. Mich interessieren Stückentwicklungen genauso wie Klassiker. Ich bin textverliebt, ich mag die Sicherheit von einem guten Text. Ein Text wie von Kleist, der rollt gleichsam über die Zunge. Und dann beim Staubsaugen kommt der Text hoch. Der Text ist ein Lebensbegleiter, damit ist man nie allein.“

Ob das Theater heutzutage zu kopflastig geworden ist, will sie nicht beurteilen.

Larat: „Ich glaube, man hört Menschen mit gehobenen Zeigefingern am wenigsten zu, wie den Lehrern in der Schule. Ich glaube auch, dass man Menschen, die schreien, nicht gerne zuhört, sondern eher den Flüsterern. Theaterstücke sind der Schlüssel zu unserer Welt. Da braucht es keinen moralischen Zeigefinger.“

 

 

 

 

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