Kleine Vergnügen einer großen Diva

APAHKT10 - 03062008 - WIEN - OESTERREICH. ZU APA-TEXT KI - Renee Fleming als ãGraefinÒ am Dienstag, 03. Juni 2008, waehrend der Fotoprobe von ãCapriccioÒ in der Wiener Staatsoper. Richard Strauss' Konversationsstueck fuer Musik hat am 07.06.2008 Premiere. APA-FOTO: HANS KLAUS TECHT
Die Starsopranistin Renée Fleming singt ab Donnerstag "Capriccio" an der Wiener Staatsoper.

Kaffee trinken und Zeitung lesen: Die „Guilty Pleasures“ der Starsopranistin Renée Fleming sind wenig mondän. Die 54-jährige Amerikanerin zählt zu den bedeutendsten Sopranistinnen der Gegenwart. Ab Donnerstag ist sie an der Wiener Staatsoper als Gräfin in „Capriccio“ von Richard Strauss zu erleben. Mit dem KURIER sprach sie über Oper, Madonna und was wirklich im Leben zählt.

KURIER: In „Capriccio“ geht es um die philosophische Frage: Was ist wichtiger – das Wort oder die Musik? Die Oper wurde 1942 uraufgeführt, mitten im Zweiten Weltkrieg. Was bedeutet diese politische Entstehungsgeschichte?

Renée Fleming: Ich glaube, die Künstler haben sich damals dafür entscheiden, auch in dieser Situation ihr Leben weiterzuführen. Für einen Künstler ist die Beschäftigung mit diesen philosophischen Fragen zentral. Aber wie man sich in Kriegszeiten tatsächlich verhält, ist schwer vorzustellen.

Kann die Philosophie in dieser Situation auch eine Flucht vor der Realität sein?

Ich würde eher sagen: ein bewusstes Nicht-daran-Denken. Wenn man sich vorstellt, was damals alles zerstört wurde, was man alles miterleben musste; Kollegen, die nicht mehr da waren, die flüchten mussten oder im KZ ermordet wurden: Es ist schwer zu begreifen, wie man weiterarbeitet als Künstler.

Sie waren vor „Capriccio“ einige Zeit nicht an der Wiener Staatsoper.

Ja, leider. Dabei ist es gerade in Wien und München ein besonderes Erlebnis, Strauss zu singen, denn hier wird er gewürdigt wie nirgendwo sonst.

Sie haben einst in Salzburg debütiert. Haben Sie mitverfolgt, was sich derzeit dort abspielt?

Ich hab gerade erst mitbekommen, dass Pereira früher geht.

Wie wichtig ist es, ob in Salzburg Pereira oder sonst jemand Chef ist?

Extrem wichtig. Denn bei einem Festival ist die Vision des Intendanten von viel größerer Bedeutung als in einem Opernhaus, wo das Repertoire doch eine große Rolle spielt.

Glauben Sie, dass der Kulturbetrieb – im Vergleich zu anderen Berufsfeldern – besonders anfällig für Intrigen ist?

Das Problem ist, dass es so subjektiv ist. Ob eine Person erfolgreich ist, hängt weniger von einer nachvollziehbaren Leistungskurve, sondern von Meinungen anderer ab. Das macht das Business atmosphärisch schwieriger. Man muss aber nicht gleich von Intrigen sprechen.

Hochkultur ist in Europa eher Teil der öffentlichen Wahrnehmung als in Amerika. Werden Sie in den USA auf der Straße erkannt?

Kommt drauf an, wo ich bin. Meistens nicht, aber wenn ich in einem Museum oder an einem anderen Ort bin, wo kulturinteressierte Menschen sind, dann ja. In New York, wo ich lebe, passiert mir das schon.

Sie sind ein Opernstar. Gibt es Parallelen zwischen Pop- und Opernwelt?

Kaum, es ist ganz anders. Das Publikum für klassische Musik ist kleiner. Es geht um Stimmen und Musik. Bei einem Rockkonzert geht es auch, aber nicht nur um Musik. Ich war jetzt bei einem Madonna-Konzert: Das Stadion war so groß, du siehst die Leute auf der Bühne nicht einmal. Eine gigantische Show.

Sie sind ein Fan von Madonna?

Ich bin ein Fan von jedem, dem es in meinem Alter gelingt, das zu tun, was sie tut. Madonna ist eine hart arbeitende Business-Frau. Ich habe großen Respekt dafür, was ihr gelungen ist.

Gibt es Pop-Künstler, die Sie besonders gerne hören?

Ich habe einen sehr eklektischen Musikgeschmack. Ich höre Folk, Bluegrass, Jazz. Und natürlich auch, was meine Töchter gerade hören. Das ändert sich täglich. So hat das Internet die Musikwelt verändert: Es gibt Zugang zu allem. Junge Leute können schnell viel erreichen. Aber ich frage mich auch, wie diese Karrieren, in fünf, sechs Jahren aussehen werden.

Sie sind der selbe Jahrgang wie Thomas Quasthoff: Was dachten Sie, als er seinen Rückzug angekündigt hat?

Ich war überrascht. Die ganze Musikwelt war das. Andererseits kann sich niemand vorstellen, wie strapaziös das viele Herumreisen eines Sängers ist. Die Leute sind immer ganz schockiert, wenn sie mich aus dem Flugzeug steigen sehen, allein, mit zwei Koffern. Das ist der Lifestyle.

So wie Quasthoff haben Sie öfters Ausflüge in musikalische Parallelwelten gemacht: Jazz, Pop, Blues gesungen. Gibt es da wieder Pläne?

Meine nächste CD kommt im Herbst und wird eine Mischung aus Liedern und Arien, mit Anklängen an Belcanto. Der Arbeitstitel ist „Guilty Pleasures“.

Abseits der Musik: was sind Ihre „Guilty Pleasures“?

Lachen Sie jetzt nicht: Ein ganzes Häferl Kaffee trinken und in Ruhe die Zeitung lesen. Nicht sehr mondän. Ich klassifiziere sie als „guilty“ so wie alles, das Zeit braucht. Wir haben immer weniger davon. Mit den neuen Technologien wird das immer schlimmer. Sie machen unser Leben nicht einfacher, sondern rauben uns Zeit.

Man muss sich Freiräume schaffen ...

Ja, man muss auswählen und überlegen, wie man sein Leben gestaltet. Ich habe gerade darüber gelesen, wie Menschen beginnen, zu rebellieren und sagen: Vielleicht bedeutet Erfolg, sein Leben gut gelebt zu haben. Nicht immer bloß mehr von allem zu haben.

Leider kommt man da oft zu spät drauf. Die meisten Leute sagen am Ende ihres Lebens, was sie bereuen ist: Sich zu viele Sorgen gemacht zu haben.

Das überrascht mich nicht.

Die Sopranistin Renée Fleming wurde in den USA geboren, studierte u. a. an der State University of New York und der Juilliard School.

Mit der Konstanze („Entführung aus dem Serail“) debütierte sie 1986 in Salzburg. In den folgenden Jahren erarbeitete sie sich die führenden Partien ihres Fachs, u. a. die Titelrollen in Arabella, Manon, La traviata, Desdemona („Otello“), Marschallin („Rosenkavalier“).

Fleming war bereits 2008 als Gräfin in Strauss’ Oper „Capriccio“ zu sehen.

Es ist eine Oper über die Kunstform Oper: Richard Strauss’ spätes Werk (1942) schildert die Entstehung eines Musiktheaterwerks, widmet sich der zentralen Frage: Text oder Musik – was hat den Vorrang? Ab Donnerstag zeigt die Staatsoper eine musikalischen Neueinstudierung des Werks. Neben Fleming singen u. a. Bo Skovhus, Michael Schade, Kurt Rydl und Angelika Kirchschlager. Christoph Eschenbach dirigiert, die Inszenierung stammt von Marco Arturo Marelli. Weitere Termine: 24. und 27. Juni.

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