Kirche als „Baustelle“

Kirche als „Baustelle“
Der Benediktiner-Abt Martin Werlen schreibt gegen kirchlichen Triumphalismus an und plädiert für das Unfertige.

Baustellen sind nicht sonderlich beliebt. Sie halten auf, sorgen für Schwierigkeiten aller Art, kosten Geld. Dementsprechend wird der Begriff auch im übertragenen Sinn vorwiegend negativ konnotiert verwendet: Wenn man sagt, etwas sei eine „Baustelle“, meint man, dieser oder jener Bereich sei eine Problemzone, wo es Handlungsbedarf gebe.

Freilich, aus einer übergeordneten, philosophischen Perspektive lässt sich sagen: die ganze Welt und auch das Leben jedes Einzelnen ist eine Baustelle: Nichts und niemand ist fertig, vollendet – vielmehr ist alles ein Lork in Progress.

Dieser Blickwinkel leitet auch Martin Werlen bei seinen Gedanken über das Leben im Allgemeinen und die Kirche im Besonderen. Werlen, Jahrgang 1962, war Abt des Schweizer Benediktinerklosters Einsiedeln und ist seit 2020 Propst der zu Einsiedeln gehörenden Propstei St. Gerold in Vorarlberg. Die durch die notwendige Sanierung des Klostergebäudes ihn umgebende ganz reale Baustelle ist dabei Ausgangspunkt und Inspirationsquelle seiner Überlegungen.

Die Kirche als „Baustelle“ – das ist für ihn auch ein Gegenbild zu jenem „Haus voll Glorie“, welches in einem bekannten „Gotteslob“-Lied besungen wird. Hier könnte man freilich auch kritisch einhaken: So sehr klar ist, dass die Zeiten kirchlichen Triumphalismus’ vorbei sind, so kann man sich doch des Eindrucks nicht erwehren, dass das Pendel längst in die andere Richtung ausgeschlagen ist. Real betrachtet ist Kirche natürlich eine Baustelle – und das in mehrfacher Hinsicht: sie hat an Einfluss und Bedeutung dramatisch eingebüßt, alle einschlägigen Zahlen (Mitglieder, Gottesdienstbesucher, geistliche Berufe) gehen seit Jahren deutlich zurück etc.

„Stadt auf dem Berg“

Aber kann, soll die (katholische) Kirche deswegen ihren Anspruch, ihr Selbstverständnis als „Stadt auf dem Berg“, als sichtbares Zeichen der Transzendenz inmitten der Welt aufgeben? Eben dies spiegelt sich ja in zahllosen Kirchen- und Klosterbauten quer durch die Jahrhunderte wider. Die Kirche kann bei aller angemessenen Bescheidenheit und Demut nicht nur armselig und schäbig sein – ihre „Glorie“ ist äußeres Zeichen ihrer Sendung, ihres Wesens.

Was dennoch für Werlens Buch einnimmt, ist sein unverbrüchlicher, ganz offensichtlich aus seinem Glauben gespeister Optimismus: für die Kirche, aber ganz generell. Eine solche Haltung unterscheidet sich fundamental von einer oberflächlichen „Wird schon alles gut gehen“-Einstellung. Sie nimmt den Einzelnen in die Pflicht, sich auf den zahlreichen Baustellen „im eigenen Leben, in der Familie, in der Kirche, in der Politik, in der Wirtschaft, am Arbeitsplatz“ zu engagieren, „anzupacken“ – im Wissen darum, dass das Unfertige konstitutiv für unsere Existenz ist. Vielleicht macht ja gerade das auch die „Glorie“ des Menschen aus.

Kirche als „Baustelle“

Martin Werlen: „Baustellen der Hoffnung“, Herder, 208 Seiten, 22 Euro

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