Der Song heißt „Regenbogenfarben“ und stellt in der Schlagerwelt ein Paralleluniversum dar. In diesem hat es sich Kerstin Ott seit einiger Zeit gut eingerichtet. Auf ihrem zuletzt (2019) erschienen Album „Ich muss dir was sagen“ hält sie der konservativen Gesellschaft den Spiegel vor, thematisiert in ihren Texten Homosexualität und Emanzipation und bietet damit ein Kontrastprogramm. Kerstin Ott ist eben anders. Und damit sehr erfolgreich.
Wie die 38-Jährige auf der Bühne steht, besser gesagt: unbeholfen herumsteht, ist dabei ebenfalls untypisch. Ihre Burschikosität entspricht nicht den gängigen Klischees von Weiblichkeit; nicht dem vertrauten Bild einer erfolgreichen Schlagersängerin. Es gibt eben eine Helene Fischer, eine Andrea Berg und eine Beatrice Egli. Aber auch eine Kerstin Ott. Und dazwischen liegen Welten. Denn während Helene Fischer bei ihren Auftritten gerne im knappen Glitzeroutfit makel- und schweißlos, aber nie atemlos am Trapez über die Bühne schwingt, gibt sich Kerstin Ott bodennaher, sprich geerdeter. Sie trägt kein Glitzerkleidchen, ist nicht auffällig geschminkt und der Glamour-Faktor ist gering. Sie sieht so aus, also würde die Nachbarin auf der Bühne stehen – mit Jean, T-Shirt und Sneaker. Der Kurzhaarschnitt ist aufgegelt, die Tätowierungen echt. „#läuft“ steht etwa auf ihrem Finger geschrieben. Auch ihre Frau Karolina trägt so ein Peckerl.
Die Zutaten für Otts Erfolg sind nicht außergewöhnlich: „Ich versuche einfach, gute Texte mit schönen Melodien zu kombinieren.“ Darüber hinaus sei es „sicherlich ein Pluspunkt, dass ich anders bin als alle anderen Künstler in der Schlager-Branche. Ich glaube, die Menschen können sich sehr gut mit mir verbinden und sehen durch mich, dass man es als völlig normaler Mensch auch an die Spitze der Charts schaffen kann“, sagt sie dem KURIER. Dabei wirkt
sie tiefenentspannt, locker, ist gleich mit einem per Du. Starallüren und divenhaftes Verhalten sind ihr fremd. Damit wäre sie in ihrem bisherigen Leben auch nicht weit gekommen.
Als Dreijährige wird sie von ihrem Bruder und von der Mutter getrennt, die als Alleinerziehende überfordert ist. Ott lebt daraufhin in Heimen, kommt kurz zurück zur Mutter, dann von Berlin aus in eine Pflegefamilie, weitab aufs norddeutsche Land. Das Fehlen von Zuwendung in frühen Jahren haben sie bis heute geprägt, schreibt sie in ihrer 2018 veröffentlichten Autobiografie mit dem Titel „Die fast immer lacht“. Darin schreibt sie auch über ihre Spielsucht und Depressionen, über die zu vielen Zigaretten, die sie schon geraucht hat. Sie tabuisiert und verschweigt nicht, schon gar nicht ihrer Herkunft, ihre Lehre und die Jahre als Malerin und Lackiererin.
Sich als Frau auf einer Baustelle behaupten zu können, ist natürlich herausfordernd, da braucht es Durchsetzungsvermögen und eine dicke Haut. „Diese Zeit hat mich natürlich geprägt und abgehärtet“, sagt sie. Von dummen Sprüchen und Hass im Internet lässt sich Kerstin Ott nicht aus dem Gleichgewicht bringen. „Mir sind diese Stimmen egal. Ich werde mich auch nicht ändern, um zu gefallen – entweder so oder gar nicht.“
Gesungen und musiziert hat sie schon als Teenager. Es war ein Hobby: „Ich hatte einfach Spaß daran, Texte zu schreiben, Gitarre zu spielen und dann hatte ich plötzlich einen Plattenvertrag“, sagt Ott und lacht. Entdeckt wurde sie mit dem Song „Immer lacht“, der zum Ballermann-Hit wurde und auf YouTube bereits über 180 Millionen Aufrufe hat – und damit doppelt so viele wie Helene Fischers „Atemlos“. Die Voraussetzung für die Unterzeichnung des Plattenvertrags war die künstlerische Unabhängigkeit.
„Ich will und kann mich nicht verstellen. Ich trete live so auf, wie ich das für richtig halte, wie sich das für mich gut anfühlt – eben sehr unspektakulär. Wenn andere gerne in einem Glitzerkostüm oder Dirndl herumspringen, sollen die das machen. Zu mir passt das nicht. Ich besitze kein Kleid.“
Und was sagt sie als Lesbe, als Mitglied und Sprachrohr der LGBT-Gemeinschaft zu Andreas Gabaliers Frauenbild? „Ich muss nicht alles gut finden, aber ich muss mich auch nicht überall einmischen. Ich komme gut mit ihm klar. Falls ich mit Andreas ein Problem hätte, würde ich ihm das auch nicht an dieser Stelle ausrichten, sondern persönlich sagen.“
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