Keine Gewissheiten

epa02204513 Hungarian writer Peter Esterhazy smiles as he presents his novel 'Not Art' in Madrid, Spain, 16 June 2010. The novel tells about his mother who was obsessed by soccer and soccer player Ferenc Puskás. EPA/BALLESTEROS
"Esti" von Péter Esterházy – so etwas Ähnliches wie eine Autobiografie.

Da ist sie also, die sogenannte Autobiografie des großen Ungarn. Sie ist von beglückendem, poetischem, zärtlichem Schalk.

Péter Esterházy, 1950 in Budapest geboren, erzählt aus seinem Leben und bedient sich dabei eines ungarischen Klassikers: Er wird zu Kornél Esti, dem schillerndem Kaffeehausliteraten des Schriftstellers Dezsö Kosztolányi.

„Kornél Esti – c’est moi“, ist Esterházys lapidare Klarstellung. Man weiß es ja: Ich bin ein anderer.

Aber was heißt schon Autobiografie. „Kornél Esti hatte seinem neuen Romanhelden den Namen Kornél Esti gegeben und erhoffte sich davon die Abschaffung des Autobiografischen,“ schreibt Esterházy. Soll er nun die Wahrheit erzählen? „Die Wahrheit ist, dass Kornél Esti im Krankenhaus vertauscht wurde.“ Erwarten wir also keine Gewissheiten.

Peter Esterházy treibt sein schelmenhaftes Spiel mit Identitäten, das man unter anderem aus „Harmonia Caelestis“ kennt, auf die Spitze.

Einmal ist er zur Zeit der Burenkriege geboren, dann wieder Küchenjunge im 17. Jahrhundert. Einmal ein jüdisches Mädchen namens Cornelia (mit sehr knappen Röcken!), dann betender Karpfen oder glückliches Huhn, das anmutig wie Pina Bausch die Haxen hebt. Gerne auch Jungfrau Maria oder die eigene Mutter; König Mátyás oder ein Hund. „Keiner schreibt, was er ist, sondern was er gerne wäre.“

Dazu keine Lust

Zu seiner Abstammung aus einem Fürstengeschlecht hat Esterházy nur dies zu sagen: „Graf, Fürst, scheißegal, ich habe dazu keine Lust.“

Was bleibt: „Ich bin Kornél Esti, glaube ich.“

„Der einzige Held dieses Buches“, ist der Titel des ersten Kapitels: „Das bin ich, in Anführungsstrichen, ich bin meine Reisebeschreibung, mein romanhafter Lebenslauf ... ich bleibe Fragment.“

Damit beherzigt Esterházy den Rat Kosztolányis: Ja nichts „zu einer läppischen Geschichte zusammenkleistern! Es soll alles so bleiben, wie es eines Dichters würdig ist: Fragment.“ Und wenn die wie hingeworfenen Skizzen dem Auto-Korrekturprogramm seines Computers nicht gefallen, hält er dagegen: „Halt die Schnauze. Was ein Satz ist, bestimme ich.“

Joyce, Jandl, Camus, Kafka, Rabelais, Borges kommen vor. Dessen „Pierre Menard“, borgt er sich ebenfalls. Einmal heißt so sein Studienkollege, dann er selbst.

Keine Gewissheiten
Romanhaftes Erzählen gibt es kaum. Meist sind es Episoden, atmosphärisch dicht, in denen er etwa seinen Vater zärtlich schildert. Im Kapitel „Porträt des Künstlers als junger Mann“ berichtet er von seiner Kindheit:„Ich habe es so satt, nicht recht zu haben“. Er hat Streit mit dem Vater, ist ein heulendes Zornbinkel („das viele Heulen ging Esti schon auf die Eier“). Der Vater schweigt und streichelt ihm den Kopf.

Im zweiten Teil wird es – scheinbar – narrativer. Der Autor berichtet von Familie (er hat „drei, vielleicht vier Kinder“), Reisen, dem Schriftstellerberuf („Der Wen-interessiert-die-Literatur-Schmus“). Und alles wirkt wie ein Traum. Inszeniert von Fellini. Schräg, wunderbar: „Esti ist die schwermütige Dämmerung, das lila Abendrot, die glückliche Stunde.

„Was ist nun das Leben des Kornél Esti“, fragt er immer wieder. Die Antworten fallen nach jedem Kapitel anders aus. Einmal so: „Die Hoffnung ist Estis Leben.“

KURIER-Wertung: ***** von *****

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