Welser-Möst: "Kein guter Nährboden für die Kunst"

Welser-Möst dirigiert die Wiener Philharmoniker, Gerald Finley singt die Titelpartie
Dirigent Franz Welser-Möst über Populismus, Blender am Pult, Handwerk und Halbstarke in der Politik.

Die letzte Opernpremiere der Salzburger Festspiele bringt am Sonntag eines der wichtigsten Werke der vergangenen 50 Jahre in die Felsenreitschule: Aribert Reimanns "Lear". Dirigent Franz-Welser-Möst im Interview.

KURIER: "Lear" wurde 1978 uraufgeführt und wird als eines der wenigen Stücke der damaligen Avantgarde immer wieder gespielt – der Großteil der neuen Opern verschwindet ja leider zumeist rasch. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Franz Welser-Möst: Reimann hat eine echte Theaterpranke und weiß genau, wie man Szenen baut. Das war auch bei seiner "Medea" an der Wiener Staatsoper so. "Lear" lässt keinen kalt, das geht stark unter die Haut. Da ist jeder Moment kompakt, man kann die Geschichte sehr gut mitverfolgen und versteht den Text, der genau den richtigen Raum einnimmt. Ein Musiker hat über "Medea" einmal gesagt: Das ist wie Verismo mit modernen Klängen. Ich finde, das ist auch bei "Lear" so.

In "Lear" geht es, passend zum Programm der diesjährigen Festspiele, um Macht, Machtverlust und Erbstreitigkeiten. Wie aktuell ist diese Shakespeare-Geschichte gerade?

Das ist das Geniale an Shakespeare, dass er immer aktuell ist. Jeder von uns kennt Erbstreitigkeiten – hoffentlich auf einem anderen Niveau. Und wie manche mit Macht umgehen, sieht man gerade an zwei nicht normal tickenden Menschen: einem im Weißen Haus, einem in Nordkorea.

Sie verbringen als Chef des Cleveland Orchestra viel Zeit in den USA. Wie nehmen Sie die Stimmung dort wahr? Sind Trump-Wähler immer noch so überzeugt vom Präsidenten?

Die Trump-Anhänger werden weniger. Aber die, die es immer noch sind, gehen zunehmend in eine radikalere Richtung. Er sorgt für diese Radikalisierung und auch für einen Kulturverlust. Er stellt gezielt Feindbilder her und versucht die Demokratie auszuhöhlen. Zum Glück geht das in den USA nicht ganz so leicht. Aber jetzt sitzt ein Halbstarker im Weißen Haus. Wie schnell geht es, dass wirklich wieder ein starker Mann kommt? Mir macht das große Sorgen.

Sie dirigieren "Lear" zum ersten Mal. Wie lange bereiten Sie sich auf so ein kompliziertes Werk vor?

Das waren eineinhalb Jahre. Ich finde die Sänger bewundernswert, die ihre Partien auch lange lernen mussten. Wer ein absolutes Gehör hat, kann sich die Töne aus dem Orchester holen. Sonst muss alles aus dem Körpergedächtnis kommen. Davor habe ich größten Respekt.

Sie arbeiten mit dem Regisseur Simon Stone zusammen, der noch nie zuvor eine Oper inszeniert hat . . .

Er hat einen tollen Theaterinstinkt. Es hat eine Zeit gebraucht, ihm nahe zu bringen, dass es hier nur funktioniert, wenn alles auf den Millimeter genau inszeniert wird. "Wir schauen mal", wie das vielleicht im Theater manchmal geht, klappt hier nicht.

Was halten Sie grundsätzlich von solchen Debüts, die es ja auch bei Verdis "Aida" mit Shirin Neshat gab?

Wir leben in einer Zeit, in der nicht derjenige, der überall Erfolg hatte, zur Krönung seiner Karriere bei großen Festspielen inszeniert. Man sucht immer das Originelle. Ich habe meine Zweifel, ob das der richtige Weg ist. Kunst kommt immer noch von Können. Und das Handwerk wird heutzutage nicht mehr so geschätzt. Können Sie sich einen Geiger oder einen Pianisten vorstellen, der sein Handwerk nicht beherrscht? Bei Regisseuren oder bei Dirigenten fällt man da aber oft rein.

Auch bei Dirigenten? Da kann man doch ohne Handwerk schwer ein Orchester leiten.

Wissen Sie, wie viele Blender es gibt? Mit ein paar Tricks kann man relativ weit kommen. Unter Handwerk verstehe ich auch, dass man Tempi so wählt, dass man Sänger nicht in Bedrängnis bringt. Aber viele Menschen schauen heute nur noch zu und hören nicht mehr. Eine energiegeladene Show von einem Dirigenten kann dem Orchester nichts bringen, aber dennoch das Publikum mitreißen. Um die Musik geht es da viel zu wenig.

Was halten Sie davon, wenn – wie heuer der Fall – Mozarts "La clemenza di Tito" durch Teile der c-Moll-Messe ergänzt wird?Ich tu mir ein bissl schwer damit. Ich halte viel von Werktreue. Auch wenn für den "Jedermann" Originaltexte gestrichen und neue geschrieben werden – wo führt das hin? Für mich ist es jedenfalls zu hinterfragen, wenn man an ein Werk so herangeht, als würde Mozart heute leben, und davon ausgeht, er würde es genauso machen. Was bin ich als Interpret? Wo beginnt der Missbrauch? Es ist auch eine nicht zulässige Vermischung von Mozart mit Esoterik, wenn jemand durch Mozarts Musik Engel in jedem Zuhörer wecken will. Mozart war ein Musterbeispiel eines aufgeklärten Menschen, da kann ich nicht mit Esoterik kommen. Und wenn Titus dann mit Zitaten aus der c-Moll-Messe angesungen wird, will ich das nicht unbedingt Blasphemie nennen, aber ich halte es für unangemessen. Nikolaus Harnoncourt hat einmal gesagt: "In 40 Jahren werden die Leute darüber lachen, was ich mache." Das nenne ich Demut und Distanz zum eigenen Schaffen.

Darf man die c-Moll-Messe nur in der Kirche spielen?

Nein. Aber zu sagen, man will auf diese Art das Stück der Welt wiedergeben, ist populistisch. Das sind einfache Aussagen, die Menschen, die sich intensiv mit großer Kunst beschäftigen, degradieren. Und Populismus ist kein guter Nährboden für die Kunst. Kunst ist nun einmal nicht einfach. Mir hat auch zuletzt eine Sängerin, die eine Mozart-Arie extrem gehetzt gesungen hat, gesagt: "Mozart ist tot, ich bin am Leben." Bin ich wirklich so altmodisch? Ich finde, man darf sich nicht einfach eines Kunstwerkes bemächtigen und sich selbst darüber stellen.

Wie sehen Sie die diesjährigen Salzburger Festspiele generell?

Sie sind sehr spannend. Und Markus Hinterhäuser ist bereit, einiges an Risiko zu nehmen. Manches geht auf, manches geht daneben. Aber wenn etwas scheitert, dann immer noch auf allerhöchstem Niveau. Ich finde grundsätzlich sehr gut, was sich in Salzburg tut. Auch die meisten Besetzungen. Und die Dramaturgie des Programmes: Hut ab! Ich war heuer in vielen Konzerten. Und ich bedaure es richtig, dass ich nicht noch mehr gehört habe.

Haben Sie bereits weitere Dirigate in Salzburg fixiert?

Es gibt Pläne bis 2022. Da ist einiges von Richard Strauss dabei. Ich schätze auch seine aufgeklärte Geisteshaltung sehr. Ich werde 2019 an der Mailänder Scala auch eine Premiere der "Ägyptischen Helena" dirigieren.

Gibt es Pläne für eine Rückkehr an die Wiener Staatsoper?Bogdan Roščić und ich reden über Projekte, aber es gibt noch nichts Fixes. Der "Lear" ist meine 78. Opernproduktion, ich war also echt fleißig. Ich möchte jetzt nur noch Dinge tun, die mich künstlerisch wirklich befriedigen. In meiner ersten Saison als Musikdirektor der Staatsoper habe ich elf verschiedene Opern dirigiert. So etwas möchte ich nicht mehr machen.

Wie kommentieren Sie die Bestellung von Philippe Jordan zu Ihrem Nachfolger als Musikdirektor?

Ich war immer der Meinung, dass dieses Haus einen Musikdirektor braucht. Nicht wegen des Orchesters, sondern weil sich ein musikalischer Leiter intensiv um das Ensemble kümmern muss. Man muss die Sänger gezielt aufbauen.

Und was sagen Sie zu Jordan konkret?

Es gibt nicht so viele, die so viel Erfahrung in einem großen Opernhaus haben. Da war diese Bestellung eigentlich auf der Hand liegend.

Interessiert Sie selbst so ein Job noch einmal?

Wenn Sie in so einem Haus wirklich etwas verändern wollen, dann brauchen Sie einen Zeitraum von zehn Jahren. Will ich mir das mit Mitte 60 dann noch antun? Eher nicht.

In zwei Monaten gibt es in Österreich Wahlen. Wie sieht Ihre Prognose aus?

Man muss sehr vorsichtig sein mit Prognosen. Nicht einmal Trump selbst hat gedacht, dass er je Präsident sein wird. Und auch die Briten haben nicht daran geglaubt, dass es tatsächlich zum Brexit kommen würde. Man weiß also nicht, was alles möglich ist. Im Moment sieht es für mich danach aus, als wäre eine ÖVP/FPÖ-Regierung am wahrscheinlichsten. Ich hoffe sehr, dass dann jemand Kulturminister wird, der über die Wichtigkeit und die Sensibilitäten des Kulturbetriebes Bescheid weiß. Wir dürfen unsere Tradition nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

Könnte es im Falle von Schwarz-Blau für Roščić als Opernchef eng werden?

Es könnte theoretisch eng werden. Aber wer weiß, ob es eine neue Regierung gibt, die sich überhaupt für Kultur interessiert.

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