Die Glorifizierung von Karl Lueger ist zwar nicht grenzenlos, aber doch flächendeckend. Dem populären wie populistischen Bürgermeister, der geschickt Antisemitismus schürte, wird gleich mehrfach gehuldigt – mit Reliefs, Büsten und Brunnen. Mehr oder weniger zum Abschuss freigegeben wurde das Denkmal am Dr.-Karl-Lueger-Platz: Es darf seit einigen Jahren besprayt, beschmiert, beschüttet werden. Die übrigen Lueger-Gedenkstätten bleiben daher – möglicherweise aus Kalkül – von rabiaten Unmutsbekundungen verschont. Und brauchen daher nicht kontextualisiert werden.
Mitte Juni ereignete sich jedoch Eigenartiges am Cobenzl: Jemand traf Vorbereitungen für den Abtransport der dortigen Lueger-Büste. Klammheimlich sollte es wohl zum Denkmalsturz kommen! Aufgebrachte Leser der Krone schritten sogleich zur Heldentat und befreiten den arg in Bedrängnis geratenen Bürgermeister von den einschnürenden Gurten.
Die Stadt dementierte, wie zu lesen war, die Absicht des Abtransports. Es gab aber auch kein Bekennerschreiben. Sehr mysteriös! Einen zweckdienlichen Hinweis entdecken Sie heute, 23. Juni, in der gedruckten KURIER-Ausgabe auf Seite 1: ein Inserat mit dem Text „Wird Lueger doch entfernt? Dienstag, 27. 6. 2023, 9:30 Uhr.“
Als Ihr Tratschpartner darf ich Sie beruhigen: Am 27. Juni wird rein gar nichts passieren. Was passieren sollte, ist bereits passiert: Studierende der Angewandten haben Hand angelegt.
Im Rahmen der von Alfredo Barsuglia geleiteten Lehrveranstaltung „Öffentlicher Raum und Medien“ beschäftigte man sich auch eingehend mit dem unter Beschuss geratenen Lueger-Denkmal: Man fasste den Entschluss zu einer Intervention. „Die Aktion sollte vielschichtig und trotzdem klar sein, sie sollte irreführend und doch konkret sein,“ erklärt der 1980 in Graz geborene Barsuglia. Und: „Die Schaltung eines Inserats in einem Printmedium war Teil der künstlerischen Umsetzung, um die Aktion für die Zukunft zu dokumentieren.“
Eigentlich wollte man dem Lueger-Platz-Lueger die Gurten anlegen. Doch dann gab Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler bekannt, dass er nach dem Vorschlag von Klemens Wihlidal um sanfte 3,5 Grad geneigt wird (Gesamtbudget: 500.000 Euro). Die Intervention hätte daher als Kritik an der Kontextualisierung aufgefasst werden können. Und so wichen die Studierenden auf den Cobenzl aus – mit dem Effekt, das bisher nur auf den Lueger-Platz fokussierte Blickfeld erweitert zu haben.
Ihr Tratschpartner hat den eingegurteten Lueger natürlich fotografieren müssen. Dabei fiel ihm auf, dass der daran entlangführende Weg namenlos ist. Wäre es nicht ein schönes Zeichen, ihn nach einer jüdischen Persönlichkeit zu benennen – als Kontrapunkt und preiswerte Kontextualisierung?
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