Kabarettist Hosea Ratschiller: "Im Verkauf bin ich eine ziemliche Niete"
So kann es nicht weitergehen, findet zumindest der Protagonist des neuen Soloprogramms des heimischen Kabarettisten Hosea Ratschiller, das am Dienstag (24. September) im Wiener Kabarett Niedermair Premiere feiert.
Der KURIER traf Hosea Ratschiller bei der Probe.
KURIER: Ihr neues Kabarett-Programm nennt sich „Ein neuer Mensch“. Klingt nach Katharsis. Worum geht’s?
Hosea Ratschiller: In den letzten Jahren durfte man beobachten, wie in Demokratien weltweit Menschen freiwillig ihre Sozialleistungen und ihre Menschenrechte abwählen. Und zwar mit dem erhebenden Gefühl, Teil einer Bewegung zu sein, die notwendige Reformen durchzieht. Der Trick ist simpel und perfide. Aber wieso lassen wir das mit uns machen? Das war eine Grundfrage für mich. Und geworden ist es dann ein Stück über Ordnung. Im Großen und im Kleinen. Auslöser für die Geschichte ist, dass ich zum ersten Mal zu meiner Tochter sage: „Räum dein Zimmer auf!“. Die zuckt aber nur mit den Schultern. Weil sie sieht ja, wie es bei mir im Zimmer ausschaut, also, dass meine Ordnung auch nicht so viel taugt. Es ist ein bisschen das Gefühl, das Greta Thunberg gerade in vielen auslöst.
Wie sieht es mit Ihrem Sinn für Ordnung aus?
Ich wäre schon gern ein ordentlicher Mensch. Es gelingt mir naturgemäß nicht immer. Aber ich versuche, halbwegs gelassen zu bleiben, wenn mich jemand auf meine Schwachstellen hinweist. Das ist die Königsdisziplin. Im Privaten und im Politischen.
Welche Schwachstellen haben Sie noch?
Ich bin eine wandelnde Schwachstelle. Aber besonders hervorheben möchte ich meinen Umgang mit Zeit. Deswegen bin ich froh, dass mittlerweile eine Agentur meine Termine koordiniert. Die verkaufen mich auch viel besser, als ich das könnte. Ich habe am Telefon den Veranstaltern oft gesagt: „Na ja, so toll ist es dann auch wieder nicht, was ich da mache“. Zweifeln kann ich ganz gut – und „Einetheatern“. Aber im Verkauf bin ich eine Niete.
Der Begriff „Einetheatern“ kommt auch im Beipacktext zu Ihrem neuen Stück vor. Wie würden Sie dieses Wort beschreiben?
Es ist mein Lieblingswort im Österreichischen. Man macht etwas dramatischer, indem man sich hineinsteigert. Sonst wär’s ja fad. Also lässt man jede Kleinigkeit durch das eigene Referenzsystem gondeln, wo sie an den Banden abprallt und immer schneller zurückkommt. Im Kopf ist eine Flipperkugel unterwegs, die den Ausweg nicht findet. Man sieht nur mehr das eine, eigentlich überschaubare Problem, und schaukelt es bis zum Riesendrama hoch. „Einetheatern“ ist quasi gedanklicher Männerschnupfen. Ich glaub, der Fachbegriff ist aber „Echokammer“.
Was unterscheidet das neue Soloprogramm von Ihren bisherigen?
Vor allem die Figur. In den letzten drei Programmen war die sehr um große Show bemüht, es hat große Gesten gehagelt. Diese Fassade aus Souveränität ist dann langsam abgebröckelt. Bei „Ein neuer Mensch“ ist die Figur komplett anders. Der verbirgt von Anfang an seine Irritationen nicht, und erzählt dem Publikum voller Vertrauen intime Geschichten. Das ist ein neuer Ton. Dafür bewege ich mich aus einer Komfortzone raus. Da ich ja kein Reinhardt-Seminarist bin, war das viel Arbeit. Ohne meine geduldige und brillante Regisseurin Petra Dobetsberger gäbe es dieses Programm nicht.
Erzählen Sie mehr über den Protagonisten, den Sie spielen.
Er ist ein Mann ohne Eigenschaften, dem es eigentlich ganz gut geht, der so dahingelebt hat. Und jetzt spürt er, dass er von der Gewinnerstraße abkommt. Ein Kleinbürger, der politisch weder rechts noch links der Mitte ist. Da ist große Lust an der Unterordnung. Argumente und vor allem Gegenargumente sind ihm zu anstrengend. Dagegen wehrt er sich mit „Einetheatern“.
Wie testen Sie im Vorfeld die Pointen?
Ich spiele immer wieder neue Szenen auf kleinen Bühnen, um sie zu testen und an ihnen zu feilen. Meistens sind das offene Kabarettbühnen in irgendwelchen Kellern. Man kann ja sein neues Programm nicht ohne Qualitätskontrolle dem zahlenden Publikum präsentieren. Früher spielten Leute wie Lukas Resetarits wochenlang im selben Haus, konnten so ihr neues Programm stets verbessern, hatten ständig Feedback. Heute hat man oft nur ein, zwei Abende Zeit, um zu überzeugen.
Wie lange haben Sie an ihrem neuen Programm gearbeitet?
Da ich meine Kabarett-Programme wie einen Roman schreibe, dauert das schon ein bisserl. Diesmal ein Jahr. Es gibt keinen einzigen Tag, an dem ich nicht schreibe. Es geht auch nicht anders. Am besten, man entwickelt eine Routine – mit Dienstbeginn und Dienstschluss.
Haben Sie ein Büro?
Im Normalfall schon, in Premierenjahren nicht. Da kann ich mir das nicht leisten.
Was kosten Premieren?
Viel – zwischen 10.000 und 15.000 Euro. Und im Kabarett gibt’s ja keine Subventionen. Die Plakate, den Fotografen, die Regisseurin, die Agentur, das zahlt mir niemand. Wir leben komplett vom Ticketverkauf. Und in meiner Liga vergeht schon einiges an Zeit, bis man die Fixkosten reingespielt hat. Die Kabarett-Szene würde ohne Solidarität nicht funktionieren. Kabarettisten, die große Hallen füllen, stellen sich auch auf kleine Bühnen, um diese zu unterstützen. Mich erinnert das an die Hip-Hop-Szene. Dort ziehen die Künstler, die gerade Oberwasser haben, die anderen nach, geben ihnen Jobs, lassen sie in ihren Videos auftreten.
Wie sind Sie mit Kabarett in Berührung gekommen?
Ich war anfangs großer Fan der EAV und von Alexander Bisenz. Danach kamen Josef Hader, Projekt X, Helge Schneider, Stermann und Grissemann. Und ich bin ein Riesenfan von Will Ferrell, Jerry Seinfeld und Ricky Gervais. Mich fasziniert, dass die auf engem Raum sehr viel erzählen können. Das ist Lyrik mit Pointe. Viel Gewicht liegt auf dem einzelnen Satz. Das mag ich. Und in Österreich kommt gerade viel Interessantes nach. Wenn man anfängt, Leute aufzuzählen, vergisst man immer jemanden. Aber die treten dann eh bei den „Pratersternen“ auf.
Apropos „Pratersterne“: Wie geht es mit der von Ihnen moderierten ORF-Sendung weiter?
Alles was ich weiß, ist, dass es eine weitere Staffel geben soll. Angeblich drehen wir im Dezember.
Zur Person und Termine:
Der 1981 in Kärnten geborene Hosea Ratschiller ist einigen als FM4-Ombudsmann bekannt, andere kennen ihn als Moderator der Kabarett-Show „Pratersterne“ (ORF). Der Gewinner des Salzburger Stier präsentiert in den kommenden Wochen – abseits der heutigen Premiere – sein Programm.
Termine:
28.9., Kabarett Niedermair, Wien
3.10., Posthof, Linz
4.10., Kleines Theater, Salzburg
12.10., Kabarett Niedermair, Wien
15.10., Theatercafé, Graz
16.10., Theatercafé, Graz
17.10., Theatercafé, Graz
20.10., Kulisse, Wien
24.10., Kabarett Niedermair, Wien
9.11., Kabarett Niedermair, Wien
14.11., Spielboden Dornbirn
15.11., Treibhaus Innsbruck
16.11., Kulturverein pongowe, Bischofshofen
22.11., Klagenfurter Ensemble
23.11., Klagenfurter Ensemble
27.11., Kabarett Niedermair, Wien
28.11., Tischlerei Melk
29.11., Seminar-Park-Hotel Hirschwang, Reichenau an der Rax
7.12., Kabarett Niedermair, Wien
Kommentare