Josefstadt-Saisonauftakt: Spannender Geschichte-Unterricht

Maria Köstlinger als "Henriette Stein"
Die Dramatisierung des großen Romans "Der Engel mit der Posaune" ergibt immerhin drei ausgezeichnet gespielte Theater-Schulstunden in österreichischer Geschichte.

Heuer darf das Theater in der Josefstadt die Wiener Theatersaison eröffnen. Die Dramatisierung des fast vergessenen Romans "Der Engel mit der Posaune" ergibt drei gut gemachte und vor allem ausgezeichnet gespielte Geschichtsstunden. Als Theaterstück, so ehrlich muss man sein, ist der Abend solide, aber keine Sternstunde.

Ernst Lothar, Schriftsteller, Regisseur und Theaterdirektor – er leitete das Theater in der Josefstadt – musste vor den Nazis in die USA fliehen. Nach dem Krieg kam er als amerikanischer Offizier zurück, war an Entnazifizierungsverfahren etwa von Karajan beteiligt und arbeitete wieder als bedeutender Theatermann in Österreich.

Der Roman "Der Engel mit der Posaune", erschienen in der Emigration, ist der schonungslose, aber doch von zarter Hoffnung durchzogene Versuch, der Welt und wohl auch sich selbst das "österreichische Wesen" zu erklären. Anhand der Lebensgeschichte der unglücklichen Klavierbauer-Gattin Henriette Alt werden die großen Umwälzungen und Katastrophen der Jahre 1888 bis 1938 durchgenommen.

Regisseur Janusz Kica erzählt diese Geschichte in der Josefstadt sehr lakonisch, nahe am Roman, weit weg von der doch sehr süßlichen Verfilmung von 1948. Die Szenen durchdringen einander, es gibt rasche Schnitte, entscheidende Szenen werden ausführlicher entwickelt.

Versinken

In einem buchstäblich im Versinken begriffenen, grauen Patrizierhaus in der Seilerstätte (Bühnenbild: Karin Fritz) leben grau gewordene Menschen, deren Leben von Traditionen, "Hausregeln" und von Verzicht bestimmt sind. Ausbruchsversuche gelingen nie, Gefühle entstehen erst, wenn es zu spät ist.

Maria Köstlinger spielt die Henriette Alt, die einen ungeliebten Mann heiratet, obwohl sie den Kronprinzen Rudolf verehrt, und deren Geliebter, ein Graf, von ihrem Mann im Duell getötet wird, als starke, aber schwache (bzw. als schwache, aber starke Frau) zwischen Moderne und Tradition.

Michael Dangl gibt ihren Mann Franz, der vom Glück und von Veränderungen träumt und doch genau das wird, was er nie sein wollte: Ein grauer Konservativer.

Köstlinger und Dangl spielen ausgezeichnet, die Szene, in der beide am Ende einander verzeihen, dass sie einander die Ehe angetan haben, ist faszinierend gut.

Großartig sind auch die Darsteller der jungen Generation: Alexander Absenger als Muttersöhnchen, das Widerstandskämpfer wird; Silvia Meisterle als warmherziges, naives Kuckuckskind; und Matthias Franz Stein als Jungnazi, der die (jüdische) Schwägerin vergiftet, die Tat der (jüdischen) Mutter anlastet und sich dann dem Gericht stellt, um das Jüdische in sich selbst zu vernichten.

Herz

Großartig sind auch André Pohl als in Konvention erstarrter Onkel und Staatsanwalt, der schließlich doch entdeckt, dass er ein Herz hat; Marianne Nentwich als alte Tante zwischen Härte und Lebensweisheit; und Alma Hasun als Jungschauspielerin und selbstbewusste Frau, die dem antisemitschen Hass des heimtückischen Schwagers zum Opfer fällt.

Die Inszenierung hat Schwung und ist nie langweilig, aber wie viele Roman-Dramatisierungen (Text: Susanne F. Wolf) wirkt sie skizzenhaft und gleichzeitig zu lang und zu kurz. (Früher hätte man aus so einem Stoff entweder einen Kinofilm oder einen TV-Vierteiler gemacht.)

Dass diese Menschen, die unfähig sind, zu erkennen, dass sie verblendet ins private wie politische Unglück laufen, viel mit uns zu tun haben, das kann man sich denken, muss man aber nicht.

Sehr herzlicher Applaus vom Premierenpublikum.

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