Für die Josefstadt gilt das offenbar nicht.
Selbstverständlich haben auch wir einen Verlust. In der Spielzeit 2018/’19 hatten wir eine Auslastung von 88 Prozent, in der Spielzeit ’19/’20 hatten wir 86 Prozent, bevor wir von der Pandemie heimgesucht wurden. Jetzt haben wir eine Auslastung von 80 Prozent. Im November lagen wir bei 86 Prozent. Ich bin darüber sehr glücklich, denn andere Theater haben es diesbezüglich viel schwerer. Viele unserer Produktionen sind quasi immer ausverkauft. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss man aber sagen, die Josefstadt hatte immer eine besonders hohe Auslastung. Vermutlich liegt es an einem ausgewogenen Spielplan, der im 21. Jahrhundert angekommen ist, aber in dem Geschichten erzählt werden und Stücke zu sehen sind, die die Leute motivieren, zu kommen.
Viele Theaterbesucher beklagen, dass keine Geschichten mehr erzählt werden in vielen Häusern. Haben die Theater auf das Geschichtenerzählen vergessen?
Wenn das Berliner Theatertreffen proklamiert, „von“ ist out, nur mehr „nach“ ist Theater von heute, dann ist der Rahmen wichtiger geworden als das Bild. Offenbar geht es darum, wie auffällig kann Theater sein, damit es bei den Kulturjournalisten und -journalistinnen besteht. Bei uns sieht man auf jeden Fall mehr „von“ als „nach“ – und offenbar wird das zumindest vom Publikum auch goutiert.
Es ist aber doch abzusehen, dass die Blase platzt. Denn wenn die Theater leer sind und weniger Geld einnehmen, bekommt auch die Kulturpolitik ein Problem.
Die Frage ist, wie lange die Kulturpolitik dieses Spiel mitspielt. Das begann ja nicht erst 2020. Aber Corona hat etwas beschleunigt. Streaming war der Pandemiegewinner. Auch die Theater haben verzweifelt gestreamt. Wir nicht, denn ich denke, das ist der falsche Weg, denn Theater ist und bleibt analog. Manche Politiker und Politikerinnen sagen, man solle halt etwas Lustiges spielen, aber so einfach ist die Situation nicht zu lösen, denn auch das Kabarett hat Probleme. Man darf jetzt nur nicht die Geduld verlieren – man kann ganz schnell ein Haus einreißen, es zu bauen dauert länger. Und die Pandemie war für das Theater eine Abrissbirne.
Sehen Sie das Theater grundsätzlich in Gefahr?
Das Theater war immer in der Krise – und hat dennoch immer überlebt.
Aber die digitale Welt und die Streaming-Angebote kann man nicht verleugnen, vieles hat sich inzwischen nach Hause verlagert.
Aber das Schöne am Theater ist ja, dass da Menschen sind, die mir etwas vorspielen.
Ich glaube nicht, dass das Theater stirbt. Das Leben ist nicht digital, sondern analog. Alle Konflikte beruhen darauf, dass Sie aus Fleisch und Blut sind, und Ihr Gegenüber ist es auch.
Neue Autoren werden dringend gesucht.
Da sind wir beim nächsten Problem, das die Blase erzeugt: Wenn Regisseure und Regisseurinnen zu Premierenkünstlern werden, weil sie auch unsterblich sein möchten, dann werden Dramatiker und Dramatikerinnen zweitrangig.
Das ist schade, denn was funktioniert zum Beispiel am Akademietheater: Das Stück „Adern“, das eine klare Geschichte erzählt ...
Und darum habe ich Lisa Wentz sofort beauftragt, ein Stück für uns zu schreiben, nachdem ich „Adern“ gelesen hatte. Man muss übrigens auch einmal ein Risiko eingehen: Man muss Autoren und Autorinnen auffordern, zu schreiben – und da darf auch etwas danebengehen.
Was macht gutes Theater aus?
Was macht guten Fußball aus? Wenn man gewinnt? Nicht unbedingt! Ein Spiel kann ganz langweilig sein, und plötzlich fällt ein Tor. Man müsste zuerst die Frage stellen: Welches Theater meinen Sie? Glauben Sie wirklich, die englischen Theatermacher denken, dass sie schlechteres Theater machen? Im Gegenteil! „Oh, it’s like German theatre“: Das ist kein Lob, das gilt als verhirntes Installationskonstrukt.
Gutes Theater ist ...
... wenn die Menschen hineinstürmen, bewegt werden, wenn sie das Gefühl haben, dass sie ein Abend bereichert, wenn man berührt wird, wenn man lachen und/oder weinen kann. Gutes Theater bindet das Publikum ein und lässt es mitspielen. Gutes Theater ist der Ort, an dem die, die oben spielen, und die, die unten sitzen, eine Symbiose eingehen.
Wie geht es der Josefstadt jetzt finanziell? Es war ja nicht immer leicht.
Es war nicht leicht, weil ich weitergeprobt habe im Lockdown – aber all diese Produktionen werden nach wie vor gespielt. Ich glaube, dass der Umgang mit der Kurzarbeit und den ganzen Hilfstöpfen ein falscher war. Subventionierte Betriebe müssten anders unterstützt werden in so einer Situation. Man kann nicht ein Modell, das für ein Restaurant passt, auf ein Theater stülpen. Wir sind aufgerufen, aufgrund der momentanen Publikumssituation mit weniger Einnahmen zu rechnen. Das tun wir. Wir werden das sehr gut meistern in dieser Spielzeit.
Wir sehen Sie Ihre persönliche Zukunft?
Das ist ganz klar: Ich gehe mit 2026. Da bin ich 65, das ist eh eine Spur zu lang, aber ich möchte das Haus nach dem Corona-Wahnsinn wieder auf gute, sichere Beine stellen. Dann bin ich einmal froh, wenn es aus ist. Vieles ist gelungen in dieser Zeit, jetzt macht es mich stolz und froh, dass es gelingt, die Kammerspiele in eine Zukunft ohne Boulevard zu führen. Ich sehe die Josefstadt als ein erstes Haus im deutschsprachigen Raum, und es kann nicht sein, dass ein erstes Haus in Verbund mit einer Boulevardbühne existieren muss.
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