Klarer Erfolg für den Fußballfan
Ausgerechnet an jenem Tag, an dem Deutschland im Wembley-Stadion gegen England ausschied, stand der bekennende Fußballfan Kaufmann nun also auf jener Bühne, auf der er im Jahr 1 der Intendanz von Bachler, vor zwölf Jahren, seinen ersten Lohengrin gesungen hatte - auch an der Seite von Harteros. Das Endergebnis lässt sich nicht wie beim Fußball in Toren messen, aber am Ende stand ein klarer Erfolg gegen diese so schöne, aber so biestige Rolle, um die die meisten Sänger lieber einen großen Bogen machen, um nicht mit (Stimm-)Bänderverletzungen ausgetauscht zu werden. Tristan ist Sprint und Marathon gleichermaßen, das Schwierigste kommt am Schluss, wenn die Kraft zumeist schon verbraucht ist, daher gibt es weltweit eigentlich keinen Sänger, der allen Anforderungen perfekt entspricht.
Jonas Kaufmann kommt einem Ideal aber schon sehr nahe. So nahe, dass man aufgrund größter Wertschätzung seiner Gesangskunst fast hoffen muss, dass er dem Suchtpotenzial dieser Partie nicht allzu oft erliegt, um die Schönheit seiner Stimme so lange wie möglich zu behalten.
Meister der leisen Töne
Kaufmann ist ein Meister der leisen Töne und mit seinem dunklen, baritonalen Timbre der denkbar Beste für die lyrischen Passagen. Große Teile des zweiten Aufzuges singt er wie einen Liederabend. Seine dramatischen Ausbrüche könnten kraftvoller sein, aber er ist klug genug zu sparen, dass er genügend hat, wenn er’s braucht.
Bis zum Finale bleibt seine Stimme stabil, und er bewältigt diesen Grenzgang fabelhaft. An seiner Freude beim Schlussapplaus merkt man, wie wichtig ihm dieser Auftritt war und wie lange diese Partie in ihm gearbeitet hatte, um nun heraus zu dürfen. Er zählt ja zu jenen Sängern, denen man ehrliche Selbstwahrnehmung immer ansieht, etwa nach seinem ersten französischen Don Carlos.
Auch das Rollendebüt von Anja Harteros gelingt erfolgreich. Im ersten Aufzug singt sie phänomenal, dramatisch und ausdrucksstark. Im zweiten büßt sie etwas an Präzision ein, auch beim Liebestod im dritten ringt sie mit der Intonation. Insgesamt ist sie eine elegante, beeindruckende Isolde.
Mika Kares bleibt als sonorer, profunder König Marke etwas blass. Wolfgang Koch ist ein Traum von einem Kurwenal, höchst intensiv und berührend. Okka von der Damerau wird als Brangäne von Aufzug zu Aufzug besser, die kleineren Partien sind mit Sean Michael Plumb (Melos), Dean Power (Hirte) und Christian Rieger (Steuermann) gut besetzt.
Meisterhafte Musik
Die musikalische Gestaltung durch Kirill Petrenko und das exzellente Orchester am Ort der Uraufführung des „Tristan“ ist meisterhaft. Petrenko erweist sich ein weiteres Mal als genialer Erzähler, der jede Phrase gestaltet, jedes Detail freilegt, ohne den Blick für das Ganze je zu vernachlässigen. Sein „Tristan“ ist sehr analytisch, geradezu intellektuell, frei von jedem Pathos - so frei, dass man beim Liebesduett aufgrund des langsamen Tempos die übliche Emotion vermisst, dafür aber wunderbare Nuancen entdeckt. Diese Lesart ist gewöhnungsbedürftig, aber packend.
Kriegsgeschädigte mit Filmeinspielung
Die Inszenierung von Krzysztof Warlikowski (Bühne und Kostüm): Malgorzata Szczesniak) zeigt zwei kriegsgeschädigte Protagonisten, die sich von Beginn an das Leben nehmen wollen, durch Gift oder durch Aufschlitzen der Pulsadern. Das Libretto gibt diese Interpretation durchaus her, während des Liebesduettes wird es aber mühsam, wenn man allzu lang einen Film sieht, in dem Isolde in einem Hotelzimmer auf Tristan wartet, um gemeinsam Suizid zu begehen. Da misstraut der Regisseur der Kraft der Musik, wenn er in solchen Momenten ablenkt.
Ort der „Handlung in drei Aufzügen“ ist ein großbürgerlicher Gründerzeit-Raum (oder der Salon auf einem Schiff), der auch als Sanatorium dient. Brangäne ist anfangs die Krankenschwester, Kurwenal der Priester, die Sänger sind Patienten mit heftigen Traumata.
Wie so oft bei Warlikowski spielen Kinder eine wichtige Rolle, diesmal in Form von Androiden. Das könnte man so deuten, dass sie die Ärmsten sind, die bei kriegerischen Konflikten sofort ihre Identität verlieren.
In dieser auf Reduktion und Andeutungen ausgelegten Inszenierung gibt es kaum Interaktion zwischen den Sängern, vieles wirkt wie eine Therapiestunde in großen Fauteuils. Schön ist das Video am Ende, wenn die beiden Toten die Augen öffnen und einander zulächeln: Geht ja weiter, war alles nur Theater. So wie das Leben.
Bei allen (Mini-)Einwänden gegen diese Produktion: Jedes Opernhaus der Welt könnte neidvoll nach München blicken.
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