Joan Baez: "Empathie wird totgetrampelt"

Joan Baez während ihres Konzerts in der Arena Wien am 05.07.2015
Joan Baez tritt am 25. und 26. Juli im Rahmen ihrer Abschiedstour im Wiener Konzerthaus auf.

"Fare Thee Well" hat Joan Baez ihre heurige Tournee genannt, weil das ihre letzte ausgedehnte Konzertreise ist. Auch das Freitag erscheinende Album "Whistle Down The Wind", das erste seit 2008, sieht die unermüdliche Kämpferin für Frieden, Freiheit und Gewaltlosigkeit als Ende einer langen Reise, die 1959 begann. Im Interview mit dem KURIER erzählt Baez, was sie anstatt der Musik machen will, warum Donald Trump ihr den verdienten Tweet verweigert und die Welt anstatt Protest-Songs Hymnen braucht.

KURIER: Warum wollen Sie mit dieser Tour Abschied nehmen?

Joan Baez: Vor vielen Jahren schon – als ich in meinen Dreißigern war – hatte ich einen Gesangslehrer. Ich fragte ihn: "Wie weiß ich, wann ich mit dem Singen aufhören soll?" Er antwortete: "Deine Stimme wird dir das anzeigen!" Und genau das ist jetzt passiert. Singen ist einfach zu schwierig geworden. Ich mag die Geräusche, die aus meiner Kehle kommen, zwar immer noch sehr gerne, aber so zu singen, braucht große Anstrengungen und viel Aufwand. Und ich will auch mehr malen. Ich hatte im Oktober meine erste Ausstellung – lauter Porträts.

Von Menschen, die Sie bewundern?

Genau. Ich habe mich schon lange darauf vorbereitet. Aber als Trump Präsident wurde, dachte ich, ich kann nicht einfach irgendjemanden malen. So habe ich eine Ausstellung gestaltet, die ich "The Mischief Makers" ("Die Unheil Bringenden", Anm.) genannt habe. Es sind lauter Leute, die mit Gewaltlosigkeit soziale Veränderungen bewirkt haben. 18 Menschen, die so für ihre Regierungen Unheil brachten.

Auch auf dem Album haben Sie wieder nur sozial motivierte Songs ...

Stimmt, es ist typisch für mich, dass "Whistle Down The Wind" so geworden ist: Folk-Songs, Balladen, manche sehr zart, manche belebter, aber alle ... ich will nicht Protestsongs sagen, ich nenne es lieber Angebote von politischem Bewusstsein.

Warum wollen Sie nicht Protestsongs sagen?

Weil das Bild, dass das vermittelt, sehr eingeschränkt ist. Wenn man das Wort hört, denkt man an Leute, die ihre Fäuste in die Luft strecken. Und Songs, die ein ganz spezielles, bestimmtes Thema behandeln. Nur die sehr, sehr guten Protestsongs sind Hymnen. Ich finde aber, wir brauchen heute Hymnen für die Zeit. Songs, die man gemeinsam singen kann, die die Menschen geistig und seelisch zusammenbringen und vereinen.

Sie sagen, dass das Ihre letzte Tour ist. Heißt das auch, keine Einzelauftritte mehr?

Nein, das nicht. Ich habe zum Beispiel Ende Jänner in Kalifornien den Song "Deportees" über mexikanische Immigranten, die bei einem Flugzeugabsturz umkamen, bei einer Veranstaltung mit deren Familien gesungen. Das sind die Dinge, die ich auch in Zukunft machen werde. Aber ehrlich gesagt, als Aktivistin mit all den Riesenproblemen, die wir haben . . . das ist alles so überwältigend, dass es so schwer geworden ist, zu wissen, wo man anfangen soll. Die Hauptfrage ist deshalb jetzt: Wie können wir wieder lernen, mitfühlend und empathisch zu sein, denn Empathie wird von unserer US-Regierung derzeit totgetrampelt. Es ist so widerlich. Und tatsächlich schrumpft schon der Teil unseres Gehirns, der für Empathie zuständig ist.

Warum, glauben Sie, ist es so weit gekommen?

Es gibt diese Theorie des Linguistikers George Lakoff, die besagt, dass es daran liegt, dass die Republikaner 40 Jahre in Thinktanks verbracht haben, um zu lernen, wie man Worte verdreht, Slogans aufbaut und auch, dass das Lügen okay ist und Geld das Allerwichtigste auf der Welt. Und die Liberalen haben nie gelernt, dem etwas entgegenzusetzen – weder verbal noch in einer anderen Form. Aber ich glaube, die Republikaner sind jetzt selbst erstaunt, weil das sogar ihnen mit Trump ein bisschen zu weit gegangen ist. Ich und meine Freunde machen es deshalb jetzt so, dass jeder immer nur wenige Tage lang die Nachrichten verfolgt und die anderen dann kurz informiert, damit die anderen derweil eine Pause davon haben können.

Das klingt hoffnungslos ...

Nein, denn ich denke auch, dass die Wahl von Trump die Leute aufgeweckt hat. Vor Kurzem habe ich Michael Moore und den erzkonservativen George Will am gleichen Abend in unterschiedlichen Kanälen im Fernsehen gesehen. Und beide sagten das Gleiche, nämlich, dass unsere einzige Hoffnung die Menschen sind. Ich hätte nie gedacht, dass ich von einem Erzkonservativen je hören werde, dass es vorbei ist, wenn wir nicht auf die Straße gehen. Und im alltäglichen Leben gibt es viel Hoffnung. Denn wir können jeden Tag daran arbeiten, Mitgefühl und Empathie zu reinstallieren. Aber weil das alles vor dem Hintergrund der Erderwärmung und der nuklearen Aufrüstung passiert, bleibt schon die Frage, ob wir lange genug da sein werden, um damit das Ruder herumzureißen.

Ist Mitgefühl der Grund dafür, dass Sie bei Auftritten in dem Song "Swing Low" auch Trump nennen, wenn Sie aufzählen, wen die Engel holen sollen?

Ja, denn er ist auch ein Mensch. Und ich würde auch für sein Recht, nicht exekutiert zu werden, kämpfen, wenn es dazu kommen würde. Er ist ein Mensch – nur leider völlig verkorkst und an nichts anderem interessiert als an Macht und Geld.

Hat Trump darauf regiert?

Nein. Ich habe auch gedacht, ich hätte mir zumindest einen Tweet verdient.

Der wäre aber vermutlich ohnehin nur gemein gewesen.

Dann hätte ich wenigstens gewusst, dass ich etwas richtig gemacht habe.

Info: Karten für die KURIER-Konzerte mit Joan Baez am 25. und 26. 7. im Konzerthaus Wien unter: 01/ 96 0 96 bzw. www.oeticket.com. Weiters unter www.musicticket.at und www.konzerthaus.at bzw. 01/ 242 002

Biografie

„Wenn man etwas verändern will, muss man große Niederlagen einstecken können, um kleine Siege zu feiern.“ Dieses Motto hat sich Joan Baez schon früh auf die Fahnen geschrieben. Denn die am 9. Jänner 1941 in New York geborene Sängerin wurde schon als Kind politisiert. Ihr Vater, ein Physiker, weigerte sich, für die Rüstungsindustrie zu arbeiten. Dadurch musste die Familie oft umziehen, lebte auch im Irak. So, sagt Baez, habe ihr der Vater früh gezeigt, was Idealismus und was Armut ist.

Außerdem waren ihre Eltern Quäker, wodurch Baez schon als Kind lernte, dass „das Leben heilig ist und vor Nationalität, Religion, Staat und Flaggen kommt“.

So war Baez seit jeher Sängerin und Aktivistin. Ihr Stern ging 1959 beim Newport-Jazzfestival auf. Danach lernte sie Bob Dylan kennen (siehe Schwarz-Weiß-Foto) und war bis 1965 mit ihm liiert. Sie sang beim „Marsch auf Washington“ der Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King, was sie heute zu ihren Siegen zählt.

Die vielleicht größte Niederlage der Friedensbotschafterin: Als Baez 1972 nach Vietnam reiste, um Kriegsgefangenen Weihnachtsgeschenke zu bringen, kam sie in das verheerende Bombardement auf Hanoi mit 100.000 Bomben in zwölf Tagen. Im Luftschutzbunker sang sie Friedenslieder und führte Diskussionen über Gewaltlosigkeit.

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