Gesund fängt es an. Keine industriell hergestellten Nahrungsmittel mit Fett und Zucker zu sich nehmen, lautet die anfänglich vernünftige Parole: Nicht nur zum Schutz der eigenen Gesundheit, sondern auch von Umwelt und Klima.
Die Schüler und Schülerinnen sind begeistert. Sie können ihre Sehnsucht nach einem dünneren Körper und die Lust an der Selbstkontrolle mit einer (pseudo-)konsumkritischen Haltung verbinden. In Zeitlupe säbeln die Jugendlichen an winzigen Kartoffelstücken und starren minutenlang auf eine einsame Erbse, ehe sie sie zögerlich in den Mund schieben. Die seltsam beherrschte Miss Novak bestärkt ihre Schüler zur Nahrungsreduktion und schmiedet sie zu einer sektiererischen Gruppe blasser Nahrungsverweigerer zusammen.
Jessica Hausner ist berühmt für ihr markant ausgeklügeltes, ästhetisch immer treffsicheres Farbdesign, das die kontrollierten Bilder von Kameramann Martin Gschlacht beherrscht. In dem von krankem Gelb dominierten "Club Zero" entwirft Hausner ein brutalistisch-betoniertes Schulsetting, in dem sich vernachlässigte Eliteschüler ihr Rebellentum erhungern. Unruhiger Trommelwirbel auf der Tonspur und nervöse Kamera-Zooms stacheln den Coming-of-Age-Prozess der Jugendlichen zum beunruhigenden Verschwörungsthriller auf.
Altersunterschied
Das leicht gekünstelte Spiel der durchwegs herausragenden Schauspielenden verweigert den Eindruck von Sozialrealismus und verzerrt "Club Zero" gekonnt zur formstarken Farce. Kongenial parodiert der unterschwellige Humor den narzisstischen Wahn von Selbstoptimierung, der unserer erfolgsverbissenen westlichen Gesellschaft zugrunde liegt. Regisseur Ruben Östlund ("Triangle of Sadness") – Chefironiker aus Schweden und Präsident der Preisjury – müsste das ganz besonders gut gefallen.
Mit "Club Zero" reiht sich Jessica Hausner in eine Reihe exquisiter Filme ein, die im Halbfinale von Cannes den Wettbewerb bestimmen. So erzählt Star-Regisseur Todd Haynes in seinem faszinierenden Drama "May December" von einer übergriffigen Schauspielerin (Natalie Portman): Sie soll eine Frau (Julianne Moore) verkörpern, die mit einem viel jüngeren Mann verheiratet ist und dafür kriminalisiert wurde. Der Titel "May December" beziehe sich auf Beziehungen mit großem Altersunterschied, erläuterte Todd Haynes in Cannes. Und fügte, in Anspielung auf den französischen Staatspräsidenten und seine Frau, hinzu: "In Frankreich nennen das manche auch ,Le Macron‘."
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