Jessica Hausner: Von der Sehnsucht, die jeder kennt

Wie im Marionetten-Theater: Birte Schnöink als Henriette Vogel hält sich für unheilbar krank und beschließt, mit dem Dichter Heinrich von Kleist zu sterben – „Amour Fou“
Das Wiener Filmfestival Viennale eröffnet Donnerstagabend mit Jessica Hausners "Amour Fou" im Gartenbaukino.

Die 52. Viennale eröffnet Donnerstagabend mit Jessica Hausners "Amour Fou": Das exquisite Melodram über den Selbstmord von Heinrich von Kleist wird im Wiener Gartenbau Kino – getreu dem diesjährigen Viennale-Logo (Feuer) – auf der Leinwand entflammen. Ein Gespräch mit der österreichischen Filmemacherin.

KURIER: Ihr neuer Film "Amour Fou" handelt vom Selbstmord Heinrich von Kleists, gemeinsam mit Henriette Vogel, und eröffnet die Viennale. Nach fünf Jahren erstmals wieder ein österreichischer Eröffnungsfilm ...

Jessica Hausner: Ja, ich bin sehr stolz darauf, dass mein Film als Eröffnungsfilm gezeigt wird. Ich mag das Festival sehr und finde, dort werden tolle Filme gespielt. Natürlich hoffe ich auch, dass es dem Kinostart hilft und sich viele Leute den Film anschauen.

Ursprünglich wollten Sie ja eine Geschichte in der Gegenwart erzählen und sind im Jahr 1811 gelandet. Wie kam es dazu?

Als ich begonnen habe, die Geschichte zu recherchieren, hatte ich als Schlagwort "Doppelselbstmord aus Liebe" im Kopf. Ich überlegte, meinen Film auf das Theaterstück "Norway Today" zu basieren: Das handelt von zwei Menschen, die sich im Internet verabreden, um von einer Klippe zu springen. Aber diese Entwürfe gerieten zu tragisch, es fehlte ihnen die Leichtigkeit. Und vor allem waren sie so überdeutlich gesellschaftskritisch auf unsere Zeit bezogen.

Weil Sie sagen "zu tragisch": Ihr Film "Amour Fou" lebt von einer unverwechselbaren Komik – eigentlich erstaunlich bei diesem Thema?

Ich habe zufällig gelesen, dass Heinrich von Kleist verschiedene Leute gefragt hat, ob sie mit ihm sterben wollen: Zuerst seinen besten Freund, der wollte nicht. Dann seine Kusine, die wollte auch nicht. Und schließlich hat er Henriette Vogel gefragt, die selbst sterbenskrank war und deswegen zugestimmt hat. Insgesamt war die Geschichte das genaue Gegenteil zu all den romantischen Bildern, die man sich bei einem "Doppelselbstmord aus Liebe" vorstellt (lacht). Und das hat mich interessiert.

Um welche Form der Liebe handelt es sich? Besondere Zuneigung oder gar Leidenschaft scheint ja komplett zu fehlen?

Es gibt viele Anzeichen dafür, dass die Beziehung zwischen Kleist und Henriette Vogel nicht sexuell war. Dabei versteht man ja normalerweise unter "Amour Fou" genau das: die Leidenschaft in der Liebe. Aber ich fand es spannend, das komplett auszusparen. In dieser Geschichte geht es um ein Anti-Bild von Liebe. Wobei mir wichtig ist, dass Henriettes Ehemann am Ende sagt: "Es war wohl doch Liebe" – und er könnte damit recht haben.

Kleist erscheint als narzisstischer Grübler, der die Frau eigentlich nur aus ihrer Bürgerlichkeit herausbrechen möchte. Wie sehen Sie diese Figur?

Ich mag ihn (lacht). Heinrich – die Figur in meinem Film – hat die fixe Idee, dass er mit einer zweiten Person zusammen sterben möchte. Er hat nicht das Gefühl, lebend besonders glücklich werden zu können. Er möchte jemanden finden, der ihn mehr liebt, als das eigene Leben. Das ist auch ein bisschen kindlich – ein Wunsch, den man als Kind hat: Von den Eltern komplett und über alles geliebt zu werden. Das ist eine Sehnsucht, die, glaube ich, jeder kennt.

In Ihren streng gerahmten Bildern wirkt Henriette manchmal wie ein Teil der Innenausstattung, wie ein Möbelstück.

Das Bild, das ich von dieser Gesellschaft entwerfe, ist einem Schachspiel ähnlich, wo die Player nach gewissen Mustern vorgehen. Die Protagonisten sind Marionetten in einem Theaterstück, wo vorgegeben ist, was sie reden und tun sollen. Alles wirkt ein bisschen fotomäßig arrangiert, wie bei einem Familienfoto – mit dem Hund in der Mitte. Die Absicht dahinter ist, die Fremdbestimmtheit der Personen visuell sichtbar zu machen. Selbst der Hund ist so wohlerzogen wie die Familie – und das ist auch lustig daran.

Worin liegt für Sie die Gegenwärtigkeit Ihres Films?

Mein Film handelt von einem wohlbekannten menschlichen Zustand: Man steckt in seiner eigenen Haut und kann fast gar nicht heraus. Darum haben die Personen auch so große Schwierigkeiten, einander wirklich näherzukommen. Aber dieses Alleinsein ist eine condition humaine: Das gilt heute genauso wie damals.

Obwohl die Viennale noch nicht einmal begonnen hat, sind von 391 Vorstellungen bereits 75 ausverkauft: Wer sich beispielsweise „Birdman“ von Alejandro González Iñárritu ansehen will, muss auf den regulären Filmstart im Jänner warten. Doch trotz des bislang stärksten Vorverkaufsstart mit 42.000 Tickets am Wochenende, gibt es (zwischen 23.10. und und 6. 11.) noch ausreichend hochkarätiges Angebot, um sich die Zeit im Kino gut zu vertreiben.

Festival-Direktor Hans Hurch setzt auch heuer wieder auf die bewährte Mischung aus renommierten Namen – darunter Jean-Pierre und Luc Dardenne, Dominik Graf, Woody Allen, Abel Ferrara, Christian Petzold – und der Entdeckung von Unbekanntem, aus profilierten Spielfilmen und facettenreichen Dokus.

Die Tributes gelten heuer dem US-Schauspieler Viggo Mortensen und dem kürzlich verstorbenen Filmemacher Harun Farocki. Auch der algerische Filmemacher Tariq Teguia und seine politisch wachsamen, aufklärerischen Arbeiten werden gewürdigt.

Kortner-Schau

Unter den Spezialprogrammen finden sich Amateur- und Avantgarde-Filmarbeiten im 16-mm-Format. Ein weiterer Schwerpunkt ist den Filmarbeiten der österreichischen Künstlerin Dorit Margreiter gewidmet. Und das Filmarchiv Austria präsentiert eine Filmschau über den vielseitigen Fritz Kortner.

„Cinq Fois Godard“ widmet dem französischen Altmeister Jean-Luc Godard eine kleine Schau und zeigt anlässlich seines neuen Films „Adieu au langage (3-D)“ ein Godard-Programm. Fünf Filmemacher – darunter Oliver Assayas und Agnès Varda – wurden aufgefordert, einen für sie besonderen Godard-Film auszuwählen.
Im Österreichischen Filmmuseum ist die große Retrospektive (bis 30. November) bereits angelaufen und zeigt das Werk von Regisseur John Ford.

Link: www.viennale.at

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