Jessica Hausner: „Ein Grund, um aus dem Bett zu steigen“
Jessica Hausner zählt zu den profiliertesten Regisseurinnen des heimischen Filmschaffens. Ihre Arbeiten werden regelmäßig in Cannes gezeigt: Zuletzt lief dort ihr stilvollendeter Sci-Fi-Thriller „Little Joe“ im Wettbewerb, Emily Beecham erhielt für ihre Hauptrolle als Gentechnologin den Preis als beste Schauspielerin. Die Diagonale hätte heuer Hausners Gesamtwerk gezeigt; einige ihrer Filme sind auf kurier.vodclub.online und flimmit.at abrufbar.
Ein Gespräch mit der Filmemacherin über Viren und ihre Liebe zum Horrorfilm.
KURIER: Wie verbringen Sie den derzeitigen Lockdown?
Jessica Hausner: Ich bin mit meiner Familie zu Hause in Wien und habe Gott sei Dank gerade ein Drehbuch zu schreiben. Aber weil mein neunjährigen Sohn derzeit natürlich nicht in der Schule geht, habe ich nur eine begrenzte Stundenanzahl pro Tag, in der ich schreiben kann.
Wovon handelt Ihr neues Drehbuch?
Es heißt „Club Zero“ und handelt von einer Gruppe von Schülern, die gemeinsam mit ihrer Lehrerin eine Art Club oder Sekte gründen.
Auf der Diagonale wäre Ihr Gesamtwerk gezeigt worden, darunter auch Ihr neuester Film „Little Joe“. Er handelt von einer Genetikerin, die eine Glückspflanze namens Little Joe entwickelt, die Viren mit ungeahnten Kräften entfaltet. Ihr Film wirkt gerade unglaublich aktuell.
Ja, auf jeden Fall, wobei es in meinem Film ja genauso gut um einen „virus of the mind“ geht – und das sieht man auch in der jetzigen Situation. Die Bedrohung, der wir alle im Moment gegenüberstehen, ist ja teilweise virtuell, und man merkt, was es bei allen möglichen Menschen für Gehirnakrobatik auslöst: Die einen haben große Ängste, die anderen finden die Maßnahmen übertrieben. Es löst ganz viele Kettenreaktionen in den Köpfen der Leute aus, und das finde ich sehr spannend zu beobachten. Was mache ich sozusagen in meiner Vorstellungen aus Fakten, die ich hauptsächlich aus den Nachrichten geliefert bekomme? Es ist eine Wirklichkeit, die sich in meinem Kopf zusammenbaut.
Little Joe
In den aktuellen Nachrichtenbildern sehen wir derzeit sehr viel Schutzbekleidung. In „Little Joe“ spielt Schutzbekleidung ebenfalls eine wichtige Rolle: Wissenschafter bewegen sich in aseptischen Laboratorien, ihre Schutzhandschuhe jedoch sind unerwartet knallrot. Was interessiert Sie an dieser ästhetischen Verfremdung?
Die Tatsache, dass mein Film diese märchenhafte Ästhetik hat, vermittelt das Gefühl einer etwas abgehobenen Wirklichkeit. Genau das führt dazu, dass die Geschichte leicht übertragbar ist: Du kannst sie auf alle möglichen Virussituationen umsetzen. Wenn es eine sehr realistische Ästhetik wäre, dann ginge es vielleicht ganz konkret um Covid-19 im Jahr 2020. Aber in „Little Joe“ geht um eine allgemeine Situation: Welcher Virus auch immer auf uns zukommt, wird bestimmte Situationen und Reaktionen auslösen. Der Film ist sozusagen umlegbar auf verschiedenste Gefahren, denen wir gegenüberstehen.
Einen Ihrer früheren Arbeiten – den unheimlichen Film „Hotel“ – haben Sie als Hommage an Hitchcock bezeichnet, und auch „Little Joe“ hat horrible Untertöne. Was lieben Sie am Horrorfilm?
Ich bin auch privat ein Horror-Filmfan (lacht). Es besteht eine Art Hass-Liebe zwischen mir und den Horrorfilmen, weil ich mich sehr schnell fürchte. Ich kann oft nächtelang nicht schlafen, und zugleich zieht es mich magisch an. Ich denke, dass Horrorfilme von unseren Ängsten handeln. Je mehr Ängste eine Gesellschaft verdrängt, desto stärker kommen sie hinterrücks wieder heraus. Und ich glaube, dass sich unsere Gesellschaft sehr stark auf das Kompetentsein, Schönsein, Gesundsein, Erfolgreichsein und am besten auch noch Ewigleben konzentriert hat. Wir verdrängen ganz schön viel. Wir verdrängen das Falschsein, das Kranksein, das Anderssein, das Gebrechlichsein und das Sterbenmüssen. Deswegen interessieren mich Horrorfilme, und deswegen gibt es Horror in meinen Filmen: Weil es immer um eine scheinbar schöne Oberfläche geht, wo aber die Gefahr dahinter lauert.
Ihr Film „Amour Fou“ handelt vom Doppelselbstmord des Dichters Heinrich von Kleist und Henriette Vogel. Es ist ein Liebesfilm, mit unterschwellig morbider Komik serviert. Lässt sich Liebe besser ironisch erzählen?
Ich versuche in meinen Filmen, diese großen Ideen, die wir Menschen haben, zu hinterfragen oder von einer ironischen und lustigen Seite zu zeigen. So wie es in meinem Film „Lourdes“ um den Glauben geht, geht es in „Amour Fou“ um die Liebe – und ich denke, dass diese beiden Begriffe Glaube und Liebe für uns Menschen ganz wichtig sind. Es muss einen Grund geben, warum man jeden Tag wieder aus dem Bett steigt und sein Leben lebt. Zugleich sind es aber auch überhöhte Ideen, und wenn man genauer hinschaut, zerfallen sie einem unter den Fingern.
Weil Sie Glaube und Liebe erwähnen: Wo wäre die Hoffnung in Ihren Filmen?
Ich habe bei „Little Joe“ in vielen Gesprächen über den Begriff Glück geredet. Was ist das, worauf ich hoffe, was ist in meiner Vorstellung Glück? Das ist ein spannendes Thema, weil ja auch unsere Vorstellung von Glück nicht nur individuell ist, sondern von der Gesellschaft geformt wird. Wir lassen uns viel als Glück verkaufen – was, wenn man es hat, vielleicht gar nicht glücklich macht. Glück ist ein weiterer Begriff, der behauptet, uns zu retten, es aber am Ende nicht tut.
Ihr erster Kurzfilm, „Flora“, stammt von 1995. Wie fühlt sich die Konfrontation mit der eigenen filmischen Vergangenheit an?
Ich hatte kürzlich zwei Retrospektiven in New York und in London und habe mir meine alten Filme wieder angeschaut. Es hat mir gezeigt, dass sich ein roter Faden durch meine Arbeit zieht. Es geht in meinen Filmen immer um Einsamkeit, wobei es ja diesen Wortunterschied zwischen „Einsamkeit“ und „Alleine sein“ gibt. Ich habe das Gefühl, meine früheren Filmen handeln eher von einer schmerzhaften Einsamkeit. Je länger ich Filme mache, desto mehr geht es um ein grundsätzliches Alleine sein, das aber nicht mehr so schlimm ist. So ist es eben (lacht).
Sie erzählen durchgehend von (jungen) Frauen, die sich im Widerspruch zu Konventionen befinden.
Dass in meinen Filmen immer Frauen die Hauptfiguren sind, ist etwas, worüber ich früher nie nachgedacht habe. Natürlich ist das Thema auch in letzter Zeit viel aktueller geworden. Das finde ich gut. Ich finde, die #MeToo-Bewegung hat einen Stein ins Rollen gebracht, auf den ich längst gewartet habe. Es ist jetzt wirklich der Moment, wo uns Frauen ganz schön viele Möglichkeiten offen stehen. Und das sollte man auch nutzen. Also ja, man kann es als Frau schaffen, aber man darf sich keine Fehler erlauben. Dieses Recht, auch mittelmäßig sein zu dürfen, haben Frauen noch nicht (lacht). Dann bist du sehr schnell weg vom Fenster.
Befürworten Sie eine Frauenquote in der Filmbranche?
Grundsätzlich bin ich für die Quote. Ich habe „Little Joe“ teilweise in England gedreht, wo es bei der Filmförderung ein Punktesystem gibt, das gendergerechte Beschäftigung belohnt. Ich wurde aufgefordert, Leute zu engagieren, die Frauen oder „non white“ sind. Zuerst dachte ich, jemand pfuscht mir in meine künstlerische Freiheit hinein, aber binnen kürzester Zeit, habe ich verstanden: Es funktioniert. Und es funktioniert sogar sehr gut.
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