"Jedermann" stirbt drinnen noch schöner

"Jedermann" stirbt drinnen noch schöner
Christian Stückls großartige "Jedermann"-Inszenierung glänzte zum Abschied im Großen Festspielhaus. Die ausführliche Kritik von Guido Tartarotti.

Ein beliebter Salzburger Festspielmythos besagt: Der Jedermann "drinnen", das ist eine halbe Sache. Nur die einzigartige Atmosphäre auf dem Domplatz verleiht dem Spiel vom Sterben des reichen Mannes jene Aura und ... dings, die ... äh ... und die Damen können dann auch so schön die neuen Pelz-Stolas umlegen (ja, im Juli , alles schon gesehen). Unfug.

Heuer musste die "Jedermann"-Premiere wetterbedingt ins Festspielhaus verlegt werden. Und Christian Stückls 2002 erarbeitete, 2010 noch einmal modifizierte Fassung hat davon enorm profitiert. Weil das nämlich eine sehr theaterhafte, gar nicht freiluftspektakuläre Inszenierung ist.

Theater-Magie

"Jedermann" stirbt drinnen noch schöner

Im schlichten Schwarz des Festspielhauses wurde aus der Touristenattraktion wieder ein Theaterstück. Und paradoxerweise – die Magie des Theaters! – wurden die Figuren dadurch lebensnäher. Plötzlich sah man auch genau, wie viele schöne, kluge und auch komische Nuancen in dieser Aufführung stecken.

Der Dom ist natürlich auch ein guter Hauptdarsteller, aber halt weniger facettenreich als Nicholas Ofczarek, der diesen Jedermann wieder als echten Menschen zeichnete. Als gewissenlosen Kapitalisten von heute, der auch nicht genau weiß, wo seine Leistung war, aber dafür umso genauer, wo sein Geld lagert. Diesem ungemein sensiblen Schauspieler bei der Arbeit zuzuschauen, ohne Ablenkung durch Barockfassaden und Sonnenuntergängen, das war diesmal ein besonderer Genuss.

Lieb vergessen

Überhaupt: Großartige Schauspieler sind das! Ein unerwarteter Höhepunkt: Lina Beckmann als "Gute Werke", welche schwingenden Lumpen-Rocks hemmungslos mit Jedermann flirtet. Im ebenso komischen wie packenden Dialog zwischen beiden wird Jedermanns wahres Versagen im Leben offenbar: Er hat vergessen zu lieben.

Grandios bösartig-witzig: Peter Jordan als Guter Gesell/Teufel. Von feister Bedrohlichkeit: Ben Becker als Tod. Birgit Minichmayr ist als Buhlschaft auch heuer kein Publikumsliebling, dabei entfaltet ihre Skizze einer heutigen, nüchtern ihre Chancen abwägenden Frauenfigur gerade im Festspielhaus einen besonderen Reiz. Auch in den übrigen Rollen wird stark gearbeitet.

Hervorgehoben seien die entzückend und sehr gut spielenden "Riederinger Kinder" und das Musikensemble Ars Antiqua Austria, welche dem Spiel Rahmen und Atmosphäre geben.

Das Ende hat man so faszinierend dicht in Salzburg wohl noch nie gesehen. Ohne falsches Weihespielpathos wird klar: Gott gibt Vergebung nicht, weil man sie verdient – sondern er verschenkt sie. Gott ist kein Geschäftsmann. Nicht genau abgerechnete gute Taten führen in die Erlösung, sondern Glaube und Vertrauen. Eigentümlich: Das ist ein radikal Luther’scher Gedanke mitten im katholischen Belehrungsstück. Man darf schon gespannt sein, was die Neuinszenierung nächstes Jahr in dem Stoff so findet.

Geläutert?

Nach dem großen Jubel für die Darsteller geht es hinaus in die Hofstallgasse, wo schon die Luxuslimousinen des Festspielsponsors und die dazugehörigen Chauffeure in endloser Stirnreihe angetreten sind.

Fazit: Dank an Christian Stückl

Stück und Regie Christian Stückl hat mit seiner klugen, mutigen Fassung das Äußerste aus Hugo von Hofmannsthals Bekehrungsschinken herausgeholt. Er baute Faust-Zitate ein, legte die Figuren Teufel und Guter Gesell zusammen (schöne Idee), strich die Figur des Glaubens und teilte ihre Texte auf andere auf (mit dem großartigen Ergebnis, dass das oft so peinlich weihevolle Ende plötzlich packend und ergreifend wurde), stellte Gott in Gestalt eines Bettlers auf die Bühne. Die Inszenierung hat Humor und berührt trotzdem.

Spiel Sehr stark!

KURIER-Wertung: ***** von *****

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