"Jedermann"-Kritiken: "Stark und wahrhaftig"

SALZBUGER FESTSPIELE: FOTOTERMIN "JEDERMANN" / EIDINGER / CLEVER
"F.A.Z.": Eidinger "gibt der ausgeweideten Paraderolle eine neue Wendung". "NZZ": "Keine Sekunde ist der reiche Mann dieser taffen Frau gewachsen".

Am Samstag hatte zum Auftakt der Salzburger Festspiele der "Jedermann" Premiere.

Im Folgenden eine kleine Rundschau von ausländischen Pressestimmen.

"Frankfurter Allgemeine Zeitung"

"Dieser Jedermann stirbt zweimal: einmal als Mann und einmal als Mensch. (...) Man sieht einen in seinen Standesfesten erschütterten Mann, der sich bei jedem Schritt nach Bestrafung für seine patriarchalischen Auftritte sehnt, einer, dem seine eigenen Manneskräfte zuwider sind, schon lange bevor die Glocken läuten und er von der Festtafel abberufen wird. Kein joviales Röhren, kein angeberisches Brust raus ist hier zu sehen - dieser Mann weiß von Beginn an, dass er von Frauenhand fallen muss. Seine Buhlschaft, die von der jungen, quirligen Salzburgerin Verena Altenberger unbefangen und aufmüpfig gespielt wird, hat ihn in der Hand, umarmt, herzt und küsst ihn, als wäre er eine liebesbedürftige Puppe. Aber schon wenig später schlägt ihm der Tod mit voller Wucht die Faust vor die Brust. Mit ihm, der in der majestätischen, Gehorsam gebietenden Gestalt von Edith Clever auftritt, erlebt der Abend eine eindrucksvolle Zäsur. Denn von nun an sind die Geschlechterfragen beiseitegekehrt wie ein Haufen feuchtes Laub. Von nun an geht es nicht mehr um den Mann, sondern um den Menschen. (...) Wie von den Bürden der sexuellen Selbstbefragung befreit, kann sich Eidingers Jedermann im zweiten Teil ganz auf die Schwere seiner Existenz konzentrieren. Kann sich selbst ernst nehmen und seine identitäre Befangenheit ablegen: Jetzt, im Moment des drohenden Abschieds, nimmt dieser Jedermann eine geradezu heroische Haltung ein."

"Während die Neuinszenierung von Michael Sturminger zunächst noch versucht, die Hofmannsthal'sche Handlung mit dem üblichen Brimborium zu konterkarieren, effektvolle Slapstick und stilisierte Boxkämpfe (herausragend durch seine Physis und Präsenz: Mirco Kreibich als Schuldknecht) bemüht, um der Kunstsprache Paroli zu bieten, zieht die Regie sich mit dem Auftritt der Clever auffallend zurück, wird unprätentiös und gibt den Spielern Raum. Was auch zu guten Einfällen führt wie etwa dem, die 'Werke' diesmal als Chor auftreten zu lassen. (...) Die Salzburger Verpflichtung von Eidinger ist ein Besetzungscoup, wie er zuletzt Peter Stein gelang, als er Gert Voss zum Jedermann überredete. Eidinger verkörpert durch seine Berliner Herkunft jenes Anti-Salzburgtum, das schon in der Vergangenheit immer wieder für Aufsehen bei den Festspielen gesorgt hat. Sein Auftritt unterspielt die Tradition des protzenden, viril auffahrenden Lebemannes und gibt der ausgeweideten Paraderolle damit eine neue Wendung."

SALZBURGER FESTSPIELE 2021: PROBE "JEDERMANN"
Salzburger Kritik

"Süddeutsche Zeitung"

"Mit verblüffender Selbstsicherheit tritt die neue Buhlschaft Verena Altenberger ins Bild, und eigentlich ist sie es auch, die sich hier als Herrin der Geldsäcke und Immobilien präsentiert, zu Jedermanns Monolog über das schöne Luxusleben bewegt sie synchron die Lippen. Klar, wer hier die Hosen anhat und ein Interesse daran, dass die Armen bloß nicht übermütig werden; die von Jedermann eingeforderte Mildtätigkeit muss auf ein Minimum begrenzt werden, damit das kapitalistische Oben-Unten-Schema nicht aus den Fugen gerät. So weiblich war der "Jedermann" noch nie, mit Mavie Hörbiger in der Doppelrolle als Gott und Teufel, Angela Winkler als Jedermanns Mutter, Edith Clever als Tod und Kathleen Morgeneyer als Glaube dominieren die Frauen das Geschehen. Und dann darf mit Verena Altenberger die erste Salzburgerin in der Festspielgeschichte überhaupt die Buhlschaft spielen. 'Männlich dominante Denkmuster' will Sturminger aufbrechen, deshalb sind einige Figuren fast schon penetrant genderfluid, die Männer stöckeln mit hohen Absätzen lustvoll herum, während die Frauen über Leben und Tod entscheiden. Lars Eidinger ist klug genug, sich nicht völlig dem Spektakel hinzugeben und gelegentlich auf die Bremse zu steigen. Allerdings ist sein Jedermann anfangs bedrohlich nahe an der Farce: Wie ein nicht mehr ganz junger Glam-Rocker jagt er in einer senfgelben Schlaghose über die Bühne, immer auf der Suche nach dem nächsten Kick, dem nächsten Opfer."

"Im zweiten Teil verliert die Inszenierung deutlich an Tempo und Kraft, aber es gibt ja den Tod: die unvergleichliche Edith Clever. Clever schaut, mit ihren nach oben drapierten Haarhörnern, ein wenig aus wie eine bedrohliche Fee aus einer Disney-Verfilmung. Aber deutlich und majestätisch ruhig klingen ihre Worte bis in die letzten Reihen im riesigen Schauspielhaus. Der Tod drängt, ein bisserl was geht ja doch immer noch, nicht gleich zum Aufbruch, er lässt dem Jedermann sein letztes Stündchen, damit er ein paar Dinge in Ordnung bringen kann. Es folgen Jammern und Zähneklappern, das große Erschrecken über das baldige Ende, das ist der Wendepunkt in jeder Inszenierung. Ja, der Mann versteht sowohl was von kränkenden wie von gekränkten Männern, er beherrscht das Manische wie das Depressive. (...) Am Schluss wird's dann noch mal sehr katholisch, und die Inszenierung fällt endgültig auseinander. Die guten Werke sind belanglose Geister in weißen Gewändern, der Teufel (Mavie Hörbiger) wirkt wie aus einem Bully-Herbig-Film entliehen. Treulosigkeit, Verrat und dann plötzlich wieder Hoffnung, Läuterung: An dieser Klippe sind schon viele Theatermacher gescheitert. Eidinger scheint jetzt fast abwesend, er taumelt etwas zu märtyrerhaft dem Ende entgegen, die Unterhose hängt schwer durch. Den 'Jedermann' zu einem würdevollen Ende zu geleiten, das wäre mal eine Meisterleistung."

SALZBUGER FESTSPIELE: FOTOTERMIN "JEDERMANN" / EIDINGER / SPIEKER / KREIBICH
SALZBURGER FESTSPIELE 2021: PROBE "JEDERMANN"

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