"Jeder Mensch profitiert vom anderen"
Ansonsten macht er Komödien, aber er kann auch das dramatische Fach: Jean-Pierre Améris zeigt die Geschichte eines behinderten Mädchens als Schaustück an Nähe und Menschlichkeit.
Der Fall Marie Heurtin hat ihn "elektrisiert", als er das erste Mal darüber las: Jean-Pierre Améris hatte schon viele Jahre lang die Geschichte des taubstumm und blind geborenen Mädchens Marie Heurtin im Kopf, ehe er sich an die Realisierung des Films wagte. Ein bewusster Paradigmenwechsel für den Regisseur, der zuletzt mit leichtfüßigen Komödien wie "Die anonymen Romantiker" Erfolg hatte. Für eine Voraufführung des Films kam Améris nach Wien.
KURIER: Monsieur
Améris, die Geschichte eines taubstumm und blind geborenen Mädchens im 19. Jahrhundert ist nicht gerade kassenträchtig. Was hat Sie dazu bewogen, Sie trotzdem zu realisieren?
Vielleicht auch deshalb, weil der Film trotz seines traurigen Themas Zuversicht vermittelt.
So ist es. Der Film vermittelt eine positive Botschaft: Mit genug Zuwendung ist es für jeden Menschen möglich, seinen inneren Blockaden zu entfliehen und ein Handicap zu überwinden. Als ich ein Jugendlicher war, habe ich mit Begeisterung die Geschichte der taubblinden Amerikanerin Helen Keller gelesen, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts nur schwer mit ihrer Umgebung verständigen konnte. Sie erlernte ein Fingeralphabet und das Abtasten von Lippenbewegungen und schaffte es letztendlich bis aufs College – eine herausragende Leistung für die damalige Zeit.
Der Film wird getragen von den schauspielerischen Leistungen
Isabelle Carrés, die die Nonne Marguerite spielt, und
Ariana Rivoires. Hatten Sie die beiden schon im Kopf, als Sie das Drehbuch schrieben?
Ich hatte
Isabelle vor Augen, als ich schrieb. Ich kenne sie gut, wir haben ja schon bei zwei Filmen zusammengearbeitet. Ich war mir zuerst nicht sicher, ob sie für die Rolle der Schwester Marguerite passen würde. Aber das Wunderbare an Isabelle ist, dass sie nicht rational denkt: Sie versucht alles und stürzt sich mit Neugierde und Leidenschaft in eine Rolle. Als sie sich dann auf Anhieb mit Ariana verstand, wusste ich, dass ich richtig lag. Isabelle erlernte dann auch die Zeichensprache und so konnten sich die zwei rasch näher kommen. Ariana ist übrigens taub von Geburt an, aber nicht blind.
Ihr Film ist wie ein Plädoyer, genauer hinzusehen, wenn Menschen anders sind. Wollten Sie ein Zeichen gegen Intoleranz setzen?
"Sprache des Herzens" ist für mich eine Geschichte des Austauschs: Jeder Mensch lernt vom anderen, jeder profitiert vom anderen. Nicht nur der Taubblinde lernt vom Nichtbehinderten, umgekehrt lernt auch Marguerite sehr viel. Sie fühlt und sieht plötzlich Dinge, die sie davor nicht wahrgenommen hatte: Geräusche in der Natur, die Struktur von Oberflächen und das Glücksgefühl, etwas weitergeben zu können.
Welche Eigenschaften muss man haben, um als Regisseur erfolgreich zu sein?
Am wichtigsten sind Leidenschaft und Recherche. Das Entscheidende für einen Regisseur ist nicht, wie er filmt, sondern was er filmt. Man sucht immer eine gute Geschichte. Hat man diese, dann geht alles leichter. Dann hat man das Gefühl, dass es richtig ist.
Bleiben Sie jetzt dem Drama-Genre treu oder wechseln Sie wieder ins leichtere Fach?
Mein nächster Film hat wieder ein leichtes Thema. Ich habe ihn auch schon abgedreht. Es ist eine Familienkomödie wie "Die anonymen Romantiker", wieder mit Benoît Poelvoorde und trägt den Titel "Famille à louer" ("Familie zu mieten").
Info:"Die Sprache des Herzens" von Jean-Pierre Améris läuft seit 2.1. in ausgewählten heimischen Kinos.
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