Premiere "Im weißen Rössl": "Dieser Peter-Alexander-Heimatfilm geht gehörig schief"
Jan Philipp Gloger inszeniert an der Volksoper Ralph Benatzkys Singspiel „Im weißen Rössl“ (Premiere am Samstag). Er spricht über Dekonstruktion, enttäuschte Erwartungen und das Volkstheater.
Der nächste Volkstheater-Chef inszeniert an der Volksoper: Am Samstag hat Ralph Benatzkys Singspiel „Im weißen Rössl“ Premiere. Das Werk ist dank einer Verfilmung mit Waltraut Haas und Peter Alexander österreichische Folklore.
Jan Philipp Gloger, der ab kommender Spielzeit das Volkstheater leitet, stellt diesen verklärten Bildern einen neuen Zugang zum Stück gegenüber – und Stars von heute auf die Bühne: Harald Schmidt trifft auf „Kaiser“ Robert Palfrader.
KURIER: Eine Arbeitshypothese wäre: Alles, was in Österreich einmal ein Peter-Alexander-und-Waltraut-Haas-Musikfilm ist, ist für alle Zeiten nur noch dieser Peter-Alexander-und-Waltraut-Haas-Musikfilm und verschließt sich weiterer Interpretation.
Jan Philipp Gloger: Das glaub ich nicht. Diese Ausprägung des Stückes ist zwar – leider – immer noch die absolut präsente, zumindest ab einer gewissen Generation. Aber damit kann man auch spielen! Der erste Auftritt von Oberkellner Leopold ist bei uns in den ersten Momenten ziemlich genau dem nachempfunden, was Peter Alexander in dem Film macht. Es geht nur dieser Peter-Alexander-Heimatfilm dann ziemlich gehörig schief. Ich mag es, mit der Rezeptionsgeschichte zu spielen, Erwartungen zu erfüllen und auch zu enttäuschen – die Menschen im besten Fall abzuholen und woandershin mitzunehmen.
Wohin?
Das „Weiße Rössl“ ist mehr als dieser Heimatfilm. Es ist eine ziemlich scharfe Berliner Operette aus dem Jahr 1930 mit ungeheuren jazzigen Rhythmen, mit teils herrlich alberner Musik. Und es gibt ein Libretto, in dem die sozialen Unterschiede sehr deutlich herausgearbeitet werden, das auch eine unverschämte Frivolität hat. Über all das hat dann die Rezeptionsgeschichte in und nach der Nazizeit drübergebügelt. Das kann man ein Stück weit wieder freisetzen.
Aber gerade die Operette hat sich doch in den Köpfen in einen Idealzustand verfestigt. Ist das Genre wirklich geeignet, um andere Geschichten zu erzählen, um Erwartungen zu „enttäuschen“ wenn auch konstruktiv?
Ja! Die Operette bietet die Möglichkeit, einerseits in Klischees und Kulinarik zu schwelgen. Und mich aber andererseits dabei selbst zu beobachten und zu merken, wie meine Klischees funktionieren. Dieser Balanceakt zwischen Komödie und Unangenehmem kann in diesem Genre, wie ich finde, gelingen. Diese Mischung aus Identifikation einerseits und Irritation und Reflexion andererseits ist eine der ganz großen Stärken des Theaters. Der Film lullt einen oftmals nur ein. Das Theater ist der Ort, wo man fühlen kann und soll, aber auch nachdenken. Dieses Wechselspiel von Illusion und Reflexion interessiert mich unheimlich.
„Im weißen Rössl“ Premiere des Singspiels von Ralph Benatzky ist am Samstag, 7. 12. an der Wiener Volksoper. Michael Brandstätter dirigiert. Mit Annette Dasch (Josepha Vogelhuber), Jakob Semotan (Leopold Brandmeyer), Harald Schmidt (Prof. Dr. Hinzelmann), Julia Edtmeier (Klärchen), Robert Palfrader (Der Kaiser).
Jan Philipp Gloger Der deutsche Regisseur ist derzeit Schauspieldirektor am Staatstheater Nürnberg und ab der Saison 2025/’26 Chef am Wiener Volkstheater. Zuletzt inszenierte er in Österreich beim steirischen Herbst „Kafka | Heimkehr“
Aber Musiktheater funktioniert doch nocheinmal anders: Da gibt die Musik vor, was man zu fühlen hat. Und es wird wesentlich weniger experimentierfreudig rezipiert.
Ich habe die „Dubarry“ als etwas erlebt, das bei vielen angekommen ist und zu fruchtbaren Diskussionen geführt hat. Klar: Man will ja nicht, dass keiner kommt. Wenn keiner im Publikum sitzt, findet kein Theater statt. Aber ja, ich stimme Ihnen zu: Das Musiktheater ist bestimmte Prozesse von Dekonstruktion noch nicht so gewöhnt. Und es gibt Werke wie Mozarts „Nozze di Figaro“ oder „Cosi fan tutte“ da verstehe ich es persönlich nicht, wenn man die dekonstruiert.
Warum?
Das sind so unglaubliche Meisterwerke, bei denen, wenn man einen Stein rauszieht, das ganze Gebäude einstürzt. Ich mache Crossover-Projekte und arbeite mich am Kanon ab. Das ist eine völlig legitime und auch spannende kulturelle Praxis. Sie werden von mir aber keinen „Figaro“ sehen, der von hinten nach vorne gespielt wird. Wenn die Szene gegen die Musik arbeitet, kommt oft irgendein mediokrer Mischmasch raus.
Im „Weißen Rössl“ an der Volksoper sollen auch die Arbeitsverhältnisse in der Tourismusbranche thematisiert werden?
Es ist kein erdenschweres Debattenstück zu erwarten. Aber denken Sie an Hallstatt! Dieses Phänomen ist doch der absolute Wahnsinn. Man kann dieses Thema ankratzen. Erstens, weil Tourismus natürlich eine Ausbeutungsmaschinerie der Natur und der Menschen sein kann. Der Oberkellner kann sich nicht mal die Rosen für seine Angebetene leisten. Da wird der Irrsinn der Globalisierung deutlich. Es geht auch um so etwas wie eine seelische Ausbeutung. Die Menschen in diesem Stück verstricken sich in einer gigantischen Inszenierungsmaschinerie. Der Tourismus ist der Ort, an dem soziale Rollen brutal performt werden und Identitäten aufeinanderprallen.
Apropos: Das Ganze lebt auch von diesem „Deutsche gegen Österreicher“. Ist dieser Konflikt nicht aus der Gegenwart gefallen?
Es trägt sicher keinen ganzen Abend. Aber auch an diesem Thema lassen sich Fragen des „Wer bin ich und wer gebe ich vor zu sein“ durchdeklinieren. Wir haben Österreicher*innen, die Österreicher*innen spielen, wir haben Deutsche, die Deutsche spielen. Wir haben aber auch andersherum Deutsche, die Österreicher spielen und umgekehrt. Es gibt eine interessante Verquickung von Identitäten, mit der wir spielen. Der Harald Schmidt bittet in meiner Inszenierung den „Kaiser“ Robert Palfrader um ein Autogramm. Natürlich ist bei diesen Prominenten alles, was sie spielen, überschrieben durch die eigene Persona, die sie sowieso schon haben. Damit aber zu spielerisch umzugehen, macht mir Spaß. Das Stück ist ja ursprünglich dafür geschrieben worden, dass Berliner*innen darüber lachen, wie sich Berliner*innen im Urlaub verhalten.
Aber auch ein bissl über die Österreicher!
Ein ganz kleines bisschen. Aber die eigentlichen Idioten in diesem Stück sind die Deutschen. Ich würde auch ungern ein Stück aufführen wollen, in dem die Österreicher*innen die Idioten sind.
Immerhin haben Sie bald dauernd mit uns zu tun! Haben Sie schon eine Wohnung in Wien bezogen?
Nein. Ich werde auch nach der „Rössl“-Premiere immer wieder regelmäßig in Wien sein. Und trotzdem versuche noch mit dem mir eigenen Pflichtbewusstsein, meinen Job als Schauspieldirektor am Staatstheater Nürnberg gut zu Ende zu bringen.
Sie haben ja schon mit zwei der größten Theatermaschinen in Wien, dem Burgtheater und der Volksoper, gearbeitet. Fanden Sie das vielversprechend?
Sowohl die „Dubarry“ als Eröffnung der Intendanz von Lotte de Beer an der Volksoper als auch die „Nebenwirkungen“ am Burgtheater waren für mich zwei sehr glückhafte Begegnungen – mit der Stadt, mit dem Publikum. Das hat schon so wahnsinnig viel auf der Bühne gesehen! Wenn es mit meinen Inszenierungen etwas anfangen kann, ist das schon mal ein gute Basis für ein Ankommen. Sonst bin ich mit Aussagen noch vorsichtig. Das Theatrale ist in Wien so tief verwurzelt und präsent, dass hier die allerhöchsten Ansprüche herrschen. Dass ich Ihnen jetzt erkläre, wie Wien funktioniert, wäre ja absurd. Ich bin im Moment noch ein Gast, der schaut und ganz intensiv auf Tuchfühlung geht. Ich arbeite täglich an dem großen Projekt Volkstheater.
Das Theater in dieser Stadt funktioniert im besonderen Ausmaß über Menschen. Meine Vision von Theater ist es, die Schauspieler und Schauspielerinnen im Ensemble als Menschen groß zu machen, die man anfängt zu kennen, in die man sich ein bisschen verlieben kann und die dann auch Brücken bauen und dem Publikum ermöglichen, neugierig auf Dinge zu werden. Dass Menschen, die vielleicht Lust auf „Hamlet“, aber noch keine Lust auf ein Rechercheprojekt haben, sagen: Schau mal, der spielt jetzt auch in diesem Projekt, schauen wir uns das doch auch mal an.
Publikumslieblinge waren im Volkstheater immer besonders wichtig.
Nach Wien zu kommen und auf Tradition zu pfeifen, ist bestimmt unklug. Ich bin aber kein Traditionalist. Theater ist immer eine progressive Kraft. Aber Theater spielt mit Traditionen, mit Konventionen, mit dem Althergebrachten und mit der Erneuerung. Man muss einen gewitzten Umgang damit finden. Und das finde ich auch in Wien eine interessante Kombination. Es gibt Tradition, aber es gibt auch wahnsinnig viel Innovation.
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