Ja, Panik: Von der Utopie zur Dystopie und zurück

Andreas Spechtl, Sänger und Textautor der Band, spricht im KURIER über den Nutzen des kollektiven Handelns

„Diese Dystopien auf unserem neuen Album ,Die Gruppe' haben schon auch etwas Trostspendendes. Von einem guten Freund erwartet man sich ja auch, dass er einem die Wahrheit sagt.“

Genauso sieht Andreas Spechtl, Sänger und Textautor von Ja, Panik, die düsteren Inhalte der ersten Platte der österreichischen Band seit sieben Jahren. Immer schon drehte sich bei Ja, Panik vieles um die negativen Auswirkungen des Kapitalismus. Anno 2021 sind aber die 2014 für das Album „Libertatia“ entworfenen Utopien für eine bessere Welt, einem düsteren, apokalyptischen Bild von der Zukunft gewichen.

„Ich habe das Tröstende daran an mir selbst bemerkt“, erklärt Spechtl im KURIER-Interview. „Als wir die ,Libertatia´-Platte fertig hatten, ging es mir persönlich gar nicht gut. Ich hatte das Gefühl, alles, was ich mir an Schönem für die Welt ausmalen konnte, alle positive Energie, die ich hatte, in diese Songs gesteckt und damit von mir weg geschrieben zu haben. Diesmal habe ich all diese Ideen, wie der Wahnsinn, in dem wir leben, schlecht ausgehen könnte, aufgeschrieben. Und das war befreiend für mich. Ich hoffe, dass ,Die Gruppe' so auch auf andere wirkt. Die Platte ist zwar dunkel, aber sie nimmt die Hörer ernst. Vielleicht können sie ja auch alle dahin gehenden Sorgen in den Kosmos der Songs verbannen und sie deshalb als aufbauend empfinden.“

Kernpunkt der Dystopien von „Die Gruppe“ ist das kapitalistische System und wie schon in der Vorab-Single „Apocalypse Or Revolution“ die Frage: Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben?

Obwohl Spechtl sich als Künstler nicht in der Verantwortung sieht, auf politische Fragen Antworten zu haben, und mit seinen Liedern nur seine Sehnsüchte artikulieren will, gibt er im Titelsong „Die Gruppe“ eine Antwort darauf.

„Natürlich bezieht sich der Song auch auf uns als Band. Für mich ist es einfach schön, in eine Gemeinschaft einzutreten, die einem hilft, das was man sehr gut kann, hervorzuheben, wobei gleichzeitig das, was man vielleicht nicht so gut kann, von anderen übernommen wird. Das ist die Grundidee von kollektivem Handeln, und daran glaube ich. Und das gilt auch für die Gruppe der Menschheit: Man hat einfach mehr vom Leben, wenn man Dinge gemeinschaftlich löst. Viele Leute sind heute sehr egoistisch, weil ihre Urangst ist, dass ihnen im Kollektiv etwas genommen wird. Aber in einer Gemeinschaft würden sie Dinge bekommen, für die sie jetzt noch keine Worte haben.“

Deshalb wird für Spechtl im kapitalistischen System, das so viel Ungleichheit und Armut produziert, großes Potenzial vernichtet: „Wenn jemand den ganzen Tag nur daran denken muss, wo er schlafen kann oder etwas zu Essen herbekommt, kann er sich nicht mehr mit anderen Dingen beschäftigen und sein volles Potenzial entwickeln. Das ist das, was den Kapitalismus absurd macht: Indem er so vielen Menschen das Grundlegendste wie Essen, Wasser, Wohnen und gesundheitliche Versorgung nimmt, nimmt er der Menschheit Entwicklungsmöglichkeiten. Deshalb bin ich dafür, dass man all diese genannten Dinge, die man eigentlich unter Menschenrechte subsumieren kann, dem Markt und der Verwertung entzieht.“

Ja, Panik: Von der Utopie zur Dystopie und zurück

Einen anderen Aspekt des Kapitalismus greift Spechtl in dem Song „The Cure“ auf, in dem er postuliert, dass die Heilung vom Kapitalismus der Kapitalismus selbst ist. „Das ist nicht zynisch, nur eine Beschreibung des Istzustandes. Die Idee ist, dass das kapitalistische System für die Vereinzelung und viele psychische Probleme verantwortlich ist. Und wenn du dann depressiv bist, sollst du zum Therapeuten gehen. Aber eigentlich ist der Therapeut nur der, der dir hilft dein Burn-out zu überwinden, dass du wieder ins Büro gehen kannst – also, dass du wieder fit für das System bist, das dich krank gemacht hat.“

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