"Irrationales ist Teil des Menschen"

Aenne Schwarz (Antigone), Philipp Hauß (Bote), Joachim Meyerhoff (Kreon)
Aenne Schwarz spielt ab Sonntag im Burgtheater die Antigone. Regie führt Jette Steckel.

Mit "Antigone" von Sophokles beendet das Burgtheater eine erfolgreiche Saison. Aenne Schwarz, 31, eine der interessantesten Schauspielerinnen der Burg, gibt die Antigone – eine Frau, die die Pflicht, den Bruder zu bestatten, höher wertet als das Gesetz und das eigene Leben.

KURIER: Wie spielt man heute so einen antiken Stoff?

Aenne Schwarz: Das finden wir gerade heraus. Psychologisch zu spielen wäre wohl nicht richtig. Wie war das in der Antike? Tausende Menschen schauen zu, und in der Mitte sind die Schauspieler, und die Geschichte wird verhandelt – eigentlich war es wie eine Gerichtsverhandlung. Man spielt also ganz klar seine Figur und sein Prinzip – und die Zuschauer können sich entscheiden, wer recht hat. Beziehungsweise: nicht. Weil möglicherweise beide recht haben und es keine Lösung gibt. Darin besteht ja die Tragödie.

Auf der einen Seite steht Kreon, auf der anderen Antigone.

Kreon ist bei uns nicht der böse Tyrann, der das Mädchen einmauert – er ist ein Demokrat, ein Vordenker, der nicht das Falsche will. Auf der anderen Seite ist Antigone, die ein Problem anspricht, das auch in der heutigen Welt besteht: Für Antigone gibt es das unantastbar Heilige. Man muss einen Bruder begraben dürfen. Sonst werden Wahrheiten verletzt, die über den Gesetzen und über den Göttern stehen. Und sie will lieber sterben, als dieses von ihr gefühlte größere Recht zu verletzen.

Was bedeutet das für uns Menschen von heute?

Eine Gesellschaft, die komplett säkularisiert ist, komplett rational, logisch, demokratisch, die die Rituale nicht mehr einbindet – die wird damit leben müssen, dass das Irrationale an anderen Stellen wieder auftaucht. Das Irrationale ist Teil des Menschen, der Wunsch nach Glaube, nach Heiligtum, nach Gemeinschaft auf einer anderen Ebene als bloß Konsum. Wir erleben das derzeit in vielen Auseinandersetzungen: Es gibt eine extreme Sehnsucht nach einer Wahrheit jenseits der rationalen Dinge.

Insofern ist dieser antike Stoff sehr aktuell.

Man kann das Stück auf politische Fragen anwenden. Mich interessiert stärker der Konflikt in jedem Menschen: Herz und Kopf. Kreon und Antigone sind eigentlich eine Figur.

Was macht Antigone so mutig? Denn sterben will sie ja nicht, dennoch geht sie in den Tod.

Darüber denke ich viel nach … das Thema der Todessehnsucht interessiert mich. Auf der einen Seite hat Antigone diesen wahnsinnigen Lebenshunger, auf der anderen aber auch diesen Todestrieb. Diese Kräfte liegen so eng beieinander. Neulich sagte ein Freund flapsig zu mir, dass bei Beerdigungen häufig irgendwo im Hinterhäuschen gevögelt wird... Eros und Todestrieb treffen aufeinander – eine Todeserfahrung kann eine unglaubliche Vitalität auslösen. Das Sterben ihrer Brüder führt bei Antigone zu einem Ausnahmezustand.

Ist sie Widerstandskämpferin?

Sie ist es in dem Moment automatisch, in dem sie sich hinstellt und das Gesetz des neuen Machthabers bricht. Das macht sie automatisch zu einer Rebellin. Nur glaube ich nicht, das Rebellion ihre treibende Kraft ist. Ihre Kraft richtet sich nicht "gegen", sondern "für" etwas.

Sie haben viele Jahre in Berlin gelebt und gespielt. Wie ist Wien im Vergleich zu Berlin?

Sehr sauber! Das ist mir beim Zurückkommen nach Berlin aufgefallen. Da hab ich mir gedacht, wow, ist alles ziemlich abgefuckt hier... Ich habe manchmal Sehnsucht nach dieser Unaufgeräumtheit. Aber Wien ist wunderschön, vor allem im Sommer. Im Winter hat die Stadt etwas Morbides... Aber das Flair ist inspirierend und kreativ.

In Wien sind ja angeblich sogar die Taxifahrer theaterverrückt.

Ich habe das vorher für ein Klischee gehalten, aber gleich der erste Taxifahrer, der mich zum Burgtheater gebracht hat, war genauestens informiert über das Theater. Man hatte das Gefühl, der liest jeden Tag Theaterzeitschriften. Es gibt ja den Spruch: Wenn du in Berlin eine Wohnung suchst und sagst, du bist Schauspielerin, dann kriegst du sie nicht. In Wien kriegst du sie.

Wie ist die Stimmung im Haus jetzt, nach dem Finanzskandal?

Es gibt da eine Art von Zerrissenheit. Der eine Teil möchte diesen Neuanfang mitgehen, andere sehen die Dinge eher kritisch und wollen das Haus verlassen. Es braucht alles noch Zeit.

Passt "Antigone" überhaupt auf die große Bühne?

Es geht ja auch um die Idee des öffentlichen Denkens. Die Griechen haben miteinander, gemeinsam gedacht. Das finde ich so toll. Und die Schauspieler waren Vertreter dieser Gedanken.

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