Interview zum Film "Les Apparences“: Schmach der bescheidenen Herkunft
Regisseur Marc Fitoussi über seinen Film, der in der französischen Community in Wien spielt – und warum er am „Hochglanzlack“ der Stadt kratzen will.
24.09.21, 05:00
Von Susanne Lintl
Sie sind hoch angesehene Mitglieder der französischen Community in Wien: Henri ist gefeierter Musiker und Dirigent, Eve Direktorin der Bibliothek im Wiener Institut Français, der kleine Sohn das Tüpfelchen auf dem Erfolgs-I. Doch das Idyll bricht zusammen, als Eve erfährt, dass ihr Mann sie betrügt. Darauf bandelt auch sie mit einem jungen Mann in einer Bar an, einfach so, ohne große Absichten. Doch der junge Galan lässt sich nicht abschütteln.
„Les Apparences“, der äußere Schein, nennt Regisseur Marc Fitoussi seinen Genremix aus Sittenbild französischer Expats, komödiantischen Einsprengseln und Thriller, den er in Wien angesiedelt hat. Basierend auf dem Roman „Betrayal“ der schwedischen Autorin Karin Alvtegen taucht Fitoussi tief ein in die Geschichte eines Paares, das sich verliert, das aber seinen gesellschaftlichen Status keinesfalls verlieren will.
„Die Gruppe der französischen Expats ist normalerweise eine sehr bourgeoise, mondäne, in der man stets den schönen Schein wahren muss“, so Fitoussi. „Die Expats stammen meist aus reichen Familien, die gar nichts anderes kennen. Mich hat interessiert, wie es ist, wenn man – wie Eve – nicht in so einem Milieu aufgewachsen ist. Eve macht die Frisuren, den Kleidungsstil, die Art zu sprechen der anderen nach, weil sie Angst hat, ihren Platz in dieser Gesellschaft zu verlieren. Sie hat Panik vor dem Déclassement, der Schmach, dass sie in ihr bescheidenes Leben von früher zurückkehren muss.“
Wien sei ihm als perfekte Szenerie für seinen Film erschienen, weil die Stadt nur auf den ersten Blick so charmant und betörend sei. „Wien gilt unter Ausländern als romantisch und schön und süß. Mir war es wichtig, dieses Klischee zu konterkarieren, denn das ist Wien nicht. Wenn man ein bisschen am Hochglanzlack kratzt, kommt der ideale Ort für einen Thriller hervor“.
Bürokratie
Und, hat er selbst auch schon in Wiener Abgründe geblickt? „Ja, die Bürokratie ist sehr dominant in Wien. Man wollte schon immer im Vorhinein von mir wissen, wo genau ich drehe, wo genau ich meine Kamera platzieren werde. Ich musste auf einem Stadtplan ankreuzen, an welchem Punkt ich stehen würde. Diese Engstirnigkeit hat meine Kreativität beeinträchtigt. Ich bin dann für etliche Szenen nach Brüssel ausgewichen, wo die Arbeit leichter war.“
Mit Karin Viard als Eve und Benjamin Biolay als ihr Mann Henri setzt Fitoussi auf etablierte Stars des französischen Gegenwartskinos, Lucas Englander ist der junge Talente-Tupfen im Film. „Das Ganze läuft nicht wie erwartet, die Zwei schlafen nicht miteinander. Da kippt das Geschehen, da weiß man, das wird keine amouröse Beziehung. Aber alle Figuren lügen in diesem Film und Jonas ist in Wirklichkeit die ehrlichste.“
Ist er eigentlich während seiner Arbeit in Wien den Franzosen hier näher gekommen? Fitoussi lacht bitter: „Die Franzosen hier bleiben unter sich. Bei Abendeinladungen dreht sich das Gespräch oft darum, dass es kein ordentliches Baguette gibt und was man sich wieder an ordentlichem Essen von zu Hause mitnehmen muss. Wenn ich das schon nicht sehr sympathisch finde, dann kann man sich ausmalen, was sich die Einheimischen hier denken“.
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