Interview Veronika Franz & Severin Fiala: „Heute würde man Depression dazu sagen“
Das Regie-Duo Franz & Fiala spürt in seinem Filmdrama „Des Teufels Bad“ einem historischen Phänomen nach, in dem eine melancholische Frau in einem oberösterreichischen Dorf zur Täterin wird
„Des Teufels Bad“ (ab Freitag im Kino) nennt sich das neue, aufwühlende Drama des Regie-Duetts Veronika Franz und Severin Fiala. Profiliert im (heimischen) Schock-Genre, machten die beiden mit Horrorfilmen wie „Ich Seh Ich Seh“ und „The Lodge“ international von sich reden. Mit „Des Teufels Bad“ geben sie eine neue Erzählrichtung vor, ohne ihre Wurzeln im Horrorfach zu verleugnen.
Im Mittelpunkt steht eine junge Frau namens Agnes – herausragend gespielt von Anja Plaschg -, die um 1750 in ein oberösterreichisches Dorf einheiratet und dort emotional nicht Fuß fassen kann. Die Entfremdung steigert sich zur Depression und endet im „mittelbaren Selbstmord“. Damit ist ein historisches Phänomen aus dem 17. und 18. Jahrhundert gemeint, das in ganz Europa verbreitet war. Es handelte sich (mehrheitlich) um Frauen, die ihrem Leben ein Ende bereiten wollten, was aber sowohl im katholischen als auch im protestantischen Glauben als Todsünde galt. Sie begingen daher eine Mordtat – meist an „unschuldigen“ Kindern –, stellten sich dann der Obrigkeit und konnten vor ihrer Hinrichtung noch eine Beichte ablegen.
Was sie an diesem düsteren Stoff europäischer Frauengeschichte fasziniert hat, erzählen Veronika Franz und Severin Fiala im Interview.
KURIER: Kaum ein Mensch weiß, was „mittelbarer Selbstmord“ bedeutet. Wie seid ihr darauf gekommen?
Severin Fiala: Das war ein großer Zufall. Wir sind über einen Podcast gestolpert, in dem die amerikanische Historikerin Kathy Stuart über „Selbstmord auf Umwegen“ gesprochen hat. Wir hatten von diesem historischen Phänomen aus dem 17. und 18. Jahrhundert noch nie etwas gehört. Aber es erschien uns ungeheuerlich, dass es im davon Hunderte Fälle in Europa gab und niemand davon weiß.
Der Vorfall, der Eurem Film zugrunde liegt, geschah in Österreich?
Veronika Franz: Genau. Die Historikerin hat als Schwerpunkt Österreich und Deutschland gewählt und versucht, weitere Fälle von damals aufzuspüren. Fiala: Sie hat uns die Verhörprotokolle zugänglich gemacht. Unser Film basiert auf dem Protokoll der oberösterreichischen Kindsmörderin Ewa Lizlfellner, der sehr genau dokumentiert ist. Der Inquisitor hat die Beschuldigte dreimal befragt und sie hat drei Mal ihr Leben, ihre Sorgen und ihre Ängste nacherzählt. Das war sehr faszinierend, weil es kaum Dokumente aus dieser Zeit gibt. Die Geschichtsschreibung hat sich für solche Menschen nicht interessiert. Die Stimme dieser Frau ist eine, die man normalerweise nicht hört. Und das hat uns sehr berührt. Franz: Wir hatten beide beim Lesen Tränen in den Augen, als wir ihre Lebensbeschreibung lasen. Einige der Sätze im Film stammen aus den Originalprotokollen, etwa „dass sie weg sein wollte aus der Welt“. Den Satz: „Ich bin depressiv“ gab es damals einfach noch nicht. Ewa Lizlfellner war eine Außenseiterin und wurde von einem Dorf ins andere verheiratet. Es hat sie niemand speziell schlecht behandelt, aber sie konnte sich einfach nicht einleben.
Besonders speziell an diesen Fällen ist ja auch, dass betroffene Frauen Opfer und Täterinnen gleichzeitig waren, oder? Franz: Ja, weil die Frauen nicht, wie bei den Hexenverbrennungen, nur Opfer waren, sondern von Opfern zu Täterinnen wurden. Das macht die Geschichte noch komplexer. Und das macht auch den Seelenzustand der Betroffenen noch schlimmer: Wie schlecht muss man sich fühlen, um zu Maßnahmen wie Mord zu greifen? Gleichzeit hat uns auch interessiert, dass Frauen durchaus gewalttätig werden können und nicht, wie im Klischee, „nur“ Giftmischerinnen waren.
Kann man dieses Phänomen des „Selbstmords auf Umwegen“ auch heute noch beobachten? Fiala: Ja, zu diesem Thema haben wir auch mit einer Psychologin gesprochen. Selbstmordattentate haben oft einen ähnlichen Hintergrund und sind ein Weg für depressive Menschen, sterben zu dürfen und möglichst viele Unschuldige mitzureißen. Für sie ist das quasi der einzige Weg, um ins Paradies einzuziehen. Es handelt sich dabei um eine moderne Ausprägung vom selben Phänomen.
Euer Film heißt „Des Teufels Bad“. Was ist damit genau gemeint? Franz: Früher verstand man darunter den Zustand der Melancholie und sprach davon, in „des Teufels Bad“ gefangen zu sein. Heute würde man Depression dazu sagen. Bis heute ist die Depression eines der unerkanntesten und auch unbehandeltsten Krankheiten. Insofern ist dieses Thema auch sehr zeitgemäß.
Wir kennen Anja Plaschg als Musikerin Soap&Skin und auch als Schauspielerin aus Ruth Beckermanns „Die Geträumten“. Trotzdem ist sie eine Newcomerin. War das eine riskante Wahl angesichts der schweren Hauptrolle? Franz: Ursprünglich haben wir den Film mit einer anderen Schauspielerin entwickelt, was aber dann aus zeitlichen Gründen nicht klappte. Parallel dazu haben wir Anja angefragt, ob sie die Musik zu unserem Film machen will – was sie dann getan hat. Anja konnte sehr viel mit der Figur der Agnes anfangen. Wir haben ein paar Szenen mit ihr probiert und dabei ihr wunderbares Charisma entdeckt. Fiala: Anja ist eine Performerin, die sich am Drehort einer Erfahrung aussetzen und Dinge wirklich spüren will. Sie ist ein unglaubliches Talent. Sie konnte 15 mal dieselbe Szene identisch wiederholen – besser, als viele professionelle österreichische Schauspielerinnen. Franz: Zudem hat sie sich sehr gezielt auf die Rolle vorbereitet. Sie ist zurück in die Steiermark, wo sie herkommt, gefahren, um ihren Dialekt aufzufrischen. Sie hat Eiswürfelbäder genommen, um sich auf die Kälte vorzubereiten. Sie hat Lieder gesucht, die sie als Agnes singen kann. Ihre Präsenz war wirklich magisch. Und das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber ihr sind tatsächlich Schmetterlinge zugeflogen – mitten im Winter. Alle Szenen im Film mit Schmetterlingen sind nicht geplant, sondern spontan entstanden.
Euer Kameramann Martin Gschlacht hat auf der Berlinale den Silbernen Bären für herausragende künstlerische Leistungen bekommen. Was habt ihr ihm dafür abverlangt? Fiala: Eigentlich Unmögliches. Wir wollten auf 35 mm Film drehen, möglichst ohne zusätzliche, künstliche Beleuchtung. Doch das Haus, in dem wir gedreht haben, war praktisch stockfinster. Wir haben dann zwar ein Fenster ein bisschen vergrößert. Aber der Belichtungsmesser hat trotzdem vom ersten bis zum letzten Tag immer nur „Error“ angezeigt, weil es zum Filmen zu dunkel war. Martin Gschlacht ist ein sehr erfahrener Kameramann und hat gewusst, dass es trotzdem klappen wird. Aber er ging an alle Grenzen.
Gewalt gegen ein Kind ist ebenfalls ein Thema. Wie schwierig war es, diese Szene zu drehen? Franz: Es ist eine sehr schwierige Szene, für die wir 1000 Kinder gecastet haben. Fiala: Wir hatten auch bereits einen Plan B wie wir die Szene drehen würden, wenn wir kein geeignetes Kind finden. Aber dann kam der neunjährige Elias Schützenhofer zum Casting und hat eine Szene gespielt, in der er Todesangst hat. Er ist ein unfassbares Talent. Franz: Beim Dreh haben wir alles eingehalten, was man einhalten muss. Es gab eine medienpädagogische Betreuung, eine Kinderbetreuung, und der Vater war auch dabei.
Das Thema eures Films – Depression und Kindsmord – ist denkbar düster. Habt ihr nicht Sorge, dass das Kinopublikum vor dieser schweren Kost zurückschreckt? Fiala: Ja, das kann schon sein, aber wir denken so nicht. Wir sind über das Thema gestolpert und haben gewusst: Diesen Film wollen wir machen. Es interessiert uns als Zuschauer auch selbst, im Kino ein Grenzerfahrung zu machen und uns etwas auszusetzen, was vielleicht nicht so angenehm ist. Wir wollen im Kino etwas erleben, was man vielleicht sonst nicht erlebt. Franz:Außerdem interessieren sich Menschen für Geschichte. Es geht um Frauen, von denen man normalerweise nichts hört. Es gibt genug Leute, die das interessant finden, obwohl das Thema düster ist. Für mich ist einer der Gründe, warum ich ins Kino gehe: Um in Welten einzutauchen, die ich nicht kenne und die mich herausfordern.
Euer neues Projekt führt euch wieder nach Amerika und heißt „A Head full of Ghosts“. Das klingt wieder sehr nach Horrorfilm … Franz: „A Head full of Ghosts“ ist ein Exorzismus-Bestseller von Paul Tremblay und wird von Stephen King sehr geschätzt. Fiala: Eigentlich sollten wir jetzt sitzen und Drehbuch schreiben, weil die US-Produzenten sehnlichst darauf warten, dass wir eine fertige Fassung abliefern. Der Film soll noch in diesem Jahr gedreht werden.
Und was spielt dabei Robert Downey Jr., der derzeit gerade für „Oppenheimer“ oscarnominiert ist, für eine Rolle? Franz: Er ist einer der Produzenten. Fiala: Drei verschiedene Produktionsfirmen sind an unserem Projekt beteiligt, darunter befand sich eine Frau von „Team Downey“. Wir haben uns noch gedacht: Was für ein blöder Name! Und ja, dann haben wir aus der Zeitung erfahren, dass das offenbar die Frau von Robert Downey Jr. ist. Seine Produktionsfirma ist auch an unserem neuen Film beteiligt (beide lachen herzlich).
Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Portal www.suizid-praevention.gv.at
(kurier.at, Sei)
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Aktualisiert am 04.03.2024, 18:00
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