Willem Dafoe scheitert an Schiele. Nicht er als Person, sondern in seiner Rolle als Kunsträuber namens Nemo.
In „Inside“ (derzeit im Kino), dem Spielfilmdebüt von Regisseur Vasilis Katsoupis, bricht Nemo in ein mehrstöckiges New Yorker Penthouse ein. Kunstschätze in Millionenhöhe zieren die Wände. Nur das Bild von Egon Schiele, das er stehen will, hängt nicht, wo es hängen sollte.
Der Kunstdieb wird nervös. Hektisch kommuniziert er per Walkie-Talkie mit seinem Komplizen. Dann geht plötzlich die Alarmanlage los, das Sicherheitssystem riegelt die Wohnung ab und der Kontakt nach außen bricht weg.
Die Polizei taucht zwar nicht auf, aber auch sonst kein Mensch. Nemo sitzt fest wie im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses.
Dann beginnt auch noch die Klimaanlage zu spinnen: Sie heizt die Räume unerträglich heiß auf, nur um sie dann fast auf den Nullpunkt herunterzukühlen.
Und mitten drin Willem Dafoe als moderner Robinson Crusoe, allerdings nicht auf einer Insel, sondern in einem Privatmuseum.
„Ich musste sehr viel improvisieren“, erzählt Willem Dafoe, lässig schick in Schwarz gekleidet, beim Interview in Berlin leutselig: „Wenn im Drehbuch steht: ,Es wird heiß‘ – was bedeutet das? Wie stelle ich das am besten dar? Was mache ich mit meinen Händen? Das sind eine Menge Entscheidungen, die ich treffen muss, denn es soll ja wahrhaftig aussehen. Und genau das war der Spaß an der Sache.“
Um sich besser in seine Rolle hinein leben zu können, zog der 67-jährige Schauspieler auf dem Filmset ein und verwandelte es in seinen vorübergehenden Wohnort: „Das mache ich immer so“, zuckt Dafoe mit den Achseln: „Das hat nichts mit ,Method Acting’ zu tun. Ich finde es einfach praktisch, denn ich arbeite am liebsten mit den Dingen, die ich vorfinde. Und bei diesem Film war es ganz besonders hilfreich, denn der Mann muss ja seinen einsamen Alltag durch Rituale strukturieren, um nicht gleich völlig durchzudrehen.“
Leidensfigur
Dafoe spielte in seiner Karriere schon vielfach Leidensfiguren – egal, ober er als Jesus ans Kreuz genagelt wurde wie in „Die letzte Versuchung Christi“, sich als Maler „Van Gogh“ ein Ohr abschnitt oder in „Der Leuchtturm“ seinen Verstand verlor. Auch in „Inside“ lässt die große Isolation seine Figur zunehmend in den Wahnsinn kippen. Im Zuge dieses Prozesses wird Nemo selbst zum Künstler, seine Überlebensstrategien zur Performance.
Als Schauspieler ist Willem Dafoe ein Mann der Tat. Für ihn entsteht eine Rolle nicht in erster Linie durch psychologische Einfühlung, sondern durch konkrete Handlungen.
Zum Beispiel: Wer ist dieser Nemo? Wo kommt er her? Was treibt ihn an?
„Mir doch egal“, schnappt Dafoe: „Ich hasse Hintergrundgeschichten, die mir eine Figur erklären sollen. Am Ende des Films wusste ich immer noch nicht, wie Nemos Mutter hieß oder ob er schwul oder hetero war. Stattdessen habe ich ihn durch jene Aktionen ,erfahren‘, die er im Film setzt. Wie er die Sache anpackt, ja sogar, wie er aufs Klo geht. Das sind sehr persönliche Dinge.“
Für interpretatorisches Blabla hinsichtlich der „Bedeutung“ eines Films hat Willem Dafoe herzlich wenig übrig. So kann beispielsweise der eingesperrte Nemo nicht mehr mit seiner Außenwelt kommunizieren, sondern andere Menschen nur noch über die Bilder der Überwachungskameras sehen.
Klar könnte man „Inside“ hier als große Metapher auf unsere entfremdete Gesellschaft lesen, in der Austausch oftmals nur noch über soziale Medien stattfindet: „Als Zuschauer fände ich so eine kritische Lesart sehr interessant, zumal sie auch viel über unser Verhältnis zu neuen Technologien aussagt,“ gibt er zu, „ aber ... “ – breites Lächeln – „als Schauspieler denke ich darüber nicht nach, sondern konzentriere mich darauf, wie meine Figur reagiert und wie sie handelt.“
Willem Dafoe selbst ist ein großer Kunst-Connaisseur. Er liebt es, in Galerien zu gehen und sich dort inspirieren zu lassen. Selbst sammelt er aber keine Kunst, wiewohl er es sich leisten könnte, haha. Kleiner Scherz. Aber im Ernst: „Ich will ein Kunstwerk nicht besitzen. Wenn ich es jeden Tag zu Hause hängen sehe, verliert es seine Wirkung.“
Theater in New York
Geboren 1955 in Wisconsin, USA, zog Willem Dafoe 1977 nach New York und wurde Mitglied der berühmten Theatergruppe Wooster Group
Filmkarriere
Erste Filmerfolge hatte Dafoe in Oliver Stones Vietnamdrama „Platoon“; er wurde für einen Oscar als bester Nebendarsteller nominiert. Insgesamt ist sein Rollenspektrum sehr breit: Es reicht vom Green Goblin aus Marvels „Spider-Man“–Saga“ bis hin zu Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“. Nach „Der Leuchtturm“ dreht er erneut mit Regisseur Robert Eggers – ein Remake von „Nosferatu“
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