Interview mit Werner Herzog: "Das Wort Angst kenne ich nicht“
Werner Herzog ist eine Klasse für sich. Von „Kult-Regisseur“ bis hin zu „Visionär“ wurden ihm schon viele Attribute zugesprochen. Berühmt wurde der deutsche Extremfilmemacher durch Werke wie „Aguirre, der Zorn Gottes“, „Fitzcarraldo“ und seine legendäre Zusammenarbeit mit Klaus Kinski. Insgesamt hat Herzog um die 70 Filme gedreht, lebt in Los Angeles und ist gerade auf Wien-Besuch. Mitgebracht hat er seine zwei neuen Dokus „The Fire Within: A Requiem for Katia and Maurice Krafft“ und „Theater of Thought“ – und die Doku „Werner Herzog – Radical Dreamer“ von Thomas von Steinaecker.
KURIER: Herr Herzog, Sie haben heuer Ihren 80. Geburtstag gefeiert...
Werner Herzog: Ja, langsam werde ich erwachsen... (lacht).
Als ich herangewachsen bin, war mir klar, dass ich mein 18. Lebensjahr wahrscheinlich nicht erleben werde. Und als ich dann 18 Jahre alt war, habe ich gestaunt. Dann dachte ich: Die Risiken, mit denen ich lebe, bringen mich vielleicht bis 25, aber sicher nicht länger. Richte dich darauf ein, dass du nur kurz da bist.
Dafür Sind sie aber schon recht lange da.
Richtig, ich habe mich schon mehrmals getäuscht (lacht) und jetzt akzeptiere ich das. Ich arbeite ja auch gerne und tue das, was meine Bestimmung ist. Insofern ist da nichts Falsches dran.
Sie haben gerade Ihre Biografie geschrieben und ...
... nein. Nehmen Sie das Wort niemals in den Mund. Das sind Memoiren! Eine Biografie ist etwas anderes. Es sind ganz lose Texte, auch lyrische Sachen, und vieles dabei handelt von der Herkunft von Ideen. Deswegen schreibe ich beispielsweise wenig über meinen Film „Aguirre, der Zorn Gottes“ (Herzogs legendärer erster Film mit Klaus Kinski, Anm.), aber viel mehr über einen afrikanischen Revolutionär aus den frühen 60-er Jahren, John Okello. John Okello hat damals Wahnsinnsreden im Radio gehalten, die uns nur ganz am Rande erreicht haben, die aber den Tonfall von Aguirre beeinflusst haben. Es ist also keine Biografie. Das wäre ein Schwindel am Publikum .
Was hat Sie bewogen, in Form von Memoiren Rückschau zu halten?
Es ist gar nicht so sehr eine Rückschau. In diesem Kalenderjahr habe ich viel gearbeitet: Zwei eigene Filme gedreht, die hier gezeigt werden, bei einem Film über mich selbst mitgemacht, einen Roman und die Memoiren geschrieben. Mein Output ist jetzt intensiver als es in den früheren Jahren war. Es hat sich so ergeben. Ich hatte gerade meine Filme fertig. Dann war noch Covid und man konnte draußen nicht viel anfangen. Dann schrieb ich ganz schnell meinen Roman. Und dann war ich angewärmt, und meine Frau sagte: „Ja, schreib doch mal über deine Sachen so eine Art Memoiren. Weil irgendein Kretin wird es dann später machen, also mach’s lieber selber.“ (lacht) Und dann schrieb ich in einem Ruck weiter und war ganz schnell fertig.
Sie haben selbst einmal gesagt, dass Erinnerungen trügerisch sind.
Ja, Erinnerungen sind nicht verlässlich – bei keinem Menschen. Zum Glück vergessen wir auch. Zum Glück gibt es nicht überall Psychiater, die verschüttete Erlebnisse und Traumata in uns wieder wach werden lassen. Lieber wegbleiben davon und auch wirklich vergessen. Das ist das Wunderbare. Meine Brüder haben dasselbe Ereignis jeder anders beschrieben – was ist da geschehen? Das heißt, wir formulieren unser Gedächtnis. Deswegen sind auch vor Gericht Zeugenaussagen sehr oft viel ungenauer als wissenschaftliche Erkenntnisse. Der Täter hat seine DNA-Spuren am Tatort hinterlassen. Er muss dort gewesen sein. Das heißt noch nicht, dass er der Mörder war, aber er war dort. So. Und dann kommen andere Erkenntnisse dazu, was dann zu einer Verurteilung führt oder zu einem Freispruch.
Wie ist es Ihnen im Umgang mit Ihren eigenen Erinnerungen ergangen?
Ich akzeptiere, dass Erinnerungen ihr Eigenleben haben. Deswegen schreibe ich auch immer sehr vorsichtig. Ich war bei den Eltern einer Jugendgeliebten, die gesagt haben, sie werden mich umbringen, wenn ich auftauche. Dort waren vier kraftstrotzende, bayerische junge Kerle, die alle im Eishockey-Verein gespielt haben. Vielleicht aber überhöht mein Gedächtnis die Menge: Wahrscheinlich waren es nur drei (lacht). Ich weise immer wieder darauf hin: Das Gedächtnis kann nicht absolut präzise wie ein Beweismittel genommen werde. Das ist aber das Schöne. Das macht unser Leben lebbar.
An einer Stelle in der Doku „Werner Herzog – Radical Dreamer“ sagen Sie, dass Sie nicht aus Rührung weinen, sondern dass Ihnen nur die Augen tränen.
Ja, ich hatte eine Augenentzündung – die habe ich auch jetzt noch ein bisschen. Ich habe Tränen im Augenwinkel, und ich sage zum Spaß: „Ich weine, aber nicht aus Rührung.“
Sie hatten beim Blick zurück keine Gefühle der Rührung?
Niemals vor einer Kamera. Bloß nicht. Das gehört woanders hin. Deswegen stört mich das auch so, beispielsweise beim Fernsehen, dieser Drang danach, Gefühle zu zeigen: Der Fußballtrainer, der Gefühle zeigt. Wie wunderbar! Der Mann, der bei der Geburt der Tochter dabei war und weint. Um Gottes Willen! Das ist nicht meine Sache ...
Sie zeigen auf der Viennale Ihre neue Doku „The Fire within: A Requiem for Katia and Maurice Krafft“.
Es ist ein ganz starker Film, und ich sage das gerne, weil das Material nicht von mir ist, sondern von einem Ehepaar von Vulkanologen, Katia und Maurice Krafft. Die beiden haben ein Archiv an Bildmaterial hinterlassen, das vollkommen einzigartig ist. Der Film ist wie ein Requiem für die beiden, wo ich die unfassbarsten Bilder, die man gesehen hat, feiere. Eigentlich ist es eine Feier von Kino selbst. Und das macht den Film ganz groß.
In Ihren Memoiren erinnern Sie sich an den Anblick der brennenden Stadt Rosenheim während des Krieges als ein Bild der Schönheit und der Katastrophe. War dieses Bild sehr prägend für Sie?
Es ist meine allererste Erinnerung. Normalerweise erinnert man sich nicht an etwas, das man im Alter von zweieinhalb Jahren erlebt hat, aber es war so einprägsam: Der Himmel pulsiert orange und gelb, und meine Mutter sagt: „Buben, ihr müsst das sehen. Die Stadt Rosenheim brennt.“ Aber es war 60 Kilometer entfernt. Irgendwie hat sich bei mir dann festgesetzt: Da draußen ist eine Welt. Außerhalb von dem Gebirgstal, in dem ich lebe. Das hat mich neugierig gemacht. Da geht es auch schrecklich zu, aber da draußen ist auch Staunen. Und dieses Staunen hat mich eigentlich in die Welt hinausgebracht. Das das sehen Sie bis heute in meinen Filmen, ganz deutlich auch in „The Fire Within“. Was auf der Leinwand ist, ist ganz groß und einzigartig.
Ihre Stimme ist auch ganz einzigartig und wird gerne in der amerikanischen Popkultur aufgegriffen.
Ja, eine Gastrolle bei den „Simpsons“ oder als Bösewicht in „Jack Reacher“ oder in der Serie „The Mandalorian“ und anderen Filmen.
Wann haben Sie Ihre eigene Stimme als Markenzeichen entdeckt?
Das hat sich so ergeben. Ich habe von einem gewissen Punkt an angefangen, meine eigene Kommentare zu sprechen. Dadurch habe ich meine Stimme erkannt und gedacht, es ist authentischer, wenn ich selber spreche. Das weniger Wesentliche dabei ist die Stimme. Das Wesentlich ist, was ich schreibe und wie ich es schreibe. Und das ist das, wo das Publikum hellwach ist. Das ist der Text. Und die Stimme multipliziert das. Aber Sie dürfen nicht nur von der Stimme reden, sondern von dem, was ich sage.
Ihre Name ist untrennbar mit dem von Klaus Kinski verknüpft, mit dem Sie fünf Filme gedreht haben und der legendär für seine Wutausbrüche war. Sie selbst haben auch eine Doku über die Arbeit mit ihm gemacht: „Mein liebster Feind“ von 1999. Da klangen Sie bereits recht versöhnlich.
„Mein liebster Feind“ entstand acht Jahre nach Kinskis Tod, deswegen gab es dazu auch einen natürlichen Abstand. Deswegen ist der Film auch ganz humorvoll und ganz warmherzig.
Hat sich der Blick dann später noch einmal geändert?
Nicht im Wesentlichen. Der Blick hat sich insofern gewandelt, weil ich nach den Filmen mit Kinski über vierzig neue Filme gemacht habe. Die sind hier nur weniger bekannt. Aber langsam stellt sich auch hier das Bewusstsein ein, dass ich nach Kinski weiter getan habe. Ich habe in den letzten zehn Jahren fünf Spielfilme gedreht. Die sind nur alle nicht hier ins Kino gekommen. Deswegen redet niemand davon. Ich will damit nur sagen, dass sich die Landschaft des Bewusstseins und der Rezeption dauernd verwandelt. Und während wir hier sitzen, wandelt es sich auch in die Richtung, dass ich eigentlich ein Dichter und ein Schriftsteller bin. Dass das Geschriebene – und das habe ich schon vor 40 Jahren gesagt – wahrscheinlich meine Filme überdauern wird. Bücher wie „Vom Gehen im Eis“, „Die Eroberung des Nutzlosen“ oder jetzt meine Memoiren "Jeder für sich und Gott gegen alle“: Das ist ja Literatur. Und heute, 45 Jahre später, ist „Vom Gehen im Eis“ ein Nummer-Eins-Bestseller in Argentinien. Oder wenn ich in Chile ankomme, ist der Teufel los. Auch in vielen anderen Ländern.
Sie selbst halten sich völlig von den sozialen Medien fern. Trotzdem sind Sie dort stark präsent. Wie kommt das?
Das Witzige ist, dass es mindestens 30 Doppelgänger von mir dort draußen gibt. Die imitieren meine Stimme und geben Lebensratschläge. Und es gibt zum Beispiel meinen Film „Begegnungen am Ende der Welt“, den ich in der Antarktis gedreht habe: Bevor ich überhaupt mit dem Film fertig war, gab es bereits im Internet eine Parodie darauf. Das macht sich komplett selbstständig. Aber das liegt in der Natur des Internets und der heutigen Kommunikaton. Das soll ruhig so sein. Wenn Sie mich beispielsweise in den sozialen Medien sehen, können Sie davon ausgehen, dass das Totalfälschungen sind, weil ich nicht in den sozialen Medien bin. Weder auf Facebook, Twitter oder was auch immer. Es gibt mich dort nicht, aber ich bin vertreten. Und es sind immer alles Totalfälschungen. Irgendwie spuke ich in den Köpfen herum.
Warum, glauben Sie, ist das so?
Das weiß ich nicht. Aber man sieht es am Resultat. Es wird auch immer von meinen Sachen geklaut. Aber ich sage mir: Es ist besser, es wird von mir geklaut, als es wird nicht von mir geklaut.
Sie zeigen in Ihrem neuen Film „Theater of Thought“ auch den Seiltänzer Philippe Petit. Den haben Sie bereits 1992, als Sie kurzfristig Direktor der Viennale waren, nach Wien eingeladen.
Ja, zur Eröffnung der Viennale. Wir sind seit langer Zeit befreundet. Lange, bevor er das World Trade Center mit einem Seil verbunden und auf dem Seil getanzt hat. In meinem Film geht es um Angst. Es gibt ja in allen Gehirnen – auch von Tieren – diesen Überlebenshaltungstrieb. Und wie kommt es nun, dass jemand wie Philippe oder ich keine Angst haben – wenn wir unterwegs sind: Er auf einem Seil, oder ich mit einem Film.
Und wieso haben Sie keine Angst?
Das ist ein langes, eigenes Gespräch. Aber das Wort Angst gibt es in meinem Vokabular nicht. Der, der mir Angst machen muss, der muss erst geboren werden. Das ist eine ganz simple Tatsache. So lebe ich. Fassen Sie es nur mit Kneifzangen an, wie ich es sage. Aber was ich sage, trifft auf mich zu.
Werner Herzog
Der deutsche Regisseur, geboren am 5. September 1942 in München, lebt in Los Angeles und zählt zu den eigenwilligsten Visionären des Kinos
Karriere
Herzog drehte an die 70 Filme. Zu seinen legendären Arbeiten mit Klaus Kinski zählt „Fitzcarraldo“ (1982). Seine Memoiren nannte er „Jeder für sich und Gott gegen alle“
Viennale
Die Viennale zeigt Herzogs neue Dokus, „The Fire Within: A Requiem for Katia and Maurice Krafft“ (25. 10.) und „Theater of Thought“ (26. und 29. 10.); und „Werner Herzog – Radical Dreamer“ (26. 10.), teilweise in Anwesenheit des Regisseurs
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