Wenn Terence Davies von Wien spricht, beginnen seine Augen zu leuchten: „Ich liebe diese Stadt“, sagt er und greift sich begeistert ans Herz: „Sie ist atemberaubend, wundervoll und romantisch. Und erst dieser Kuchen!“
Terence Davies sitzt im frisch restaurierten Wiener Gartenbaukino, wo gerade sein neuester Film „Benediction“ über den englischen Dichter Siegried Sassoon gezeigt wird. Er ist Ehrengast der Viennale, die (bis 31. Oktober) seinem Gesamtwerk eine Retrospektive widmet.
Bis heute hat der 75-Jährige gerade einmal zwölf Filme gedreht und gehört zu den größten britischen Filmregisseuren der Gegenwart.
Wobei – Gegenwart ist nicht ganz das richtige Wort. Seine Arbeiten sind fast ausschließlich der Vergangenheit zugewandt, tauchen tief in die Jahre seiner Kindheit im Liverpool der 50er und 60er Jahre ein oder verabschieden sich gleich ins letzte und vorletzte Jahrhundert.
Die Filme von Terence Davies befinden sich immer auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Doch diese lässt sich nicht einfach finden: „Das ist auch die Tragödie daran“, meint Davies im KURIER-Gespräch. Seine Stimme klingt nachdenklich und aufgeregt zugleich, atemlos und eindringlich: „Auch wenn man sich exakt an etwas erinnert – das Gefühl von ,Paradise Lost‘ ist einfach unvermeidbar.“
Vor allem Davies’ autobiografisch gefärbte Arbeiten sind beseelt von einer Sehnsucht nach etwas, was es nicht mehr gibt – und wer weiß, vielleicht auch nie gegeben hat: „Ihr habt dieses wunderbare Wort dafür im Deutschen: ,Sehnsucht‘“, so der Regisseur: „Man sehnt sich nach etwas, was sich nicht mehr einfangen lässt. Dieses Gefühl werde ich wohl nie wieder loswerden, solange ich lebe.“ Der Schmerz der Erinnerung ist für ihn allgegenwärtig.
Brutaler Vater
Terence Davies wurde 1945 als jüngstes Kind in eine katholische Arbeiterfamilie in Liverpool geboren. Seine Kindheit war von einem prügelnden Vater und einem autoritären Schulsystem geprägt. In seinem ersten Kurzfilm „Children“ (1976), gedreht meist bei natürlichem Licht („Mein Lieblingsmaler ist Vermeer!“), verarbeitet er in weichen Schwarzweiß-Tönen die Schrecken einer einsamen Jugend im Schatten des tyrannischen Vaters.
Zudem ist Davies schwul und kämpft in seinem katholischen Umfeld mit Schuldgefühlen. Sein provokanter Ausspruch: „Ich hasse meine Homosexualität. Sie hat mir mein Leben zerstört“, machte Schlagzeilen.
Auch die zartfühlenden Nachfolgearbeiten, „Entfernte Stimmen – Stillleben“ (1988) und „Am Ende eines langen Tages“ (1992) führen in die Kindheit zurück. Wieder tritt ein gewalttätiger Vater auf, der die Familie terrorisiert, sich aber manchmal unvermutet freundlich zeigt: „Mein Vater war die meiste Zeit sehr gewalttätig“, erinnert sich Davies, „aber er hatte diesen manipulativen Charme. Das war das Schlimmste.“
Trotz der horriblen Erfahrungen, die massiv in seine Filme eindringen, sind die frühen Werke getränkt in liebevolle Erinnerungen an die innige Beziehung zur Mutter, freudvolle Runden mit singenden Nachbarn im Pub und Besuchen im Kino.
Terence Davies stammt aus Liverpool, kann aber die Beatles nicht leiden („Boring!“) und liebt stattdessen „Singin’ in the Rain“ und klassische Musik. Zudem ist er kein Mann, der viel vor dem Fernseher sitzt.
Umso überraschender, dass er ausgerechnet Cynthia Nixon, bekannt aus der Serie „Sex and the City“ als Anwältin Miranda, die Hauptrolle für sein hinreißendes Bio-Pic „A Quiet Passion“(2016) über die Lyrikerin Emily Dickinson gab: „Ich fand ,Sex and the City‘ furchtbar“, erinnert sich Davies mit breitem Grinsen: „Es geht nur um Shopping und Sex. Ich habe mir eine Folge ohne Ton angesehen, weil ich es nicht ausgehalten habe – und da ist mir aufgefallen, was für einen wahrhaftigen Gesichtsausdruck Cynthia Nixon hat. Ich finde, sie ist ziemlich gut in der Rolle.“
Semmering
Auch „Akte X“ habe er nie gesehen, behauptet Terence Davies. Die Entscheidung, Serien-Star Gillian Anderson mit der Hauptrolle seiner Verfilmung von Edith Whartons „The House of Mirth“(2000) zu besetzen, erwies sich ebenfalls als vortrefflich.
Übrigens: Sollte es mit den Fördermitteln klappen, wird er sein nächstes Projekt in Wien und Umgebung drehen. Mit der Produktionsfirma Golden Girls plant er die Verfilmung von Stefan Zweigs „Rausch der Verwandlung“. Auf Location-Suche hat er das stillgelegte Südbahnhotel am Semmering besucht: „Das war wundervoll“, sagt Terence Davies und seine Augen beginnen wieder vor Begeisterung zu glitzern: „Das wäre der perfekte Ort für unseren Film.“
Leben
Terence Davies, geboren am 10. November 1945 in Liverpool, ist Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor. Er gilt als einer der größten Brit-Regisseure der Gegenwart.
Das Gesamtwerk von Terence Davies umfasst nur 12 Filme. Seine früheren Arbeiten setzten sich vor allem mit seiner Kindheit und Jugend im Liverpool der 50er und 60er Jahre auseinander.
12 Filme
Die Viennale zeigt in Anwesenheit des Regisseurs seine Filme, darunter „Entfernte Stimmen – Stillleben“ (1988), „The House of Myrth“ (2000) und seinen neuen Film „Benediction“.
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